Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Glauben heißt Spannung aushalten" - der Theologe Karl Rahner hat das gesagt. Was für eine Spannung gilt es da auszuhalten? Ich möchte Ihnen erzählen, wo ich in meinem Glauben immer wieder Spannungen aushalten muss. An Gott glauben - das ist für mich sehr wichtig, lebenswichtig. Ich spüre Gott sehr nahe: in meinem Herzen, in meinem Innern, rundum. Wenn ich glücklich bin mit einem Menschen, eine Sache so richtig gelingt. Und dann gibt es wieder Zeiten, da ist mir Gott sehr ferne. Da erfahre ich ihn weit weg von dem, was mich bewegt. Mich treiben Glaubenszweifel  um. Die Spannung, Gott sehr nahe zu erfahren und dann wieder weit weg - diese Spannung auszuhalten fällt mir nicht immer leicht. Was mir dabei hilft, ist der Gedanke, dass ich mit solchen Erfahrungen nicht alleine bin. Die unvergessene Mutter Teresa - für viele eine Heilige - hat sich längst nicht immer fest mit Gott verbunden gefühlt. In einer Tagebuchnotiz hält sie fest: „Da ist nichts mehr, wohin ich mich wenden könnte: kein Gott, kein Vater, kein Hirte und kein Gegenüber; nur diese erschreckende Leere." (In: Komm, sei mir Licht, Pattloch Verlag 2007) Ich denke auch an den Propheten Jeremia. Er hat Gott aus ganzem Herzen gedient. Es ist für ihn das größte Glück gewesen, an Gott zu denken. Und dann wird ihm sein Beruf derart zur Last, dass Jeremia seinen Gott anklagt: „Wie ein versiegender Bach bist du mir geworden, du unzuverlässiges Wasser." (15,18)  So etwas geht mir unter die Haut. Die Spannung von Gottes Nähe und Gottes Ferne auszuhalten heißt für mich aber auch das: Ich muss nicht behutsam mit Gott umgehen, als ob er sonst - wenn ich es nicht tue - beleidigt wäre. In der religiösen Erziehung hat man das einem lange genug beigebracht: Ja nicht mit Gott hadern und nicht über den Glauben grübeln. Nein, ich darf mit Gott umgehen, wie es mir ums Herz ist. Ich kann dankbar sein und Vertrauen haben. Ich darf aber auch zweifeln. Ich kann schweigen, aber auch schreien und klagen. Ich muss nicht ein für alle mal sicher und fertig sein in meinem Glauben. Der kann durchaus - wie mein Leben auch - eine wechselvolle Geschichte haben, mit Spannungen eben, die es auszuhalten gilt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10713
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