SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

Lebensdurst kann quälend sein.
Ich kenne es auch. Man hat das Gefühl, am Leben zu sein, aber nicht wirklich zu leben.
Man hat so einen Geschmack auf der Zunge, ist aber mit dem Wenigen nicht zufrieden.
Man kann versuchen, diesen Durst materiell zu stillen. Nicht zufällig gab es ein Versandhaus mit dem Namen »Quelle«. Prinzip: Kaufe dich satt - und du hast ein erfülltes Leben. Aber auch andere Quellen locken: Bücher. Musik. Reisen. Sport. Möglichkeiten, den Lebensdurst zu stillen, gibt es viele.
Durst, so hat mal jemand gesagt, ist ein Beweis für die Existenz von Wasser.
Lebensdurst wäre dann ein Beweis für die Existenz von Leben, ich meine: von einem echten, erfüllten Leben. Und in der Bibel ist beides untrennbar verbunden. Nicht zufällig war in Israel die Frage nach Wasser immer auch eine religiöse Frage.
Ohne Wasser kann ein Volk, ein Land nicht überleben.
Und daher ist die Versorgung mit trinkbarem Wasser ein existentielles Problem.
Wasser war und ist immer auch ein handfestes Zeichen für himmlischen Segen.
Ein Fest, bei dem die Juden bis heute um diesen Wassersegen beten, ist das Laubhüttenfest.
Ab Mai regnet es in Israel nicht mehr. Die Trockenzeit dauert bis etwa Oktober.
Dann kommt alles darauf an, dass der Regen wieder einsetzt, dass das Wasser wieder fließt, dass Menschen und Tiere trinken können und das Getreide wieder wächst. Darum baten die Juden schon zur Zeit Jesu mit einer prächtigen Zeremonie. Da blasen vom Tempel die Posaunen, und die Priester steigen mit einem goldenen Krug vom Tempelplatz weit hinunter zum Teich Siloah.
Dort schöpfen sie das kostbare Nass und tragen es in einer Prozession hinauf in den Tempel.
Dort schütten sie das Wasser vor den Altar. Ein Opfer. Ein feierlicher Augenblick.
»Wer da Durst hat, der komme zu mir und trinke.« (Johannes 7,37)
Jesus war auch unter den Festpilgern, berichtet die Bibel. Und ich stelle mir vor, wie Jesus diese Worte laut in die feierliche Stille hineinruft, provozierend und einladend. Wasser kriegt ihr bei mir. Worum ihr betet, was ihr euch erhofft, das erfülle ich und noch viel mehr. Äußeres Wasser ist wichtig, ja. Aber ich stille auch den anderen, inneren Durst. Ohne Wasser kein Leben, und ohne mich, so will Jesus sagen, gibt es kein erfülltes, kein bleibendes Leben.
Die Menschen damals hat das sehr geärgert, so erzählt es die Bibel.
Wie und warum sollte ausgerechnet dieser den Lebensdurst stillen?
Was unterscheidet ihn von anderen Lebensquellen?
Während der Sommermonate gab es in Israel nur zwei Wassersorten: Das eine war Zisternen- oder Brunnenwasser, also Wasser, das von der Regenzeit noch übrig war, das man aufbewahrte.
Aber das war altes, stickiges Wasser, übel riechend, oft voller Krankheitskeime. Totes Wasser eben.
Das andere nannte man lebendiges Wasser: Wasser aus einer Quelle, die nicht austrocknet, sondern immer neues und klares Wasser schenkt und gibt, erfrischend und vor allem: gesund.
Jesus vergleicht sich mit einem solchen lebendigen Wasser.
Keine abgestandene Brühe, keine tödlichen Keime. Kraft zum Leben. Geschärfte Sinne.
Vor allem aber: Dankbarkeit. Ich denke hier nochmal an die schönen Lebens-Durstlöscher, an Nahrung, Musik, Bücher, frische Luft und Sonnenlicht. Und ich sage. danke lieber Gott, und wenn die Zeit vorbei ist, wo ich das genießen kann, wirst du etwas neues für mich bereitstellen.
Heute ist Sonntag. Für mich ist jeder Gottesdienst ein Wasserfest.
Ja, ich habe Durst nach Leben.
Dort kann ich trinken. Ich trinke Lebensmut und Zuversicht, ich schöpfe Kraft für durstige Strecken.
Wasser ist Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10935
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