Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Mariä Ohnmacht" - so heißt eine ungewöhnliche Mariendarstellung. Sie ist  aus dem 15. Jh. und befindet sich in der Wallfahrtskirche Weggental, am Rande der Bischofsstadt Rottenburg. Maria, die Mutter Jesu, ist ohnmächtig, geradezu besinnungslos. Wie kommt es dazu? Da muss schon etwas heftiges passiert sein. Maria ist überwältigt vom Schmerz über ihren toten Sohn Jesus. Sie fällt in Ohnmacht. Drei Frauen und ein Mann halten sie behutsam. Diese Darstellung bezieht sich auf das Johannes Evangelium: Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter Maria, die Schwester seiner Mutter, zwei weitere Frauen, die ebenfalls Maria heißen, und der Apostel Johannes. (19,25) Ein ruhiges Bild, voll von Würde und Einfühlungsvermögen. Anderen beistehen. Mit-leiden. Anteil nehmen am Schmerz des anderen. Weinen mit den Weinenden. Trauern mit den Trauernden. Klagen mit den Klagenden. Nicht auffällig, sondern verhalten. Einfach da-sein. Da spürt man wahren Trost. Trost heißt im Lateinischen: „con-solatio", wörtlich: „Mit-Einsamkeit". Wer Trost braucht, fühlt sich oft allein gelassen mit seinem Schmerz und seiner Not. So genannte aufmunternde und gut gemeinte Worte sind oft fehl am Platz. Wer allein ist mit seinem Schmerz, der braucht jemanden, der mit ihm zusammen einsam ist, der die Trauer und das Elend „mit-aushält". Da reicht schon ein leises: Ich bin da. Bei einem, der „mit-weint", weiß ich, hier ist meine Trauer gut aufgehoben „Mariä Ohnmacht". Maria, einmal nicht - wie so oft in der Kunst - die Himmelskönigin, wunderschön prächtig, von der Sonne umglänzt und von Sternen bekränzt. Sondern: ohnmächtig, auf andere angewiesen. Mir ist dieser Blick auf Maria sympathisch. So ist mir die Mutter Jesu nahe. Und so ist sie für viele Menschen Halt und Stütze in deren Ohnmacht. Ich stehe immer wieder vor dieser Plastik „Mariä Ohnmacht" in der Wallfahrtskirche Weggental. Und jedesmal kann ich nicht einfach an ihr vorbeigehen. Sie lässt mich nicht ungerührt: Wann war ich ohnmächtig? Wann waren Menschen ohnmächtig, die mir nahe stehen, die ich gut kenne? Und gab es dann jemanden, der einen gehalten hat im Leid, den ich gestützt habe in seiner Ohnmacht? Ich glaube, wer diese Mariendarstellung betrachtet, findet darin ein Stück von sich selbst.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10457
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