Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Die Zahl der Nimbys wird immer größer, habe ich in meiner Zeitung gelesen. Nimbys sind Leute, die nach dem Motto leben „Not into my backyard" - Nicht in meinen Hinterhof! Leute, die sich nicht einfach alles gefallen lassen, die den Mund aufmachen und sich wehren, wenn irgendein öffentliches Vorhaben ihre Interessen beeinträchtigt. Zum Beispiel wenn in einem Tal eine Umgehungsstraße gebaut werden soll. Bisher ging der Verkehr überall mittendurch. Jetzt soll er um die Dörfer drum herum gehen. Aber nicht bei mir, sagen sie überall. In jedem Dorf zeigen Nimbys mit dem Finger auf die anderen. Klar, denn da, wo die Straße vorbei führt, wird es laut und die Grundstücke und Wohnungen verlieren an Wert. Sollen Sie doch die Straße bauen, wo sie wollen - aber nicht bei mir. Ob die Straße je gebaut werden kann, wird mit der Zeit zweifelhaft. Widersprüche und Einsprüche lähmen das Verfahren.
Nimbys sind Gewächse der Demokratie. Jeder darf mitreden, seine Meinung sagen und Kritik üben. Das ist gut. Nur so kann man einen Weg finden, der die Interessen möglichst vieler berücksichtigt. Es ist gut, dass wir uns nicht mehr alles gefallen lassen müssen. Es ist gut, dass wir sagen können, was uns nicht passt. Aber so wächst auch das Gefühl: Eigennutz ist legitim. Ja, Eigennutz ist mein Recht. Warum soll ich mir meine Ruhe zerstören lassen wegen einer Umgehungsstraße. Mich stört es nicht, wenn der Verkehr mitten durch den Ort geht. Ich wohne am Ortsrand. Aber: das ist natürlich für die öffentliche Diskussion kein gutes Argument. Deshalb redet ein Nimby nicht gern von seinen Interessen, sondern von ganz anderen Dingen: Die Streuobstwiesen hinter seinem Gartenzaun müssen erhalten bleiben, es gibt dort seltene Vogelarten oder der nahe gelegene Kindergarten wird beeinträchtigt. Ich habe also edle Gründe, ich bin im Recht - aber die anderen, die haben bloß wirtschaftliche Gründe, deren Protest geschieht aus Eigennutz. So, lese ich in der Zeitung, ticken die Nimbys. Und die Nimbys werden immer mehr. Überall.
Was kann man also tun, wenn nicht jedes Vorhaben stecken bleiben soll in solchen Interessenkonflikten?
Schon bei den ersten Christen gab es ähnliche Konflikte. Denen hat der Apostel Paulus empfohlen: „Niemand suche das Seine, sondern was dem anderen dient." (1. Kor 10, 24) Ich finde, das könnte man gewissermaßen als Brille nehmen, um sich selber zu prüfen. Stecken nicht vielleicht doch vor allem eigene Interessen hinter meinem Protest? So zu fragen, würde die Argumente jedenfalls relativieren, auch meine eigenen. Ich glaube, dann würde es leichter, einen Kompromiss zu finden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11946
weiterlesen...