Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich nehme Deine Hand!" sagt er leise ins Handy. Aber weil ich im Zug direkt hinter ihm sitze, kann ich es hören. Es hat mich gerührt. „Ich nehme Deine Hand." Und halte Dich, meint er wohl.
Wen er meint? Seine Frau, Freundin, vielleicht sein Kind, das eine Klassenarbeit schreiben muss und Angst hat? Ein Freund, der auf eine Operation wartet? Egal, es hat bestimmt gut getan. Beiden.
Sie können sagen, was Sie wollen, ich finde das großartig, dass das geht zwischen Menschen. Dass wir uns das über die Entfernung zusichern können. ‚Ich halte zu Dir. Du bist nicht allein.' Als wären wir da und würden die Hände ineinander legen. „Ich nehme Deine Hand."
Das ist was Besonderes, kein Allerweltsversprechen. In der Bibel wird es sogar Gott zugetraut. „Du hältst mich an meiner rechten Hand," (Ps 73, 23) hat ein Mensch gebetet. Können Sie sich Worte vorstellen mit mehr Vertrauen zu Gott? Ein Mensch verlässt sich darauf: Da ist einer. Ich kann ihn nicht sehen, niemals, und trotzdem: Ich bin nicht allein.
Es steckt viel drin in diesen Worten, in dieser Geste:
Ich erinnere mich als Kind, wenn ich Angst hatte. Auf einmal ist da jemand, dem kann ich mich anvertrauen. Ich spüre die große kräftige Hand und werde selber ein Stückchen größer. Oder sie wärmt einen, wenn man ganz durchgefroren ist.
„Ich nehme Deine Hand." Eins muss man sich klar machen: Harmlos ist das nicht, wenn ich das verspreche. Auch am Telefon nicht. Man muss sich klar sein, was man tut. Man ruft ja diese Erinnerungen beim andern wach. Es ist wie eine Verführung zum Vertrauen. Ehrlicherweise kann man es nur sagen, wenn man bereit ist, mit Kopf und Seele wirklich bei dem andern zu sein, nicht nur jetzt im Moment, sondern auch in den nächsten Stunden oder Tagen.
Man sollte wissen, was man verspricht. Aber auf keinen Fall knausern mit diesem Versprechen. Wahrscheinlich sparen wir viel zu sehr damit. Gerade in diesen Zeiten, wo so vieles wackelig ist auf dieser Welt.
Auf der persönlichen Ebene und überhaupt. Gut, wir Deutschen können zu den Griechen nicht sagen: „Wir nehmen Eure Hände." Aber vielleicht: „Wir gehen in Europa miteinander. Wir sparen am Misstrauen und am Egoismus, aber nicht am Zusammenhalt. Nicht jetzt."
Das Versprechen, dass ein anderer zu mir steht und an mich denkt, brauche ich doch, wenn ich wackelig bin. Der Mann im Zug am Handy, hat das gewusst. „Ich nehme Deine Hand," hat er versprochen. Und Gott trau ich das auch zu.

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