Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Der Mensch ist an drei Proben zu erkennen: Erzürne ihn, berausche ihn oder teile ein Erbe mit ihm." Diesen Spruch habe ich mal auf einem Kalender gelesen und er kommt mir immer wieder in den Sinn.
Sicher, der Mensch ist noch an vielen anderen Dingen zu erkennen, aber diese drei Zustände sind schon interessant und sagen viel über ihn aus. Der Zorn zum Beispiel. Was muss passieren, dass jemand richtig zornig wird? Und wie sieht das dann aus? Rastet er dann aus? Ich habe gelernt die Dinge sich nicht mehr so lange aufstauen zu lassen bis mir der Kragen platzt, sondern schon vorher den Dampf abzulassen. Früher sagen wenn mir etwas nicht passt oder wenn ich mich ungerecht behandelt fühle.
Spaßiger ist es, wenn manche Menschen beschwipst sind. Da werden zuweilen die Stillen laut und die Ängstlichen mutig. Oder Brave hauen über die Stränge und die Unscheinbaren werden aggressiv. Der Rausch verändert den Menschen. Er vertieft oder verdeutlicht Eigenschaften oder ruft ganz andere hervor. Und dann wundern sich die Anderen oder sind erschreckt darüber, was so alles in einem Menschen steckt. Wo man ihn doch so gut zu kennen meinte.
Dass man sich wundert oder erschreckt, das gibt es leider auch bei Erbschaften. Das zeigt sich an den vielen Erbstreitigkeiten, die nicht selten vor Gericht enden. Ein Freund von mir, er ist Priester, musste sogar  schon Leute aus einem Sterbezimmer werfen. Weil da schon die Erbstreitigkeiten angefangen hatten. Es gibt nichts was es nicht gibt. Willst du also einen Menschen erkennen, so teile ein Erbe mit ihm.
Warum eigentlich? Vielleicht, weil beim Erben so klar die Chance besteht den Besitz zu vermehren. Oder einfach nur das zu bekommen, was einem
zusteht oder was einem wichtig ist. Nicht nur materiell. Beim Erben geht es auch um Gefühle. Es geht um Gerechtigkeit, um bekommen und haben und damit eben auch ums Teilen. Und da zeigt sich schon sehr viel von einem Menschen. Denk ich zuerst an den anderen oder denk ich zuerst mich? Diese Frage ist interessant. Allein schon die Reihenfolge: kommt der andere zuerst oder ich? Und obendrein stellt sich diese Frage auch für den anderen. Fragt er mich zuerst oder bin ich ihm zunächst einmal egal? Und so ist es bei vielem im Leben. Wer ich wirklich bin erkenne ich oft erst in der Begegnung mit dem anderen.

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