Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es kommt nicht oft vor, dass ich im Kino ein Taschentuch brauche. Aber vor ein paar Monaten war es mal wieder so weit. Der Film heißt The King's Speech und erzählt die Geschichte von Georg VI., dem Vater von Königin Elizabeth. Er hatte das, was man einen Sprachfehler nennt: er stotterte. Nun haben das viele Leute und müssen damit leben. Die meisten suchen sich einen Beruf aus, in dem es nicht so sehr aufs Sprechen ankommt. Ein König sucht sich keinen Beruf aus, er muss sprechen. Der Film erzählt von Selbstzweifeln und Niederlagen, und von der Begegnung mit einem unkonventionellen Therapeuten. Er versteht es, dem sensiblen König so viel Selbstvertrauen zu geben, dass der aus dem Gefängnis seiner Sprachbehinderung heraustreten kann und seiner Rolle und seinem Amt gewachsen ist.

Das Sprechen und die Sprache, sagt man, sei das, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet und zu Menschen macht. Aber was wäre das Sprechen-Können ohne das andere, ohne die Erfahrung, dass man etwas eben nicht über die Lippen bringt, dass man sich verhaspelt, dass man sich einen unbewussten Versprecher leistet und alle lachen, dass einem jedes Wort im Hals stecken bleibt, dass man etwas sagen muss, hinter dem man gar nicht steht, dass man das, was man ausdrücken möchte, einfach nicht rüberbringen kann. Ich glaube, das Ringen um die Sprache und ums Sprechen ist mindestens genauso menschlich wie die Schönheit des flüssigen und kunstvollen Sprechens.

Seit 1998 gibt es einen ‚Welttag des Stotterns', heute ist dieser Tag. Und ich hätte auch einen Vorschlag, wen man zum Patron der Stotterer machen könnte und all derer, die es schwer haben mit dem Sprechen oder überhaupt nicht sprechen können. Es ist der Apostel Paulus. Schreiben konnte er wie kaum ein anderer, seine Briefe haben die ganze christliche Theologie geprägt und gehören zur Weltliteratur. Aber wenn er vor vielen Menschen sprechen sollte, tat er sich schwer und konnte nicht überzeugen. Das hat er selbst in seinen Briefen geschrieben.

Der sprachgehemmte Apostel und der stotternde König. Beide sind gerade durch ihre persönliche Grenze, durch ihre Behinderung zu dem geworden, wofür sie verehrt und geliebt wurden: menschliche Menschen.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11708
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