Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Eigentlich ist es etwas Gutes, dass Menschen vergessen können. Sogar schlimme Dinge. Ohne Vergessen wäre das Leben viel schwerer. Keine Frau -hat mir mal eine Hebamme gesagt- würde freiwillig noch mal ein Kind auf die Welt bringen, wenn sie die Schmerzen bei der Geburt nicht zum Teil vergessen würde. Und was für eine Mutter gilt, gilt auch für ganze Völker. Sogar Erinnerungen an ganz schlimme Katastrophen, die ein Land erlebt hat, werden blasser. Gott sei Dank. Man kann nur neu leben, wenn man schlimme Erinnerungen vergessen kann.
Aber zu vergessen hat auch seine Schattenseiten. Mit der Erinnerung verblassen auch die Lehren der Vergangenheit. Man lebt leichter, aber vielleicht auch leicht-sinniger.
Nehmen Sie den heutigen Tag, den 8. Mai. Heute vor 66 Jahren sind die schlimmsten 12 deutschen Jahre zu Ende gegangen.
Ist weit weg, oder? Mehr als 2 Generationen.
Die meisten, die diese Jahre aktiv erlebt haben, leben nicht mehr oder sind alt. Unter den aktiven Politikern z.B. gibt es keinen mehr. Das war einmal anders Helmut Schmidt zum Beispiel hat das Grauen des Krieges selbst erlebt und ist in die Politik gegangen um so etwas zu verhindern.
Für die meisten von uns, aktive Politiker wie Normalbürger, sind das Leid und die Gräuel des 2. Weltkrieges fremde Erinnerungen. Und die Lehren von damals?
Geht bei mir und vielen die Beteiligung am Krieg in Afghanistan vielleicht leichter durch den Filter des Gewissen, weil uns Krieg nie selbst weh getan hat? Habe ich vielleicht deshalb zu viel Zutrauen in militärische Lösungen wie in Libyen? Leicht-Sinn, weil Katastrophen-Erinnerungen blass werden?
Was kann dann vor Leicht-Sinn bewahren, wenn Erinnerung der Vergangenheit blasser wird. Vielleicht, wenn wir in die Zukunft schauen. Und Gewaltlosigkeit und Frieden als Ziele viel wichtiger nehmen, größer schreiben. Das Ziel eines gerechten Friedens. Nicht als vage Utopie für den Irgendwann-Tag. Sondern als praktisches Zukunftsbild, das motiviert und unser praktisches Denken und Handeln bestimmt. Schon bevor Gewalt und Krieg ausbrechen. Bevor sie als „letztes Mittel" zum Einsatz kommen müssen. Jesus sagt einmal über die Stadt Jerusalem: „Wenn Du doch erkennen würdest, was Dir Frieden bringt?" Und ‚erkennen' heißt bei ihm immer auch „lieben" und „entsprechend leben". Den Frieden als Ziel lieben, stark machen. Im politischen Alltag. Gewaltlosigkeit auch im normalen Leben. Vielleicht kann das helfen, dass wir nicht leicht-sinnig werden in Sachen Krieg und Gewalt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10628
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