Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Natürlich ist er mir sympathisch, der Apostel Thomas, dessen Geschichte heute in vielen Kirchen gelesen wird. Man nennt ihn den „Ungläubigen". Ich finde, daß er vor allem ein denkender und fühlender Mensch ist. Seine Geschichte steht im Johannesevangelium, Kapitel 20, und ist schnell erzählt. Jesus erscheint am Osterabend seinen Jüngern, Thomas ist gerade nicht dabei. Und er glaubt den andern nicht, daß Jesus, der Gekreuzigte, bei ihnen war. „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meine Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht." Kurz darauf erfüllt sich sein Wunsch. Jesus erscheint wieder seinen Jüngern, diesmal ist Thomas dabei und darf die Wunden Jesu berühren. Thomas mußte es genau wissen. Er will begreifen. Aber vielleicht ist sein Problem gar nicht so sehr ein Glaubensproblem. Vielleicht ist sein Problem die Frage: warum leiden Menschen? Und diese Frage ist für ihn durch die Auferstehung Jesu nicht automatisch beantwortet. Schließlich hat Jesus ja unsäglich gelitten, andere Menschen haben vielleicht noch mehr auszuhalten. Soll das alles nichts sein? Wie weggeblasen? Vergessen durch die Auferstehung? Thomas fragt so, für sich selber, und stellvertretend auch für alle, die leiden, die vielleicht sogar schier zusammenbrechen unter der Last der Leiden, die das Leben oder die Menschen ihnen zufügen. Thomas ist noch nicht fertig mit dem Kreuz. Er verlangt, am Auferstandenen die Spuren seiner Leiden zu sehen. Denn was dort am Kreuz geschehen ist, kann niemand ungeschehen machen, auch Gott nicht. Deshalb will Thomas den Auferstandenen auch als den Gekreuzigten sehen. Gott muß ihm bestätigen, daß Leiden Sinn hat, auch wenn er selber es nicht begreifen kann. In dem Moment, als ihm Jesus mit den Wundmalen erscheint, ruft Thomas aus: „Mein Herr und mein Gott!" In dem geschundenen Jesus erkennt Thomas Gott an. Was immer ein Mensch zu erdulden hat, was immer das Leiden aus einem Menschen macht, wie er es besteht, so gerade ist er in der Hand Gottes geborgen. Damit wird Leiden beileibe nicht verherrlicht. Aber es wird nicht einfach zurückgelassen, wenn wir sterben und wenn wir auferstehen. Es ist nicht Abfall, Restmüll, der zurückbleibt. Sondern es ist und bleibt ein Stück von uns. Die Frage, warum wir leiden, ist damit nicht geklärt. Sie bleibt offen. Aber vielleicht lässt sie sich aushalten im Blick auf den Auferstandenen mit den Wundmalen.

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