Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Schon wieder Advent, schon wieder ein Jahr vergangen. Wo bleibt nur die Zeit? - Gerade wenn Menschen älter werden, haben sie den Eindruck, dass die Zeit immer schneller verrinnt und ihnen das Leben davonläuft. Das kann einem schon Angst machen, oder?
Von Abraham heißt es (1.Mose 25,8), dass er am Ende "alt und lebenssatt" starb. Das etwas ungewöhnliche Wort meint etwas Anderes, als das Leben satt zu haben und lebensmüde zu sein. Nehmen wir das Bild ruhig wörtlich: Das Leben ist wie ein gutes Essen. Ich habe zugelangt - es hat geschmeckt - und nun bin ich satt. Da ist zwar noch mehr auf dem Tisch, aber es reizt nicht mehr. Ich will es nicht in Gier auch noch in mich hineinstopfen. Übertragen heißt das: Ich habe gelebt - es war alles in allem schön, wenn auch nicht immer leicht - ich danke Gott dafür, aber nun ist es genug und ich bin bereit aufzustehen und in Gottes andere Welt zu gehen.
Ich denke, um einmal „lebenssatt" wie Abraham sterben zu können, muss man die spezifische Aufgabe des Alters bewältigen. Und die heißt Loslassen. Diese Aufgabe wird nicht theoretisch am Schreibtisch gelöst, sondern das Leben selbst legt uns die Lektionen zu seiner Zeit vor. Das Alter kommt ja nicht von einem Tag auf den anderen unerwartet über uns. Es kündigt sich durch nachlassende Kräfte oder vermehrte Krankheiten an. Oder nehmen wir das Ausscheiden aus dem Beruf. Gewiss, manche erleben das Ende der Berufstätigkeit als Befreiung aus der täglichen Tretmühle. Ganz oft aber ist es auch ein Stück Sterben.
Eine alte Dame, die erfolgreich im Beruf gestanden hatte, sagte mir einmal: "Meine Verabschiedung mit all den Blumen und Lobesreden kam mir vor, als nähme ich an meiner eigenen Beerdigung teil."
So etwas ist bitter, aber es ist auch hilfreich und notwendig. Schließlich gehen wir alle auf den Tag zu, wo von unserem Leben nur noch zählt, was in Gottes Augen wichtig und richtig war. Was bleibt denn, wenn wir jene andere Welt betreten, in die wir nichts mit hinübernehmen können aus dieser Zeit: keine Titel und Diplome, keine Leistungen und Verdienste, keine Guthaben und Erfolge. Niemanden, wirklich niemanden interessiert dann noch, was uns so wichtig war.
Ob es nicht Gottes Weisheit ist, wenn uns im Alter ein paar Trainingseinheiten im Loslassen verordnet werden? Sind wir wirklich auf dem richtigen Weg, wenn wir uns, wo immer es geht, um diese Lektionen herummogeln und möglichst, wie das Knoblauchmännchen in der Apothekenwerbung, bis zum Abpfiff durchs Leben turnen? Mir ist es wichtiger, einmal wie Abraham zu sagen: Es ist genug, ich bin satt. Danke, Vater im Himmel.

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