Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich darf nicht vergessen, einen Adventskranz zu kaufen in dieser Woche. Das lohnt sich doch nicht, sagen Sie, wenn die Kinder aus dem Haus sind?
Ich finde, dann braucht man ihn erst recht, den Kranz mit den vier Lichtern. Ein Adventskranz ist kein Kinderkram. Obwohl: Für Kinder ist er tatsächlich erfunden worden, der Adventskranz. Johann Hinrich Wichern, ein sozial engagierter Pfarrer hat ihn vor ungefähr 170 Jahren erfunden. Wichern lebte mit verwahrlosten Kindern aus schwierigsten Familienverhältnissen in Hamburg in einem alten Bauernhaus, dem Rauhen Haus. Dort hatten die Kinder ein Zuhause, wurden erzogen und konnten zur Schule gehen. Und weil sie im Dezember immerzu fragten, wann denn endlich Weihnachten sei, baute Wichern ihnen einen Adventskranz auf einem alten Wagenrad. Für jeden Tag bis Weihnachten gab es darauf eine Kerze, für die Sonntage waren sie besonders dick. Jeden Tag wurde eine Kerze mehr angezündet, so konnten die Kinder ablesen, wie lange es noch dauern würde bis Weihnachten. Das war noch ein bisschen anders, als wir es kennen, aber jedenfalls war das der Anfang. Seither gibt es die Kränze mit den vier Kerzen für die vier Adventssonntage.
Und die helfen nicht nur den Kindern, sich zu erinnern. Sie erinnern einen an die eigene Kindheit. Meine Eltern zum Beispiel hatten nicht viel Zeit für uns Kinder. Aber an den Adventssonntagen wurden die Kerzen angezündet Wir haben gesungen und vorgelesen. Das gab es sonst im Jahr nie. Das ist eine wunderbare Erinnerung. Mit den eigenen Kindern haben wir es dann genauso gemacht. Ich hoffe, sie erinnern sich auch noch und genau so gern.
Vor allem aber finde ich den Adventskranz wichtig, weil er mich nach dem vielen Dunkel im November, nach Totengedenken und Trauer daran erinnert: Es gibt Licht, auch wenn alles dagegen spricht. Und das Licht fängt wieder an zu leuchten, auch wenn alles zu Ende scheint. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier - Woche für Woche wird es ein bisschen heller, obwohl es nach dem Kalender ja eigentlich immer noch dunkler wird. Die Lichter am Adventskranz sind für mich so etwas wie ein Vorschein: An Weihnachten feiern wir Christen, dass Gott zur Welt gekommen ist. Gerade da, wo die Menschen meinten, es wäre alles dunkel und nirgends ein Hoffnungsschimmer. Da kommt Gott zur Welt, mitten im Dunkeln. Ich glaube: So war es nicht bloß dieses eine Mal damals, als Jesus geboren wurde. Meine Erfahrung ist: So ist es auch heute noch, wo Menschen im Dunkeln sitzen. Da kommt Gott ihnen nahe. Aber manchmal kann man es kaum glauben, weil alles so dunkel scheint. Deshalb will ich mir unbedingt einen Adventskranz besorgen. Damit der mich erinnert.

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