Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich kann auch für mich zu Hause glauben, dazu brauche ich nicht in die Kirche". Das haben Menschen oft zu mir gesagt, wenn ich sie als Pfarrer zu Hause besucht habe. Und ich denke, es stimmt: Man kann auch für sich zu Hause glauben. - Aber es ist dann ein Bisschen so wie mit meinem Friseur.
„Schneidet sich unser Friseur eigentlich selbst die Haare?", hat mich mein 8-jähriger Sohn neulich gefragt. „Nein, niemand kann das", hab ich geantwortet. Aber als ich das nächste Mal bei unserm Friseur war, hab ich ihn vorsichtshalber gefragt. Ein einziges Mal hätte er sich die Haare selbst schneiden müssen, hat er geantwortet. Das war bei der Bundeswehr. Danach hatten die Haare die vom Feldwebel geforderte Kürze, aber die Optik war verheerend.
Ich denke, mit dem Glauben ist es ähnlich: Ich kann schon irgendwie für mich alleine glauben, aber mit den anderen zusammen geht es leichter und besser.
Vom Reformator Martin Luther habe ich gelernt, warum das so ist. Er hat gesagt: Der Glauben entsteht nicht von allein, und ich kann den Glauben auch nicht in mir machen. Der Glaube entsteht dadurch, dass mir andere Menschen von Gott erzählen. Deshalb - hat Luther gesagt - würde eine Gruppe Christen, die man in die Wüste verbannt, als erstes einen von ihnen dazu bestimmen, ihnen von Gott zu erzählen. Wie Gott zu mir steht, das müssen mir andere sagen. Wenn ich mir das selbst sage, ist das einfach nicht das gleiche.
Dass ich die anderen zum Glauben brauche, das ist manchmal ärgerlich. Denn überall, wo Menschen zusammen kommen, gibt es sympathische und weniger sympathische und manchmal gibt es auch Spannungen, das ist in der Kirche nicht anders. - Auf der anderen Seite ist das aber auch sehr entlastend. Wir müssen für so viel sorgen, für unsern Glauben müssen wir nicht sorgen, das tun die anderen und letztlich Gott. Bei meinem Friseur stelle ich mir das so vor: Wenn er zum Friseur geht, dann kann er das richtig genießen. Dann entspannt er sich, lehnt sich zurück und freut sich, dass er sich nicht selbst die Haare schneiden muss, sondern dass das ein anderer für ihn tut. - So ähnlich geht es mir im Gottesdienst.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10431
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