Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es ist schon auch eine seltsam sehnsüchtige Zeit, die Adventszeit. Äußerlich überladen, mit Flitter, Musik, Gerüchen, Geschäftigkeit und Lichterglanz.  Eine gefühlsduselige Zeit - es gibt kaum ein Entkommen. Doch sobald ich mich auf die Stille hinter der eigenen Haustüre einlasse, spüre ich eine  Unruhe. Eine Unruhe in mir. Und diese hat - glaube ich zumindest - mit Sehnsucht zu tun. Einer Sehnsucht nach mehr. Aber nach was mehr? Mehr Leben? Mehr Tiefe? Sehnsucht hat mit Suchen zu tun, sich auf die Suche machen. Die Dichterin Nelly Sachs schreibt :

Alles beginnt mit der Sehnsucht.
Immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf."

Will Nelly Sachs damit sagen, dass Sehnsucht - erfüllte Sehnsucht wie ein Fass ohne Boden ist, eine Triebfeder die uns nicht zur Ruhe kommen lässt? Ich glaube nicht! - aber ich bin wie sie überzeugt, dass es eine tiefe, kaum stillbare Sehnsucht in uns Menschen gibt,nach Freundschaft, Liebe und inniger Verbundenheit. Und einen großen Schmerz, wo diese unerfüllt bleibt. Spannend finde ich wie der Text von Nelly Sachs weitergeht. Er nimmt eine ganz eigene Wendung, wird fast zur Zwiesprache mit Gott, wenn sie fragt: „Fing nicht auch deine Menschwerdung, Gott, mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?" Eine steile Frage. Braucht Gott den Menschen?  Ist Gott ein Bedürftiger? War Gott so sehnsüchtig nach dem Menschen, nach dessen Freundschaft und Liebe, dass er einer von uns werden wollte? Nelly Sachs lässt diese Frage offen. Was dann folgt, liest sich für mich wie ein Gebet, wie eine große Bitte, der ich mich einfach nur anschließen möchte:

So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen,
dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
dich gefunden zu haben."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12097
weiterlesen...