SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

In dem Kinderbuch Momo von Michael Ende sagt der Straßenkehrer:

"Es ist so. Manchmal hat man eine lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang.
Das kann man niemals schaffen. Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Aber jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was da vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an. Man kriegt es mit der Angst. Zum Schluss ist man ganz aus der Puste und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken. Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, den nächsten Atemzug."

Ich finde, dieser Text spiegelt eine tiefe Wahrheit. Ziele werden erreichbar, indem ich Schritte gehe. Ich erreiche sie nicht, indem ich davon träume, nicht, indem ich gebannt den Berg von Arbeit anschaue, der vor mir liegt. Ziele sind zunächst einmal Orte, die ich erreichen will. Da gibt es Ziele in meinem Beruf. Ziele, die ich mir für einen Körper stecke, auf meinem Instrument, oder für eine Beziehung. Und das alles geht nur - in kleinen Schritten.

Freilich drängt sich die Frage auf: Was ist mein Hauptziel, das ganz große Lebensziel?

Bei Momo ist es das große Ziel des Straßenkehrers, einmal die ganze Straße.
Und dieses Ziel  ist zugleich seine Bestimmung, ist das, wofür er lebt und leben will.
Und auch da steckt eine Wahrheit drin. Das Lebensziel suche ich mir nicht aus, es ist meine Bestimmung, es wird mir gesetzt. Der Apostel Paulus nennt das Lebensziel der Christen sogar eine "himmlische Berufung", also etwas, das ihnen von Gott gesetzt ist. Er meint damit: Die Ewigkeit, die neue Existenz in Gottes Gegenwart, das ist das Ziel. Es ist so groß, dass er es aus eigener Kraft gar nicht erreichen könnte. (Philipper 3).

Doch auch bei diesem riesigen Ziel gilt: Schritt für Schritt.
Jeder neue Tag, den ich erlebe, ein Schritt. Jede berufliche Anforderung - ein Schritt.
Jeder gekehrte Meter, jeder Kontakt mit einem Menschen.
Ich schau nicht auf das Ziel, ich male es mir nicht aus und anderen auch nicht.
Ich weiß, dass es da ist, und dass es näherkommt, mit jedem Schritt.

Das ist für mich ein großer Trost. Ich werde, ich kann nicht alles erreichen, was ich mir für dieses kleine Leben vorgenommen habe. Aber ich muss es auch nicht unbedingt. Auch das Unvollendete, auch das Unerreichte gehört zum Erreichen dieses großen Zieles dazu.
Das große Ziel der Ewigkeit gibt allen kleinen Zielen und allen kleinen Schritten ihren Sinn.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11374
weiterlesen...