Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Vieles kann der Mensch entbehren, nur den Menschen nicht" - ein schöner Spruch, aber Vorsicht Falle! Darüber kann ich leicht reden, hab ich doch, was ich brauche und muss nicht all zu viel entbehren. Ob das mit dem „Vieles Entbehren" stimmt, das zeigt sich vielleicht dann, wenn ich großzügig bin, wenn ich hergeben, schenken, loslassen kann. Andererseits kann ich auch manche Menschen entbehren, ich möchte nicht mit Jedermann zu tun haben. Nicht nur in den Armenhäusern der Welt müssen Menschen fast alles entbehren. Oft haben sie nicht einmal mehr das Nötigste um zu überleben. Auch in unserem reichen Land nimmt die Kinderarmut zu und die Altersarmut. Da müssen Kinder auf gesundes Essen, auf Spielsachen und Lernmöglichkeiten verzichten, die sie dringend brauchen: um sich persönlich zu entfalten und beruflich eine Perspektive zu haben. Und es gibt bei uns immer mehr alte Leute, die zu wenig haben, um in Würde alt zu werden. Vieles können und müssen Menschen entbehren. Aber ich glaube, dass der 2. Teil des Spruchs auf jeden Fall stimmt: Menschen können wir nicht entbehren. Menschen, die einen mögen, die mit einem fühlen und empfinden - solche Menschen gehören mit zum Wertvollsten und Schönsten. Menschen, die liebenswürdig sind, die Nachsicht zeigen und Rücksicht nehmen - solche Menschen haben den Schlüssel zu den Herzen der anderen. Menschen, die einen liebevollen Blick, ein Lächeln, ein Wort der Ermutigung übrig haben - solche Menschen erreichen einen weit mehr als die mit den wohlfeilen Appellen oder moralischen Vorwürfen. Dass wir Menschen nicht entbehren können, das habe ich selbst oft erfahren. Ich denke an Freundinnen und Freunde, die mich durch ihre Art, durch ihre Ausstrahlung und Liebe geprägt haben, durch die ich anders geworden bin: Ich hoffe menschlich reifer, vielleicht feinfühliger und verständiger, auf jeden Fall glücklicher. Ohne solche Weggefährten wären etliche Seiten im Buch meines Lebens nicht aufgeschlagen worden; wären manche Fähigkeiten unentdeckt geblieben. Ohne sie wäre die Art und Weise, das Leben zu sehen, um einiges einseitiger; wäre ich ärmer ohne die Geborgenheit, ohne den Halt und die Heimat, die sie mir geschenkt haben. Ich kann und möchte diese Menschen nicht entbehren - und sage: Danke!

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