Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Der Abstieg vom Glauben zum Fürwahrhalten" - so lautet ein Kapitel in dem Buch des Theologen Harvey Cox: „Die Zukunft des Glaubens". „Der Abstieg vom Glauben zum Fürwahrhalten." - Gemeint ist das: Statt lebendige Erfahrungen im Glauben zu machen, begnügen sich viele damit, Dogmen und Glaubenssätze für wahr zu halten. Glauben erschöpft sich dann darin, Formeln zu wiederholen, die einem angelernt wurden und die man abfragen kann. Verhängnisvoll wird es dann noch, wenn eifernde Glaubenswächter darüber urteilen, wer gläubig ist und wer nicht. Im Alten Testament der Bibel gibt es eine Geschichte - für mich eine der schönsten - die zeigt, dass es auch ganz anders geht. (1 Samuel 3,1-21) Der alte Priester Eli tut Dienst an einer heiligen Stätte. Sein Schüler ist Samuel. Es ist davon auszugehen, dass Eli dem Samuel so manches in Sachen Religion und Glauben beigebracht hat. Dennoch heißt es da: „Samuel kannte den Herrn noch nicht." (3,7) Auf fast rührende Weise geht die Geschichte weiter: Gott braucht drei Anläufe, um dem erfahrenen Priester Eli zu signalisieren, dass er mit dem jungen Samuel Großes vorhat. Samuel wird Prophet und gilt als bedeutende Persönlichkeit in der Geschichte Israels. Samuel, „der Gott noch nicht kannte", der eine Weile brauchte, um zu erkennen, was Gott von ihm erwartete - er machte neue Erfahrungen mit Gott, Erfahrungen im Glauben. Glaube heißt für mich schon, dass ich mich umsehe, was glaubwürdige Christen im Laufe der Geschichte für Glaubenserfahrungen gemacht haben. Das bedeutet für mich lebendige „Tradition". Ich möchte aber auch offen bleiben für neue Erkenntnisse und Erfahrungen - im Verlauf meines Lebens; im Gespräch mit Menschen; im Umgang mit der Bibel. Gerade sie ist für mich zu einem Acker geworden, den ich nie abernten kann. Sie ist für mich zu einer Quelle geworden, die umso reichlicher strömt, je mehr ich aus ihr schöpfe. Der Glaube soll mich in eine tiefe Gottverbundenheit hinein führen und ich hoffe, dass es mir immer wieder gelingt, mich dafür zu öffnen. Der Glaube soll mein Leben immer wieder erneuern: Dass ich in meinem Innern freier werde. Dass ich tolerant bleibe und andere spüren lasse, dass sie anders sein dürfen als ich. Dass sie ihre eigenen Erfahrungen machen sollen. Und mir ist wichtig, dass ich die Liebe im Blick behalte, die mich menschlich und im Glauben weiter bringt, vielmehr: Glaube ist!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11253
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