SWR4 Abendgedanken BW

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„Wo war ich, bevor ich geboren wurde?" Ein Kollege erzählte, seine Enkeltochter hätte diese Frage gestellt und sie sich dann auch selbst beantwortet: Ich war in Gott versteckt!" Ich halte das für eine kluge Antwort. Denn die nahe liegende Antwort: Du warst im Bauch deiner Mutter! lässt sich ja sofort wieder hinterfragen: Und wo war ich davor? „Ich war in Gott versteckt!  Das hat mich an die alte Hebamme erinnert. Sie glaubte wirklich nicht an den Klapperstorch, aber sie wusste, in den alten Geschichten steckt mehr Weisheit als in manchen Bildern, die uns Vorgänge zeigen, die bisher unseren Blicken verborgen waren. Zum Beispiel, wie sich Eizelle und Samenzelle verschmelzen.Sie sagte: Mit der Menschwerdung ist es geheimnisvoller. Früher sagte man: der Klapperstorch greift mit dem Schnabel in einen Teich, holt ein Kind heraus und bringt es der Mutter, die es dann austrägt und zur Welt bringt. Das sollte doch heißen: ein Kind kommt von weiter her als von seiner Mutter, ein Kind ist mehr als nur das Werk seiner Eltern, es ist durch seine Eltern hindurch ein originales Geschöpf Gottes. Jeder Mensch kommt unmittelbar aus einem schöpferischen Gedanken Gottes. Aus der Tiefe sozusagen, aus einem unergründlichen Geheimnis und aus einem großen Versprechen.

Im Psalm 139 heißt es:

Mein Gebein war dir, Gott, nicht verborgen,

als ich im Dunnkeln gemacht wurde,

kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde.

Noch bevor ich geboren war, sahen mich deine Augen.

Wer so betet, staunt darüber, dass sich Gott dem Menschen zuwendet und dass er das  menschliche Leben umschließt. Geheimnisvoll bleibt, wann diese Zuwendung Gottes beginnt. Aber dass sie nicht mit unserem Tod endet, das ist mir gewiss. Jemand hat das die ‚Unbestimmtheit des Anfangs' genannt, und er wirbt dafür, dies als ein Geheimnis zu respektieren. Mir leuchtet das ein. Wenn es um Beziehungen geht, um Beziehungen zwischen Menschen oder die Beziehung zu Gott, kann man nicht immer einen Zeitpunkt nennen, an dem alles angefangen hat, wohl aber einen Zeitraum, in dem die Beziehung entstanden und gewachsen ist. Es gab deutlich eine Zeit davor, wo sich zum Beispiel die Liebenden noch nicht kannten, und dann gibt es ebenso deutlich die Zeit, in der ‚alles anders' ist - und von der man hofft, sie wird nie enden. Wo war ich, bevor ich geboren wurde? Ich war in Gott versteckt. Wo werde ich sein, wenn ich gestorben bin? Ich bleibe in Gott geborgen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11422
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