Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Über das Altwerden denken wir zurzeit in unseren kleinen Impulsen am frühen Morgen nach. Das ist nicht ihr Thema, denken Sie? - Ich habe es immer als hilfreich empfunden, mich durch Begegnungen mit alten Menschen schon früh damit auseinanderzusetzen. Ich hoffe, dass ich dadurch auf das Alter gut vorbereitet bin und etwas Sinnvolles aus den späten Jahren machen kann.
Im Alter entstehen ja durchaus Freiräume für Neues. Die Frage darf deshalb nicht lauten: Was kann ich noch tun im Sinne von: Wie weit kann alles weiterlaufen wie bisher? Vielmehr muss sie lauten: Was kann ich gerade jetzt tun? Wie kann ich konstruktiv im Heute leben, anstatt nur der Vergangenheit nachzutrauern? Ich kenne viele positive Beispiele dafür. Da passen Senioren auf die Babys der Jugendleiter auf, während diese in der Gemeinde mitarbeiten. Da ist man sensibel geworden, sich in die Nöte anderer hineinzuversetzen und wird auf einmal zum geschätzten Gesprächspartner. Da investiert sich jemand ehrenamtlich in ein soziales Projekt oder gründet sogar eines.
Das Alter als eigene, positive Phase wird aber nur der erleben, dem es gelingt, die Vergangenheit aufzuräumen und loszulassen. Nicht nur das Schöne gilt es loszulassen, auch das Dunkle, das Belastende soll zurückbleiben. Im Alter hat der Mensch in der Regel mehr Zeit. Längst vergessen Geglaubtes meldet sich wieder zu Wort. Menschen von damals werden wieder wichtig, gerade auch solche, die vermeintlich oder tatsächlich an uns schuldig geworden sind und versagt haben: Eltern, Lehrer, Partner - oder auch die Gesellschaft, die Umstände, die Zeit damals... Da kann sich leicht das Gefühl einschleichen, ich bin zu kurz gekommen. Vielleicht bricht aber auch eigene Schuld wieder auf. Immer wieder kreisen die Gedanken darum, und alle Versuche, sich selbst davon frei zu argumentieren wollen einfach nicht gelingen.
Wie gut ist es, mit all dem zu Gott zu gehen. Bei ihm lerne ich, bewusst Ja zu sagen, zu meinen Grenzen, die vielleicht viel enger geraten sind, als ich es mir erhofft hatte. Ich nehme endgültig Abschied von den geplatzten Träumen. Ich nenne beim Namen, was ich durch meinen Eigensinn von Gottes Plänen vereitelt habe. Ich bitte Gott und Menschen um Vergebung, für das, was ich ihnen schuldig geblieben bin. Dabei reift zwangsläufig auch die Bereitschaft, anderen zu vergeben.
Am Ende ist es keineswegs so, als wäre all das Schwere nie geschehen. Ein vernarbtes Leben bleibt zurück, und Narben können durchaus gelegentlich noch schmerzen. Aber es sind eben keine offenen, unbehandelten Wunden mehr, die sich entzünden könnten. Wie der alte Simeon im Neuen Testament kann man sagen: „Nun lässt du deinen Diener in Frieden ziehen (Luk 2,29).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12064
weiterlesen...