Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es gibt bestimmte Zeiten, da gehört es sich nicht zu stören. Da klingelt man nicht einfach, um ein Päckchen Bachpulver zu borgen, und man ruft auch nicht an, es sei denn, es gibt was ganz Dringendes.Bei Vielen gehören dazu die Abendnachrichten. Diese Viertelstunde ist fest reserviert. Denn da erfährt man, ob die Welt noch steht. Und was auf ihr Weltbewegendes geschehen ist an diesem Tag.
Deshalb drücke ich jeden Abend erwartungsvoll auf den Knopf. Natürlich ist da auch ein bisschen Sensationslust dabei. Das merke ich daran, dass ich Nachrichten, die nicht wirklich spektakulär sind, schnell langweilig finde, auch wenn es um wichtiges Dinge geht. So sind wir halt. Die Nachrichtenmacher stehen immer vor der Frage: Welche von den unzähligen Nachrichten, die über den Ticker der Agenturen eingehen, geben wir weiter? Was ist wichtig? Aber auch: was interessiert die Leute? Was verdient in der knappen Sendezeit Beachtung, was kann dafür wegfallen? Ich muss keine Fernsehnachrichten machen. Nur anschauen, das ist einfacher.  Aber später, bevor ich den Tag abschließe, da mach ich mir manchmal noch meine eigene Tagesschau. Meine persönliche Schau auf den Tag, der zu Ende geht. Ich hole ihn nochmals kurz her, ich sehe Schönes und Schwieriges, Geglücktes und Vermasseltes, Überraschendes und Eintöniges, Halbfertiges und Vieles, was ich noch gar nicht einschätzen kann. Manches ist mir zugefallen wie ein Geschenk, anderes hätte ich gern verhindert und bin enttäuscht, dass ich's nicht geschafft habe. All das ist oft eine wirre Mischung. Dann frag ich mich: Was war für mich heute wichtig? Und was hat sich vielleicht nur wichtig gemacht? Was wird bleiben von dem Vielen, das ich heute erlebt, gesehen, gehört, gesagt oder gedacht habe? Was davon will ich aufbewahren? Und was soll wirklich mit diesem Tag vergangen sein? Um das alles zu sortieren, brauch ich ein Kriterium, einen Anhaltspunkt. Und ich hab ihn für mich gefunden. Ich frage mich: Was von all dem ist aus Liebe geschehen? Ich glaube nämlich, das ist es, was wirklich wichtig ist und letztlich bleiben wird. Oft sind es nicht mehr als Kleinigkeiten, die eher beiläufig geschehen. Ich schau sie dann nochmals an und versuche sie mir zu merken. Meistens ohne Erfolg. Aber das macht nichts, denn ich bin sicher, es gibt ein großes Gedächtnis der Liebe, in dem alles Platz hat und nichts nebensächlich ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10866
weiterlesen...