SWR1 3vor8

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Liebe macht blind, sagt man. Wenn man liebt, dann sieht man nur, was man sehen will. Vielleicht stimmt das ja, wenn man bis über beide Ohren verliebt ist und die Hormone verrückt spielen. Dann lässt man sich vielleicht, wie die Elfenkönigin in ihrem Sommernachtstraum, von einem Esel bezaubern - weil die Liebe sie blind gemacht hat. Das mag für jedermann und für jede Frau eine Warnung sein, wenn die Liebe einen allzu stark blendet.
Aus der Bibel lerne ich allerdings etwas anderes. Da gibt es eine Geschichte, die erinnert mich: Liebe macht neu. Liebe macht Menschen neu. Heute wird in den evangelischen Gottesdiensten diese Geschichte erzählt. Sie handelt von einer Frau. Anscheinend ist sie wohlhabend. Sie besitzt ein Fläschchen mit einem kostbaren Parfum. Eigentlich müsste man damit ganz sparsam umgehen bei dem Preis und es nur zu besonderen Gelegenheiten verwenden. Aber die Frau will etwas anderes. Sie will mehr. Kurzerhand bricht sie den schmalen Hals des Fläschchens ab. Das Fläschchen war aus Alabaster, das ist weich, da ging das. Und dann gießt sie den ganzen Inhalt Jesus auf den Kopf: Superteures Parfumöl. Auf diese Weise wurden damals nur die Könige gesalbt. Das war wie eine Krönung. Das war eine Auszeichnung. Mit solchem Öl wurde ein Mensch zum König gemacht. Und genau das tut diese Frau für Jesus.
Blind war sie bestimmt nicht. Sie hat gewusst, dass er kein König war. Sie hat wahrscheinlich sogar geahnt, dass man ihn schon bald wie einen gemeinen Verbrecher hinrichten würde. Aber für sie ist er kein Verbrecher. Deshalb will sie ihm jetzt etwas Gutes tun. Deshalb will sie ihm zeigen, wer er ist - jedenfalls für sie: wichtig wie ein König.
Ich glaube, so etwas tut nur die Liebe. Da macht ein Mensch aus einem anderen einen ganz neuen Menschen. Einen geliebten Menschen. Liebe baut auf. Da holt einer aus dem anderen das Beste heraus. Auf einmal kann man ganz anders sein. Nur bei dir kann ich so sein, wie ich gern immer wäre, sagt ein Mensch, der geliebt wird. Man muss sich nicht verstellen, nicht aufblasen und nicht aufplustern. Ich werde ja geliebt. Ich bin ein König! Ich bin eine Königin!
Jesus hat das gut getan, damals. Ich glaube, es hat auch ihn aufgebaut. Und er hat zu seinen Jüngern, die das verrückt fanden, gesagt: „Überall in der Welt, wo von mir weiter erzählt wird, wird auch erzählt werden, was sie getan hat" (Mk 14, 9). So wie jetzt, an diesem Sonntag. Damit Sie und ich keine Angst haben, dass uns die Liebe blind macht. Damit wir darauf vertrauen: Die Liebe macht Menschen neu.

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