Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich habe endlich Frieden mit meinem Vater gemacht", hat der Geschäftsmann im mittleren Alter gesagt, der zum Gespräch in die Citykirche gekommen war.
Lange hatte er gehadert mit seinem Vater, gehadert mit all dem was der versäumt hat in seiner Kindheit. Aber jetzt ist er ins Reine gekommen mit ihm. „Wie ist Ihnen das gelungen?"
„Durch ein Geburtstagsgeschenk", hat er stolz erzählt. „Erst fiel mir nichts ein. Aber dann habe ich gedacht: Ich schenke meinem Vater etwas, was für mich ganz wertvoll ist - ich schenke ihm Zeit!"
Ein Wochenende haben sie miteinander verbracht. Und noch nie in seinem Leben, hat er gesagt, hätte er solche Gespräche mit seinem Vater geführt. Erzählt hat dabei vor allem sein Vater. Von seiner Jugend, von seiner eigenen Vaterbeziehung, von Plänen und Wünschen, von denen, die geklappt haben und denen, die gescheitert sind. Er selbst hätte vor allem zugehört - und nachgedacht.
„Meine Eltern haben mir nie gesagt, dass sie mich lieben oder dass sie stolz auf mich sind", hat mir der Mann weiter erzählt. „Da konnte ich mich noch so sehr anstrengen - und ich habe mich wirklich angestrengt - bis heute glaube ich. Aber an diesem Wochenende habe ich endlich gespürt: mein Vater ist stolz auf mich und er mag mich - auch wenn er es nur schwer zeigen kann und sagen noch viel weniger."
„Wie haben sie das gemerkt?", habe ich gefragt. „Weil er mir sein Herz gezeigt hat -  zumindest ein bisschen davon - für seine Verhältnisse schon sehr viel."
Mir ist diese Geschichte ans Herz gegangen. Wie viele erwachsene Menschen gibt es, die mit ihren Eltern hadern und mit all dem, was nicht so gut gelaufen ist in ihrer Kindheit. Und in wie vielen steckt die tiefe Sehnsucht danach, dass dieses Hadern endlich aufhören möge.
„Du sollst deine Eltern ehren", heißt es in der Bibel. Ich habe nie eine rechte Beziehung zu diesem Satz aus den 10 Geboten gehabt. Aber wenn ich ihn im Licht der Geschichte dieses Mannes sehe, bekommen die Worte für mich einen tieferen Sinn: Vielleicht bedeuten sie ja nicht nur, dass wir uns um unsere Eltern kümmern sollen, wenn sie alt sind und Hilfe brauchen. Vielleicht will uns Gott mit diesem Gebot sagen, dass wir mit einem liebevollen Blick auf unsere Eltern schauen sollen - auf das, was das Leben aus ihnen gemacht hat, auf ihre Stärken und auf ihre Schwächen.
Mit solch einem liebevollen Blick, kann es vielleicht gelingen, Frieden zu schließen mit den eigenen Eltern, sogar mit dem, was sie an uns versäumt haben. Und vielleicht können dann auch ganz alte Verletzungen endlich heilen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11855
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