Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. „Du musst nicht traurig sein. Das wird schon wieder." „Du musst nicht weinen. Das lohnt sich doch gar nicht deshalb." Wir meinen es gut, wenn wir das sagen, häufig zu Kindern, aber nicht nur. Mir stellen sich die Nackenhaare, wenn ich das höre. Schon als Kind habe ich diese Sätze nicht verstanden. Wenn ich traurig bin, muss ich es nicht sein, sondern bin es. Wenn ich weine, muss ich weinen, sonst wären die Tränen nicht gekommen. Später als Erwachsene habe ich dann begriffen, wie schwer es mir selbst fällt, auszuhalten, wenn jemand weint und traurig ist. Ich habe mich nicht gerne hilflos und ohnmächtig gefühlt. Wollte lieber helfen, irgendwie trösten, Mut machen. Noch später habe ich gelernt zu ertragen, dass ich manchmal ohnmächtig bin, nicht jedem helfen kann. Wenn mir das schwer gefallen ist, habe ich die himmlischen Kräfte gebeten, mir tragen zu helfen. Vor allem habe ich entdeckt, was sich ändert, wenn ich mitfühle ohne mit zu leiden. Dazu ein kleines Beispiel aus der Grundschule. Anna ist Erstklässlerin. Von Anfang an war sie eher still und traurig. Sie war viel allein, hat wenig Kontakt gefunden. Im Lauf der ersten Schulwochen ist das immer schlimmer geworden. Bis mir an einem Morgen aufgefallen ist, dass Sie über ihrem Arbeitsheft sitzt und sinnlos Striche malt. Innerlich war sie ganz wo anders. Ich hab mich neben sie gesetzt und einfach gesagt: Ich sehe, dass du traurig bist Anna. Warum? Zuerst hat sie den Kopf geschüttelt. dann hat sie heftig und lange geweint. „Ich bin so allein. Das war auch im Kindergarten schon so" ist es aus ihr heraus gebrochen. Ich bin bei ihr geblieben bis es vorbei war und habe ihr gesagt, dass ich mir vorstellen kann, wie schlimm das für sie ist. Mehr nicht. Seitdem ist sie wie verwandelt.
Es hat gereicht, dass ich gesehen habe wie traurig sie ist, dass ich ihr das gesagt und mit ihr gefühlt habe. Mit ihr gelitten habe ich nicht und mir so den kleinen Abstand bewahrt, den ich brauche wenn ich mit jemandem sein Fühlen aushalte. Kinder können meistens schneller hinter sich lassen, was sie gequält hat. Aber auch Erwachsene brauchen oft nicht viel mehr. Das zeigen die vielen Heilungsgeschichten in der Bibel. Jesus hat es meisterhaft verstanden, Menschen zu vermitteln: Ich sehe dich in deiner Not. Ich nehme dich ernst und höre dir zu. Ich fühle mit dir und vertraue auf die Kräfte, die dich befreien können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12345
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