Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Starke Persönlichkeiten haben klare Standpunkte und eine eindeutige Meinung. Starke Persönlichkeiten strahlen Sicherheit aus. Auf starke Persönlichkeiten mit klaren Standpunkten kann man vertrauen. Die wissen, wo es lang geht.
Das habe ich bis jetzt auch immer gedacht. Aber jetzt hat mich das Jahresmotto meiner Evangelischen Kirche, die diesjährige Jahreslosung, unsicher gemacht. Sie heißt: „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig." Das ist ein Satz aus dem 2. Korintherbrief und steht in der Bibel.
Wer schwach ist, das kann man verschieden beschreiben. Aber jedenfalls sind es doch wohl auch die, die noch keine eindeutige Antwort wissen. Oder nicht mehr. Die unsicher sind wegen des Standpunktes, auf dem sie stehen. Leute, die nicht bloß Antworten haben, sondern auch Fragen - auch an sich selber.
Menschen also, die fragen: Ist das wirklich so klar - dass nur Wachstum unseren Wohlstand retten kann? Die fragen: Seid ihr sicher, dass die Jungen alles besser können als die Alten, bloß weil sie jung sind? Oder, genauso: Stimmt es denn, dass die Alten alles besser wissen, nur weil sie länger gelebt haben? Ich meine, solche Fragen sind wichtig, damit wir miteinander gut weiter kommen im Neuen Jahr.
Ich glaube deshalb, dass Persönlichkeiten gebraucht werden, die solche Fragen stellen und solche, die sich in Frage stellen lassen. Richtig gut wäre wohl, wenn man beides könnte: Anderen Fragen stellen - aber sich selber auch. Zu fragen wäre wohl zuerst einmal: Ist das wirklich richtig, was wir tun, weil wir es schon immer so gemacht haben? Ist es ok, was wir machen, weil die Mehrheit dafür ist? Stimmt es, wenn man uns sagt, es geht nicht anders, das ist alternativlos?
Erst solche Fragen, glaube ich, bringen Bewegung, wenn Menschen sich auf ihren Standpunkten eingeigelt haben. Wenn jeder auf seinem Standpunkt stehen bleibt, kommt man nicht mehr voran. Dann löst sich nicht, was sich festgefahren hat. Dann findet man keine Lösungen.
Und die Sicherheit? Fragen Sie jetzt vielleicht. Was gibt einem dann noch Sicherheit, wenn alles in Frage gestellt wird? Wenn man sich womöglich selber in Frage stellt mit seinem Standpunkt und seinen Überzeugungen?
Die Sicherheit, glaube ich, die kommt aus dem Gottvertrauen. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!" Gottes Kraft also ist in denen, die Standpunkte in Frage stellen - auch den eigenen. Nur dann kann man gemeinsam überprüfen, ob man denn auf dem richtigen Weg ist. Oder gemeinsam einen neuen, einen besseren suchen. Und ich bin sicher: da ist dann Gott dabei. Gott steht nicht auf einem Standpunkt. Er geht mit uns auf unseren Wegen. Und seine Kraft ist da mächtig, wo Menschen miteinander nach dem besseren Weg suchen

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