SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Nachts um halb drei. Eine Frau wacht auf , denn sie hat ein Geräusch  gehört. Sie tastet nach ihrem Ehemann, doch sein Bett ist leer. Beunruhigt steht sie auf, tappt auf bloßen Füßen zur Küche und macht   das Licht an. Da steht ihr Mann, auf dem Tisch neben sich einen leeren Teller und das Brotmesser,  auf der Tischdecke ganz deutlich: Krümel.  Ihr Mann hat sich ein Brot abgeschnitten -  heimlich. Denn es ist Nachkriegszeit, Hungerzeit. Brot ist rationiert und jedem steht täglich nur ein bestimmtes Maß zu. Da hilft keine Ausrede: Ihr Mann hat sie -  aus Hunger -   hintergangen. - Wie sie als Ehefrau darauf reagiert, das ist eine Liebesgeschichte im Kleinen: Sie tut so, als habe sie nichts bemerkt  und geht mit ihm zusammen wieder zu Bett. Sie hört, wie er im Dunkeln vorsichtig kaut, stellt sich aber schlafend.
Am nächsten Abend  schiebt sie ihm eine Scheibe Brot von ihrem Anteil hin und behauptet: „Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss du man eine mehr." Er weiß, dass sie ihm zuliebe lügt, beugt sich vor Scham tief über seinen Teller und wagt nicht mehr aufzusehen. Da tut er  ihr leid. Diese Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert hat den einfachen Titel „Das Brot". Sie schildert Verhältnisse, die es in unserem Land - Gott sei Dank - so nicht mehr gibt: Brot war Mangelware, heiß begehrt und gierig verschlungen. Eine alte Dame erzählte mir, dass sie in den Nachkriegsjahren  das ihr zugeteilte Brot ganz hinten auf einem hohen Schrank deponierte, damit sie es, wenn sie der Hunger packte, ihren Kindern nicht so leicht weg essen konnte.
Was bedeutet uns Brot heute? Die Bäckerläden sind voll, viele verschiedene Brotsorten stehen uns zur Verfügung - nicht selten kann man im Müll halbe oder ganze Brotlaibe entdecken.
In meiner Kindheit hatten wir zu Hause einen großen hellbraunen Holzteller, auf dessen Rand die Vaterunser-Bitte  eingeschnitzt war: „Unser tägliches Brot gib uns heute!"  Immer wenn Brot aufgetragen wurde, kam es uns vor Augen,  und so prägte sich mir seine Botschaft ein:  Wir brauchen Brot, wir brauchen Lebens-Mittel, - immer, jeden Tag!  Dank Kühlschrank und Gefriertruhe können wir zwar die Illusion hegen, wir könnten uns selbst versorgen. Doch spätestens die  jüngste Lebensmittelkrise, der Ausbruch der EHEC-Krankheit,  machte dramatisch klar: Jeden Tag sind wir   bedürftig und abhängig von den Gaben der Natur. Wir können die Erde und ihre Früchte nutzen, erschaffen können wir sie nicht.
Wer Brot zu essen hat, hat allen Grund  sich darüber zu freuen und es dankbar zu genießen.  Das heutige Fronleichnamsfest hat nicht zuletzt diesen Sinn: uns an das kostbare Lebensmittel „Brot"  zu erinnern und damit an all das, was wir zum Leben nötig haben.

2. Teil Fronleichnam - was ist das? 

Heute feiert die katholische Kirche das Fest Fronleichnam. Das Wort stammt aus dem Mittelhochdeutschen und heißt übersetzt: „Leib des Herrn". Was wird da  gefeiert? Bei der Fronleichnamsprozession ziehen Menschen hinter einem Baldachin her, unter dem  ein  Priester in festlich weißem Gewand geht. In den verhüllten Händen trägt er   die sogenannte  Hostie, eine runde weiße Brotscheibe. Messdiener, Fahnen, Blumen und Musik gehören  dazu - alles zu Ehren des Heiligen Brotes, das hier über Straßen und Plätze getragen wird. Als Jesus zum letzten Mal vor seinem Tod mit seinen Freundinnen und Freunden zusammen war, nahm er Brot und Wein und deutete sie auf sich selbst. Sein ganzes Leben war ja „Brot"  und „Wein" für die Menschen gewesen: Er lebte nicht für sich selbst, sondern für seine Botschaft von der unbedingten Liebe Gottes. Und so wanderte er unermüdlich durch das Land, sprach zu den Menschen, heilte viele durch seine Ausstrahlung und legte sich dabei mit den Großen der Gesellschaft an.  Seine Hingabe endete grausam und blutig: am Kreuz.
Auf diesen Karfreitag folgte die Erfahrung von Ostern. Sie war so „umwerfend", dass die Anhänger Jesu andere damit „ansteckten":  Jesus lebt und er ruft sie in seine Nachfolge.  Wo sie in seinem Namen zum Gottesdienst  zusammenkommen, feiern sie seine Gegenwart im Zeichen des Brotes, unter dieser unscheinbaren Gestalt, die so sehr zu seinem Leben passt. In einer schlichten, fast alltäglichen Handlung:   in dem gemeinsamen Mahl mit anderen   ist er zu finden.
Wenn die Kirche die Gegenwart ihres Herrn im  Brot feiert, bekennt sie sich zugleich zu ihrem eigenen Auftrag: Sie ist nicht für sich selbst da, sondern sie soll den  Menschen das Brot reichen, das Jesus ihr gegeben hat. „Gebt ihr ihnen zu essen"; sagte er zu seinen Jüngern, als er eine hungernde Volksmenge vor sich sah.
Und die Kirche tut es, wenn  auch unvollkommen und fehlerhaft:
Engagierte Christen verkünden Jesus und seine Botschaft seit über 2000 Jahren, nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch ihr Leben. Ob im unscheinbaren Alltag, ob in großen sozialen Werken:  Nächstenliebe auf den Spuren Jesu ist nicht nur ein Wort! Wo Menschen an ihre  Grenzen kommen - in Schuld und Krankheit, Alter und Tod - sagt die Kirche, sagen Gläubige das tröstende Wort Jesu weiter: „Ich bin das Brot des Lebens ... Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben" (Johannes 6, 48.51). 
Das Fest Fronleichnam lädt dazu ein, dass wir uns dieser Hoffnung  anzuvertrauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10869
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