Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

In der Menschheitsgeschichte haben wir viele Beispiele dafür, dass einzelne Menschen oder ganze religiöse oder politische Systeme es nicht aushalten, wenn es Abweichler gibt. Ich beobachte eine Tendenz: Menschen fühlen sich nur dann sicher, wenn alle anderen so denken wie sie, oder zumindest eine bestimmte Gruppe, mit der sie sich identifizieren können. „Die Anderen" werden abgewertet: „Spinner, Nestbeschmutzer, Verräter Falschgläubige, Ketzer" heißt es dann schnell. Abgewertet, verurteilt, bekämpft. Es ist eben schwer, die Freiheit des Andersdenkenden aushalten.
Ich habe mir angewöhnt, das Spiel: „Wer hat recht?" nicht mehr mitzumachen. Sobald ich nämlich in dieses Muster gerate, wird jedes Gespräch destruktiv. Der Horizont wird eng, ich bleibe gefangen in meiner eigenen Gedanken- und Gefühlswelt. Wenn ich nur noch darum kämpfe, recht zu haben, interessiere ich mich nur noch für mich selbst. Ich bin nicht mehr wirklich daran interessiert zu erfahren, was den anderen dazu bewogen hat, so oder anders zu denken, welche Erfahrungen er schon gemacht hat. Geht es nur noch darum, zu klären, „wer hat recht?", ist die Welt bereits abgeschlossen, steht meine Sicht der Dinge fest, und ich halte sie für die einzig Richtige. Entwicklung und Veränderung ist nicht erwünscht.
Ganz anders verlaufen Gespräche, in die ich mit einer offenen Haltung hineingehe. Ich frage neugierig nach. Ich will verstehen. Ich kann akzeptieren, dass es andere Meinungen gibt. Für mich ist das ein Gefühl von Weite, Freiheit und Toleranz.
Papst Benedikt ist während seines Deutschlandbesuchs heute in Freiburg. Geplant sind Gespräche mit Vertretern der Orthodoxen Kirchen in Deutschland. Schwesterkirchen werden sie genannt. Die orthodoxen Kirchen bilden weltweit die drittgrößte christliche Gemeinschaft. „Ortho-dox" bedeutet, die richtige Verehrung, die geradlinige Lehre, der rechte Glaube.
Die orthodoxen Kirchen betrachten sich selbst als die Bewahrer der vollständigen apostolischen Lehre. Sie bekennen sich aber auch ausdrücklich dazu, dass die Einheit der Kirche die Vielfalt eigenständiger Kirchen umfasst.
Die Liebe ist die Schwester der Freiheit. Liebe und Freiheit gehören zusammen. In Liebe annehmen setzt frei.
Ich wünsche mir diese geschwisterliche Liebe in den Gesprächen zwischen den Kirchen, welche die Einheit in der Vielfalt deutlich macht, aber auch in Liebe die Freiheit des Andersdenkenden respektiert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11528
weiterlesen...