Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Und das soll alles gewesen sein?" Das hat ein mir ein Mensch drei Monate vor seinem Tod gesagt. Ein Satz, der mich nie mehr verlassen hat.  „Und das soll alles gewesen sein?". Ein solcher Satz am Lebensende gesprochen ist mehr als bitter. Weil da ein Übermaß an ungelebtem Leben ausgesprochen ist.
Lebensende - Jahressende. Man kann es nicht wirklich vergleichen. Aber das Jahresende hat so einen Hauch von Lebensende. Nicht das Leben ist vorbei, aber wieder ein Teil davon. Und die Summe all dieser Teile ergibt das Leben, mein Leben.
Der Gott, an den ich glaube, wird ein Gott des Lebens genannt, ein Gott der Freude am gelebten Leben hat. Darum sagt sein Sohn: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, das Leben in Fülle haben... Das Leben in Fülle. Das wär' schön. So läuft's aber leider meistens nicht. Weder materiell noch seelisch. Wir Menschen sind Mängelwesen. Dieser Gott des Lebens hat uns Menschen als Wesen mit Schwächen und Fehlern geschaffen. Aber auch mit der Gabe damit umzugehen. Er hat uns geradezu aufgefordert sich ihnen zu stellen, an ihnen zu arbeiten. „Steh auf", „kehr um" - das sind Schlüsselworte des christlichen Glaubens. Worte, die das Leben wollen. Das gelebte Leben, das geglückte Leben. Und was gehört zu einem geglückten Leben? Zu einem geglückten Leben gehört die Dinge zu tun die dran und möglich sind. Sie nicht auf die lange Bank, auf morgen oder die Rente zu verschieben.  Zu einem geglückten Leben gehört aber auch mit dem umzugehen was nicht möglich. Mit den Enttäuschungen, mit den verpassten Gelegenheiten. Das ist eine der Lebensaufgaben denen sich jeder irgendwann mal stellen muss. Und weiß Gott, das ist schwer, sehr schwer. Deshalb wird sie auch oft nicht angegangen. Weil es so weh tut ungelebtes Leben anzunehmen, von Hoffnungen Abschied zu nehmen. Vom passenden Lebenspartner oder der großen Liebe. Vom Traumberuf. Oder vom eigenen Kind. Mich mit den Dingen zu befassen, die mir nicht möglich waren das kann auch zu gelebtem Leben werden. Wenn ich sie ansehe, um sie trauere und sie dann irgendwann auch annehmen kann. Wenn ich den Fels meiner Enttäuschung langsam von der Seele gerollt habe, dann kann ich die Landschaften meines Lebens erkennen. Und dort werden sich blühende Wiesen zeigen, Wüsten, Oasen und staubige Wege - wie bei allen Menschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12220
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