Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute ist „Christi Himmelfahrt". Trotzdem möchte ich zunächst über St. Martin sprechen. St. Martin zu Pferd teilt von oben mit dem unten, am Boden knienden Bettler seinen Mantel. - Dieses Bild ist vielen vertraut. Es ist zu einem Symbol der Nächstenliebe geworden - von scheinbar zeitloser Gültigkeit. Die älteste erhaltene Darstellung zeigt die Geschichte aber ganz anders. Es ist eine Buchmalerei aus Fulda, entstanden vor über 1000 Jahren. Martin begegnet da dem Bettler auf Augenhöhe. Beide stehen auf dem selben Boden. Sie begegnen einander mit Respekt und Wertschätzung. Von einem Pferd keine Spur. Warum erzähle ich das am Fest „Christi Himmelfahrt" - St. Martin ist doch am 11. November? Aus zwei Gründen: Zum einen wird in diesen Wochen - auch heute - an verschiedenen Orten der neue „Martinsweg" durch die württembergische Diözese Rottenburg-Stuttgart vorgestellt. St. Martin ist der Diözesan-Patron. Der 1200 km lange Weg verbindet die Martinskirchen miteinander. Die Hinweisschilder - ein schmales gelbes Kreuz auf dunkelrotem Grund - zeigen dem Pilger den Weg. Der „Martinsweg" hier ist Teil der europäischen „Via Sancti Martini". Er geht von Szombately in Ungarn, dem Geburtsort von Martin, bis nach Tours in Frankreich. Dort hat Martin als Bischof gewirkt, dort ist er gestorben. Vor  6 Jahren hat der Europarat den „Martinsweg" in die Liste der „europäischen Kulturwege" aufgenommen. - Der alte „Jakobsweg" nach Santiago de Compostela in Spanien hat einen würdigen jungen Partner gefunden. Ein zweiter Gedanke: Wenn ich diese Mantelteilung in Augenhöhe anschaue, dann erkenne ich darin ein starkes Symbol für den überfälligen Dialogprozess in meiner krisengeschüttelten Katholischen Kirche. Nicht mehr nach dem gewohnten hierarchischen Schema „von oben nach unten", sondern: Im Zeichen von St. Martin einander in Augenhöhe begegnen. Ich halte das für eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine Erneuerung meiner Kirche im Geiste Jesu überhaupt zustande kommt. Und das sollte geschehen im Vertrauen auf Jesus, der ganz zu Gott gegangen ist. Die Christen erinnern heute daran, am Fest „Christi Himmelfahrt". Und wie den eingeschüchterten Freundinnen und Freunden damals - macht Jesus auch heute Mut: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt!" (Matthäus 28,20)  Auch dann, wenn es schwierig wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10715
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