Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es ist schlimm bestellt mit der Achtung vor dem Alter. Darin sind sich ältere Menschen schnell einig, wenn sie miteinander reden. Tatsächlich gibt es diesbezüglich in unserer Gesellschaft große Veränderungen. In früheren Zeiten lebten die Jungen davon, dass die Alten ihnen ihr Wissen weitergaben. Das ist weitgehend vorbei. Im Zeitalter der Datenautobahnen erleben viele, dass ihre Ausbildung und ihr Wissen bereits nach wenigen Jahren wertlos sind. Wer sich nicht ständig weiterbildet oder auch nur ein paar Jahre aus seinem erlernten Beruf ausscheidet, wird schon sehr bald von der Entwicklung überholt. Und das bedeutet auch: das Sachwissen und die Berufserfahrung der Älteren stellen für die Jüngeren oft keinen Wert mehr dar.
Auch im sozialen Bereich haben die letzten 50 Jahre gewaltige Umbrüche mit sich gebracht. Das Rollenverständnis von Mann und Frau hat sich stark verändert. In der Kindererziehung erscheinen Jüngeren die Vorstellungen und Ratschläge ihrer Eltern nicht mehr angemessen. Zwischen dem 17- und dem 67-Jährigen liegen, gemessen an früheren Zeiten, ganze Jahrhunderte.
Das eigentliche Problem liegt nun darin, dass wir vielfach die Achtung vor dem Alter als eine Art Rendite auf die Vergangenheit verstehen. Sie ist ein Anspruch, den ich mir verdient und erarbeitet habe. Doch was ist, wenn der Ertrag meines Lebens für die nachfolgende Generation kaum mehr einen Wert hat? Wer in der Blütezeit nur auf seinen gesellschaftlichen Marktwert setzt, wird am Ende mit leeren Händen dastehen.
Für Christen ist die Achtung vor dem Alter aber nach wie vor ein hohes Gut. Schließlich heißt es in der Bibel (3. Mose 19,32): „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren, denn ich bin der Herr." -
Die Begründung ist hier eine ganz andere als in unserer Gesellschaft. Weil Gott der Herr ist und weil die Ehrfurcht vor ihm es gebietet, deshalb verdient der alte Mensch Respekt. Verstehen Sie, wie radikal anders dieser Ansatz ist? Die Würde des alten Menschen ist nicht in seiner Vergangenheit, sondern in seiner Gegenwart zu finden. Und sie leitet sich auch nicht von seiner Leistung ab, sondern ist allein im Schöpfer des Menschen begründet.
Jeder Mensch hat Würde und verdient Respekt, weil er ein Original Gottes ist. Das gilt für den erfolgreichen Unternehmer genau so wie für den Obdachlosen in der Bahnhofsunterführung, für das beneidete Topmodel wie für die behinderte Rollstuhlfahrerin und für den jungen genau so wie für den alten Menschen. Ich persönlich möchte diese Sichtweise bereits heute, wo ich noch mitten im Berufsleben stehe, einüben. Ich möchte nicht, dass mir am Ende alles wegbricht, was mir das Gefühl von Wichtigkeit gab und ich innerlich vor dem Nichts stehe. Ich möchte jetzt und im Alter darauf setzen, dass ich in Gottes Augen wertvoll bin - egal was ich leiste.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12062
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