SWR1 3vor8

SWR1 3vor8

Es gibt Konflikte, aus denen findet man schwer wieder heraus. Erst recht, wenn sie schon lange schwelen. Wenn die beteiligten Parteien alles Mögliche in sich aufgestaut haben und auf einmal gibt es einen Knall und die Vorwürfe aus vielen Monaten fliegen einem regelrecht um die Ohren. Das kann mal ein reinigendes Gewitter sein. Aber es kann auch Verletzungen geben und noch mehr Wut. Dann ist es schwer, da wieder heraus zu kommen. Sie kennen das und ich auch. Wie kommt man dann weiter, wenn man doch eigentlich weiter miteinander arbeiten oder gar leben will?
Verzeihen wäre gut, sollte man denken, gerade als Christenmensch. Sich versöhnen. Dann ist die Sache aus der Welt und man kann neu anfangen, unbelastet von dem, was war.
Aber das wissen wir ja noch aus der Kindheit: Wenn da einer von den Großen von oben herab nach einem Streit gesagt hat: Nun gebt euch mal die Hand und sagt, dass es euch leid tut und vertragt euch - das geht einfach nicht.
Erst Verzeihen, dann wird auch der Neuanfang möglich. Das haben in biblischer Zeit auch Josefs Brüder gedacht. Auch sie hatten einen schweren Konflikt hatten ihrem Bruder richtig übel mitgespielt. Beinahe hätten sie sein Leben ruiniert. Zum Glück ging für ihn am Ende alles gut aus. Da sehen sie sich wieder. Nach Jahrzehnten. Die Brüder jetzt als Bittsteller. Sie sind auf Josef angewiesen und auf seine Hilfe. Auf Knien bitten sie ihn: Vergib uns, was wir dir angetan haben. Wenn er uns verzeiht, hoffen sie, dann geht ein Neuanfang. Dann wird er uns vielleicht auch helfen.
Aber Josef kann nicht. Wahrscheinlich steckt ihm noch immer in den Knochen, was gewesen ist. „Stehe ich denn an Gottes Statt?" (1. Mose 50, 19) fragt er seine Brüder. Vergeben ist Gottes Sache, soll das wohl heißen. Wenn er einem Menschen die Kraft gibt, dann kann der es vielleicht auch. Aber Josef kann es noch nicht. Aber er kann etwas anderes: anfangen. Einen ersten Schritt machen. Er sieht die Not seiner Brüder. Er spürt vielleicht auch seine eigene Einsamkeit, die er so lange getragen hat im fremden Land ohne seine Familie. Deshalb sagt er zu ihnen: „Macht euch keine Sorgen. Ich werde euch und euren Kindern helfen." Zuerst also der Neuanfang. Sie hatten um Hilfe gebeten, die will er ihnen geben. Sie sind seine Brüder. Vielleicht tut es auch ihm leid, dass sie irgendwann auseinander geraten sind. Vielleicht weiß er längst, dass auch er einen Teil Schuld daran trägt, was gewesen ist. Er ist ja nicht Gott. Auch er ist nicht vollkommen.
Mehr erfährt man in der Bibel nicht von dieser Geschichte. Aber ich denke mir: Wenn dieser erste Schritt, dieser Neuanfang gelingt, dann kann neue Nähe wachsen und Vertrauen. Und vielleicht wird dann auch Vergebung möglich - irgendwann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11098
weiterlesen...