Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Wer sich auf eine Pilgerreise macht, ist offen für Neues. Obwohl Pilgern  für jeden etwas anderes bedeutet gibt es ein paar wesentliche Dinge, die wohl für alle wichtig werden. Dazu gehört die Offenheit. Ein Pilger, einer der in die Fremde geht, muss offen sein. Alles was sicher war ist weg. Der Kühlschrank, das Bett, bekannte Menschen, der gewohnte Tagesablauf. Ein Pilger muss sich jeden Tag wieder fragen, was er heute braucht. Er muss sich ständig auf Neues einstellen, Pläne über den Haufen werfen, eigene Überzeugungen überdenken oder Wünsche aufgeben. So verändert sich das eigene Denken und weitet sich der Horizont. Wer offen ist wird die  Natur anders erleben, aber auch die Menschen, die er trifft. Ich bin in diesem Sommer auf dem Jakobsweg in Frankreich gewandert und habe Sandrine kennen gelernt. Sie hat sehr zurückgezogen gelebt und war sich sicher, dass sie am liebsten alleine ist. Auf vielen Wanderungen hat sie es genossen unabhängig zu sein und mit niemandem sprechen zu müssen. An ihrem dritten Tag auf dem Jakobsweg ist es ihr schlecht gegangen. Sie hat mit niemandem gesprochen, trotz der vielen anderen Pilger, die mit ihr unterwegs waren. Zum ersten Mal war sie unglücklich so unabhängig zu sein. Sie hat sich einsam gefühlt und war traurig. Als ich sie am Abend in der Herberge nach ihrem Namen gefragt habe, war sie überrascht. „Das hat noch niemand gemacht seitdem ich unterwegs bin. Mache ich  den Eindruck, dass ich mit den anderen nichts zu tun haben will?" hat sie mich gefragt. Am nächsten Tag sind wir ein Stück gemeinsam weiter gegangen. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt und wie es dazu gekommen ist, dass sie auf dem Jakobsweg unterwegs ist. „Zwei Wochen habe ich Zeit", hat sie gesagt.  „Nur eine Antwort suche ich. Es ist ganz offen, welche. Und ich habe sie schon gefunden. Ich brauche andere Menschen. Ich brauche es, dass ich erzählen kann was ich erlebe und ich will es von anderen hören. Ich brauche Gemeinschaft mit Menschen wie das tägliche Brot." Kaum einer der diese Sendung jetzt zuhause oder im Auto hört wird gefordert sein, heute so offen zu werden wie auf dem Jakobsweg. Vielleicht bewegt doch den einen oder anderen die Frage, was will oder muss ich ändern um erfüllter zu leben. Und vielleicht ist es immerwieder gut, sich nicht mehr vorzunehmen als nur eine einzige Antwort zu suchen.

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