Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich hasse Gegenwind. Wenn ich mit meinem Rennrad unterwegs bin und gegen eine steife Brise anradeln muss, dann könnte ich schier verzweifeln. Das schlimme am Gegenwind ist für mich: Ich weiß, dass es eigentlich schneller gehen könnte. Dieselbe Strecke, die ich schon oft flott und ohne Mühe geradelt bin, wird mit Gegenwind langsam und anstrengend, und das ärgert mich.
Im Leben gibt es auch solchen Gegenwind. Neulich habe ich zwei Pakete zur Post gebracht und dabei die Adressaufkleber vertauscht. Es hat mich viel Zeit, Nerven und Porto gekostet, bis das geregelt war. Und dabei hätte alles doch so einfach sein können. Ärgerlich,  und doch nur ein schwacher Gegenwind im Vergleich zu einem verhauenen Abitur oder gar einer schweren Krankheit.- Gegenwind im Leben ist deshalb schwer zu ertragen, weil etwas anders läuft, als ich mir das vorgestellt habe. Ich weiß, dass es eigentlich viel leichter sein könnte als es jetzt ist. Und das ist frustrierend.
Der Arzt Viktor Frankl hat sich intensiv mit der Frage beschäftig, wie Menschen ein sinnvolles und zufriedenes Leben führen können. Und er hat folgenden Ratschlag gegeben: Man soll „hinnehmen, was nicht zu ändern ist". - Wer das kann: den Gegenwind akzeptieren ohne zu verzweifeln, der lebt viel zufriedener, meint Viktor Frankl.
Beim Radfahren habe ich mir inzwischen einen Trick angewöhnt. Immer wenn ich gegen den Wind fahren muss, stelle ich mir vor, dass ich eine Steigung hochfahre. Die Anstrengung ist in etwa die gleiche. Aber Steigungen suche ich mir bei meinen Radtouren gezielt aus, um zu trainieren und besser zu werden. Und bei einem Berg gibt es auch keine leichte Alternative, auf die ich sehnsüchtig blicken kann. Bergfahren ist immer anstrengend. Das muss so sein. Seitdem ist Gegenwind für mich so eine Art Extra-Trainingseinheit.
Vielleicht gelingt mir das ja auch im echten Leben: Die Gegenwinde nicht als vermeidbare Übel sehen, sondern annehmen, dass es sie gibt. Und vielleicht kann ich zumindest einige Dinge, die mir heftig ins Gesicht blasen, so sehen, wie die Steigungen beim Radfahren: Als Übungen, an denen ich wachsen kann und die mich weiter bringen. Denn jeder überstandene Gegenwind lässt mich den nächsten besser bestehen.

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