Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ein Gasthof in Baden-Baden trägt den seltsamen Namen „Baldreit". Dazu gibt es die Sage von einem schwerkranken Mann, der dorthin kam, um gesund zu werden. Es ging ihm so schlecht, dass der Wirt auf ein gutes Geschäft hoffen konnte: „Der Patient macht mich bald reich", soll der Wirt gesagt haben. Doch der Kranke erholt sich schneller als erwartet. Mit den Worten „bald reit ich wieder" kann er sich nach kurzer Zeit wieder aufs Pferd schwingen. Bis heute trägt deshalb das Gasthaus den Namen „Baldreit". Gesund sein, schnell wieder gesund werden, das ist für die meisten Menschen der wichtigste Wunsch. Und alle, die irgendwie im Gesundheitswesen tätig sind, leben von diesem Wunsch. Gesundheit ist auch ein Geschäft. Ein teures Gut in vielfacher Hinsicht. Aber ist sie auch das höchste Gut? Wie viele Menschen sind nicht gesund, werden auch nicht wieder gesund! Wie viele müssen mit Krankheit leben, mit körperlichen und seelischen Leiden! Es ist doch nicht der „Normalfall", dass mir nichts fehlt. Ich kann nicht selbstverständlich erwarten, gesund zu sein. Es ist ein Segen, dass wir heute soviel tun können, um Menschen zu heilen, um Beschwerden zu lindern und vorzubeugen. Das ist das Eine. Mit Krankheit, mit Schwäche leben lernen ist das andere. Das ist auch eine Sache der Einstellung. Ob ich mich und andere auch dann wertschätze, wenn wir krank sind, ob Kranke trotz und mit Krankheit am sozialen Leben teilnehmen können, das bedeutet viel. Denn dazugehören, gefragt sein und vertrauen können sind ebenso hohe Güter wie Gesundheit. Gesundheit war und ist ein Markt. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Auch nicht daran, dass Gesundheit zum Teil eine Frage des Geldes ist. Zu oft gilt immer noch: wer arm ist, stirbt früher. Aber vielleicht müssen wir auch mehr nachdenken über die Hauptsache-gesund-Mentalität. Das nähme auch den Druck weg, immer alles versuchen zu müssen. Es würde manchen aussichtslosen Kampf ersparen. Wenn ich nicht um jeden Preis gesund sein muß, wird der Blick frei für Lebensqualität, die da ist, auch bei Krankheit. Und es ist realistisch, wenn ich die Grenzen des Lebens annehmen kann und an diesen Grenzen wachsen, und wenn ich sogar vertrauen kann über diese Grenzen hinaus.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10555
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