SWR1 3vor8

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Karfreitag

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Das sind Worte des Karfreitags. Der sterbende Jesus hat sie am Kreuz geschrien - so steht es im Markusevangelium. Ein Widerspruch in sich: Von Gott verlassen sein und mit ihm reden - geht das zusammen? Ich glaube, Ja. Denn da steckt beides drin: von Gott ist nichts zu spüren, er hilft nicht, tröstet nicht, verteidigt nicht, rettet nicht. Er ist nicht da, als Jesus ihn am Nötigsten braucht. Gleichzeitig der Funken von Vertrauen: Ich kann ihn wenigstens anschreien. Ich fühle mich total verlassen, aber vielleicht hört er mich doch.
Was Jesus hier schreit und was immer wieder Menschen so oder so ähnlich rufen, ist der Anfang von Psalm 22, einem 3000 Jahre alten Gebet. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage", so geht es weiter. Und dann: „Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe." Immer wieder geht es hin und her: „Dir haben unsere Väter vertraut, ...und du hast sie gerettet." So besinnt sich der verzweifelt betende Mensch auf die Erfahrungen seiner Vorfahren - und ist gleich wieder in seiner eigenen furchtbaren Gegenwart: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet", und schließlich: „Von Geburt an bin ich geworfen auf dich, vom Mutterleib an bist du mein Gott".So geht es hin und her in diesem Gebet, bis es gegen Ende heißt: „Ich will dich preisen, Herr, denn du hast das Elend des Armen nicht verachtet, du hast dein Gesicht nicht verborgen, du hast auf sein Schreien gehört. Ich preise deine Treue." Vielleicht hat Jesus bei seinem Schrei am Kreuz diesen ganzen Psalm mitgedacht oder mitgefühlt. Jedenfalls gibt es diese Praxis in der jüdischen Frömmigkeit: wer den Anfang eines Psalms betet, meint damit den ganzen Psalm. Niemand weiß, ob das bei Jesus damals auch so war. Karfreitag. Der heutige Tag erinnert an den Tod Jesu. Er würdigt dabei die abgrundtiefe Verzweiflung, die Not auch glaubender Menschen mit einem Gott, der sich gerade in schlimmen Zeiten nicht spüren läss. Und die unzerstörbare Hoffnung, die, auch in aussichtslosen Situationen immer wieder aufkeimt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10500
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