Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich bin gläubig, aber nicht religiös" sagt sie. „Wie meinst Du das?" frag ich sie. „Ich gehöre keiner Religion an, keiner Glaubensrichtung oder Kirche. Das ist mir alles suspekt. Ich habe schon oft erlebt, wie das Wort Gottes für persönliche oder ideologische Interessen instrumentalisiert und missbraucht wurde." Die junge Frau ist selbstbewusst und geschäftstüchtig. Sie beruft sich auf Nelson Mandela, die charismatische südafrikanische Persönlichkeit. Er soll gesagt haben: „Die meisten Menschen haben Angst vor der eigenen göttlichen Energie, vor dem inneren Licht und den Möglichkeiten, die ihnen das Leben bietet." Ob sie betet, möchte ich wissen. „Ja, beten heißt für mich, ganz darauf zu vertrauen, dass ich geführt bin. Auch wenn ich viel arbeite und unterrichte, wähle ich bewusst Zeiten und Orte, wo ich mich vergewissern kann, welche Werte mir wichtig sind." „Und welche sind das?" frage ich sie. „Liebe, Vergebung, Toleranz, Freiheit, dass jeder einzelne Mensch wichtig ist und eine Würde besitzt." - „Eine göttliche Würde." ergänzt sie und fährt fort: „Ich habe kein Verständnis dafür, dass Priester glauben, man bräuchte sie als Vermittler. Alle Menschen haben einen direkten Draht zum Göttlichen." Ihre Überzeugungen und Aussagen sind klar und sie wirkt dabei authentisch. Ob sie nicht eine Gemeinschaft, Rituale, Gleichgesinnte vermisse? „Ich fühle mich einer geistig-spirituellen Familie zugehörig. Alle gläubigen Menschen gehören dazu, solange sie nicht ideologisch verblendet sind. Du kannst das esoterisch nennen. Ich brauche dieses Etikett nicht" sagt sie.
Das Gespräch mit der jungen Frau geht mir nach, die so selbstbewusst sagt: „Ich bin gläubig, aber nicht religiös." Und sie kann auch genau erklären, wie sie das meint.
Vom Wortsinn her bedeutet glauben: „begehren, lieb haben, gutheißen, loben oder etwas für wahr halten". Gläubig sein bezeichnet also die Grundhaltung des Vertrauens.
Das lateinische Wort „credere", „glauben" kommt von „cor dare": "das Herz schenken" - Ob sich gläubige Menschen immer bewusst darüber sind, dass sie „ihr Herz auf etwas setzen"? Dass diese Grundhaltung des Vertrauens vielleicht viel wichtiger ist als so manche religiöse Praxis, eine religiöse Handlung oder ein Ritual?
Religiöse Praxis sollte aus meiner Sicht vor allem diese Haltung, dieses Gefühl unterstützen und stärken: grenzenlos vertrauen können, dass Gott gegenwärtig ist.
Und wer dazu eine Gruppe, eine Gemeinschaft braucht, der ist auch in den Kirchen herzlich eingeladen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11524
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