Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wer was gelten will, muss andere gelten lassen" - Goethe (1749 - 1832) hat das gesagt. Wer will das nicht, was gelten? Für die meisten trifft das zu in einem mehr oder weniger bescheidenen Rahmen. Berühmt sind nur wenige. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich Geltung zu verschaffen. Manche nützen das Glück, sich im Licht des bekannten Partners, der bekannten Partnerin zu sonnen. Andere meinen was zu gelten, weil sie finanziell gut gestellt sind, sich ein flottes Auto leisten oder sich mit teurem Schmuck behängen können. Auf diese Weise was gelten wollen, kann allerdings auch peinlich wirken. Unangenehm wird es allerdings, wenn jemand andere schlecht redet, andere zu mobben versucht, um sich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Menschliche Größe jedoch zeigt, wer auch andere gelten lässt, in ihrer Art zu denken, zu arbeiten, sich zu geben. Das hat mit Toleranz zu tun. Toleranz heißt nicht: jeder soll tun und lassen, was er will - so eine Art Beliebigkeit. Toleranz kommt vom lateinischen „tolerare" und bedeutet: aushalten, erdulden, ertragen. Mich selbst aushalten, leiden können. Aber auch den anderen erdulden, ertragen können. Toleranz, nicht als Geste der Großmut, sondern - ich gestehe dem anderen selbstverständlich das Recht zu und lasse ihn das auch spüren: Du darfst anders sein als ich! Ein Vorbild für solches Verhalten ist für mich Eugen Biser. Er ist über 90 Jahre alt, bescheiden im Lebensstil, liebenswürdig. Eugen Biser zählt zu den großen theologischen Denkern unserer Zeit. Ein Leben lang hat er sich bemüht, dem „Gott der Liebe" auf die Spur zu kommen. Sein Herzensanliegen ist es immer gewesen, dass das auf weite Strecken angeschlagene und schwächelnde Christentum seine Liebenswürdigkeit zurück gewinnt. Es gehört mit zu den schönsten Erfahrungen in meinem Leben, dass ich diesen großartigen Mann und seine zukunftsweisende Theologie kennen gelernt habe. Eugen Biser hat seinen Anliegen ein überzeugendes theologisches Gesicht gegeben - ebenso ein überzeugendes menschliches Gesicht. Seine Theologen Kollegen - darunter auch Gegner - hat er gelten lassen. Er hat sich sachlich mit ihnen auseinandergesetzt. Wer seiner Art zu denken kritisch entgegentrat - den ließ er wissen: „Mal schauen, was daran richtig ist." Diesen Satz möchte ich mir zueigen machen, wenn mir jemand positiv-kritisch begegnet: „ Mal schauen, was daran richtig ist."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12450
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