Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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05NOV2011
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Ein moderner Mann hatte einmal von einem Mönch gehört, der als Einsiedler lebte. Er wunderte sich, dass man solch ein Leben in Abgeschiedenheit überhaupt führen könne. Das sei doch Weltflucht, und uneffektiv obendrein. Aber er war neugierig genug, sich auf den Weg zu diesem Mönch zu machen, um ihn zu fragen, warum er so lebe und wozu das diene.
Als er bei der Einsiedelei ankam und dem Mönch viele Fragen stellte, nahm ihn dieser mit zu einem Brunnen ganz in der Nähe der Klause. Er nahm einen Stein, warf ihn in das Wasser und sagte zu dem Fremden: „Schau jetzt in den Brunnen und sag mir, was du siehst!"
„Nichts", antwortete dieser, „nur das aufgewühlte Wasser."
Der Einsiedler blieb daraufhin ruhig stehen und wartete offensichtlich auf irgendetwas. Der Mann wurde schon ungeduldig, weil er nicht sah, was die Warterei jetzt sollte. Nach einer Weile forderte der Mönch ihn aber erneut auf, in den Brunnen zu schauen und zu beschreiben, was er sieht.
„Jetzt sehe ich das ruhige Wasser, auf dessen Oberfläche ich mich selbst sehen kann", beschrieb er.
„Siehst du", sagte der Einsiedler, „darum lebe ich in der Stille, damit ich ruhig werde und mich selbst erkenne."
In Zeiten von sozialen Netzwerken habe ich manchmal das Gefühl, dass wir es nicht mehr ertragen, ohne die dauernde Kommunikation mit anderen zu sein. Keine Nachricht auf elektronischem Weg zu bekommen, ist für Manche schon ein Zeichen für Isolation und Ausgrenzung.
Diese Erzählung vom modernen Mann und dem Einsiedlermönch klingt da schon fast wie eine Bedrohung. Ich selber habe mich selbst übrigens auch schon dabei ertappt, wie ich unruhig wurde, weil ich keinen Handyempfang hatte, obwohl ich in einem Exerzitienhaus zu Tagen der Stille war.
Natürlich kann nicht jeder als Einsiedler leben. Ich auch nicht.
Aber mal still werden und Abstand nehmen von den vielen Dingen, die uns bedrängen, kann wunderbar sein und neue Kräfte freisetzen. Denn die Stille ist wie ein Raum, in dem ich ungeschminkt vor dem Spiegel sitzen und mich anschauen darf.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein ruhiges Wochenende und immer wieder mal Momente, in denen Sie Zeit haben für sich selbst.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11811
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