Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Wenn ich mit einem anderen Menschen vertraut bin, dann erkenne ich vieles, was mir sonst fremd bleibt. Dann kann ich in einem Kollegen einen Menschen sehen, der es schwer hat, weil er nicht schlafen kann, weil er unter Ängsten leidet. Eine Nachbarin erzählt mir von ihrer Sehnsucht, ihr Enkelkind öfter sehen zu können, was ihr die Tochter aber verweigert. Mehr erkennen, als was man mit den Augen sieht, das kommt dann, wenn allmählich ein Vertrauen wächst, bei dem ich mich anderen öffnen kann, und durch das ich mit anderen über Dinge reden kann, die ich sonst für mich behalte.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ So sagt der Fuchs zu dem Kleinen Prinzen in der schönen Erzählung des französischen Schriftstellers Saint – Exupery. Die Voraussetzung dafür, mit dem Herzen zu sehen, also wirklich etwas zu erkennen, ist dass man vertraut ist miteinander.

Das war in biblischer Zeit auch bei den Menschen so, die Jesus erkennen wollten. Sie haben sich gefragt, wer dieser Mensch nun wirklich ist. Sie waren nicht sicher, was er für sie bedeuten könnte und wie sie zu ihm stehen sollten.
Anders geht er mir heute auch nicht. Ich lese in den biblischen Erzählungen, wie er Menschen um sich sammelt, die alles verlassen, um ihm zu folgen; wie er Kinder zu sich einlädt, die von den Erwachsenen abgehalten werden; wie er Kranke, die nicht mehr laufen können, auf die Füße stellt und wie sich der Zöllner Zachäus nach dem Besuch Jesu in seinem Haus völlig verändert. Ich lese von Jesus, wie er Händler aus dem Tempel hinauswirft. Und dann lässt er sich ohne Gegenwehr verhaften und ohne Verteidigung zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen. Ist er ein Sieger, ein Verlierer? Wer war dieser Jesus? Und wer ist er für mich?

Man sieht nur mit dem Herzen gut, und das geschieht, indem man sich vertraut macht mit dem anderen, so sagt der Fuchs zu dem Kleinen Prinzen.. Ich versuche, mich mit Jesus vertraut zu machen. Ich lese, wie er eine Frau heilt, die fremd ist und nichts mitbringt als grenzenloses Vertrauen zu ihm. Ich höre ihn erzählen von dem Vater, der seinen Sohn wieder aufnimmt, obwohl dieser alles Vertrauen verspielt hat, und ich erkenne in dieser Geschichte Gott, den Jesus mir nahe bringen will. Ich erfahre, wie er an einem blinden Bettler nicht vorbei geht, sondern ihn heilt. Ich werde vertraut mit einem Jesus, der sich gerade denen zuwendet, die allein sind, verlassen und in großer Traurigkeit. Und gerade diesen Jesus brauche ich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1214
weiterlesen...