SWR1 3vor8

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Ein richtiger Mann hat alles unter Kontrolle. Starke Frauen auch. Vor allem sich selbst haben sie unter Kontrolle. Solche Männer und Frauen leisten unglaublich viel, keine Frage. Und wenn sie doch mal Sorgen haben oder Angst, dann zeigen sie es nicht.
Wie schafft man das, sich immer unter Kontrolle zu haben? Du musst dich abgrenzen, heißt es, dann wirst du nicht schwach. Du darfst die Dinge nicht so nah an dich heran lassen. Die Dinge: So nennt man dann auch die Probleme und die Sorgen der anderen. Wer das nicht so nah an sich heran lässt: der kann kontrolliert bleiben. Dem traut man zu, dass er alles im Griff hat. weil er ja sich selbst im Griff hat. Bloß die Menschen mit den Sorgen und den Problemen, die bleiben dann manchmal ziemlich allein.
Paulus, der Apostel, hatte nicht alles im Griff. Er hatte Schwächen und er zeigte Schwäche. Besonders, wenn er reden musste, verlor er anscheinend leicht die Kontrolle: er fing an zu stottern, er wirkte zittrig und unsicher. Er machte keinen starken Eindruck. Nein, Paulus hatte Schwächen. Vor allem aber hatte er eine Schwäche für die Menschen, denen er begegnete. Denen wollte er helfen. Er ließ ihre Probleme nahe an sich heran. Er konnte und wollte sich nicht abgrenzen. Er sprach mit ihnen, auch wenn ihm manchmal die Stimme versagte. Er setzte sich ein, auch wenn alle sehen konnten, wie ihn das anstrengte.
Und seine Erfahrung war: Wo man eine Schwäche für die anderen Menschen nicht versteckt - da ist man ganz stark. Das hat Paulus selbst in einem Brief an die Leute in Korinth geschrieben. Die hatten sich über seine Schwächen lustig gemacht. Denen schreibt er: „Wenn ich schwach bin, bin ich stark!" Heute wird in den evangelischen Gottesdiensten an diese Erfahrung erinnert.
Ich kenne viele, die diese Erfahrung bestätigen können. Ich denke an den Mann, der seit Jahren seine Frau pflegt. Auch mit Hilfe der Sozialstation. Aber vor allem ist er es, der ihr Kraft gibt, mit der Krankheit zu leben. Woher er die Kraft dazu nimmt? „Ich kann sie doch nicht allein lassen," sagt er, „sie braucht mich doch. Sie war doch auch immer für mich da." Der Mann grenzt sich nicht ab. Er lässt es nahe an sich heran, was er fühlt. Und er kommt ihr auch nah, ganz praktisch. Wahrscheinlich liebt er seine Frau. Wenn es nicht so leichtfertig klänge, könnte man wohl auch sagen: Er hat eine Schwäche für sie.
So kann man ganz viel erreichen und leisten. Mehr als man selber glaubt. „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig", schreibt Paulus in seinem Brief. Das ist die Lebenserfahrung eines Mannes, der eine Schwäche hatte für die Menschen. Und zu dieser Schwäche konnte er stehen.

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