Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es gibt ein paar Feste, die passen nicht in einen Tag hinein. Die brauchen zwei Tage, um  gefeiert zu werden. Dabei ist der zweite Tag nicht einfach bloß die Verlängerung des ers­ten. Pfingstmontag - schon der Name macht deutlich, dass dieser Tag so was wie eine Brücke ist, die das Fest mit dem Alltag verbindet.
Es ist gut, dass es solche Übergänge gibt. Denn der Ort, an dem sich zeigen muss, was mein Glaube wirklich taugt, ist der Alltag. Bewähren kann sich der Glaube nur, wenn er hineingewoben wird in unsere Arbeit und in unsere Liebe, in unsere Nächte und Tage, in unsere Tränen und in unseren Trost.
Wenn ich der Spur des Geistes in meinem Leben folge, dann lande ich immer wieder bei der Sehnsucht - bei der Sehnsucht nach Glück, nach Sinn, nach Gelingen. Bei der Sehnsucht nach Leben. 
Es ist schon etwas Merkwürdiges, was uns da ins Herz gelegt ist. Eine Sehnsucht, die uns ein Leben lang nicht zur Ruhe kommen lässt. Sie hat viele Gesichter, und sie zeigt sich in jedem Lebensalter immer wieder anders. Die große Liebe, der Traumberuf, eine Familie, eine Weltreise, an vieles kann sich diese Sehnsucht hängen. Und selbst wenn man all das erreichen könnte, würde sie keine Ruhe geben, jene bohrende Unruhe, die sagt: Das alles kann doch nicht alles sein! Es muss im Leben mehr als alles geben [1].
Aber so lästig sie auch sein kann, diese Unruhe - wer hat sie mir denn ins Herz gelegt? Wer könnte sie uns denn ins Herz gelegt haben, wenn nicht er selbst, der Schöpfer, der Schöpfer-Geist? Und wozu? Damit uns die Ahnung niemals verloren geht, woher wir kommen, wem wir gehören und wofür wir bestimmt sind.
Aus dem Geist leben kann dann auch heißen: Die Sehnsucht nicht betäuben, sondern wahrnehmen. Wahr sein lassen, wo immer sie sich meldet. Ja, mehr noch: Diese lebendige Unruhe in uns heilig halten, sie achten als göttlichen Funken, den der Schöpfer selbst in uns geschlagen hat. Dieses Zittern der Seele gehört zu uns, auch, wenn es manchmal groteske Blüten treibt oder uns sogar in die Irre führt. 
Die Sehnsucht lässt sich im irdischen Leben nie wirklich stillen. Sie bleibt offen, und sie hält uns offen. Damit wir nicht vorschnell glauben, wir seien schon am Ziel. 


[1] Maurice Dendak, Higgelti Piggelti Pop! Oder: Es muss im Leben mehr als alles geben, übersetzt von Hildegard Krahé, Zürich 1969. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10861
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