Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Wenn viele Menschen sich von der Kirche entfernen, liegt es daran, dass die Kirche sich zu weit von den Menschen entfernt hat." Der dies gesagt hat, wurde heute vor 31 Jahren am Altar ermordet: Oscar Romero, der Erzbischof von San Salvador. Der damaligen Militär-Junta war die Annäherung dieses Kirchenmannes an die Armen und Unterdrückten zu weit gegangen. Eine Todesschwadron zertrat das Leben dieser „gefährlichen linken Bazille", so der damalige Geheimdienstchef, der dem Killer den Auftrag erteilte. Das Wort dieses mutigen Bischofs der Armen und Entrechteten gibt mir zu denken: Kehren bei uns deswegen so viele Menschen ihrer Kirche den Rücken, weil die sich zu weit von ihrem Leben entfernt hat? „Ihr wisst doch gar nicht, wie es bei uns zugeht". Das bekam ich mein Leben lang in der Arbeitswelt zu hören. Etabliert und gut abgesichert haben wir Kirchenleute oft keine Ahnung von den Ängsten am und um den Arbeitsplatz, vom irrsinnigen Termin- und Leistungsdruck, der die Arbeitenden auch heute wieder erwartet, wenn nun die Rechner hochgefahren und die Maschinen eingeschaltet werden. Berührt uns denn der oft erbitterte Kampf um ausreichenden Lohn und um Recht und Würde der Arbeit? Oder: Sind wir nahe genug dran an denen, die gar keine Arbeit haben und mit „Hartz IV" überleben müssen, um nur ein paar Beispiele zu nennen? Es scheint, dass sich die Kirchen in einer lebensfernen, frommen Scheinwelt eingerichtet haben - meilenweit entfernt von dem, was die Menschen von heute ängstigt und bewegt. Ausgelöst durch die Skandale um Missbrauch und Gewalt beginnen nun zögerlich längst notwendige Dialog- und Erneuerungsprozesse. Dabei geht es nicht um ein bisschen Kosmetik, sondern um eine neue Glaubwürdigkeit. Die gibt es allerdings nur um den Preis der Bekehrung. Oscar Romero, an dessen gewaltsamen Tod wir uns heute erinnern, hat als zunächst angepasster und etablierter Kirchenmann selbst einen langen und schmerzlichen Weg der Bekehrung zurücklegen müssen. Sein Wort und sein Glaubenszeugnis können uns heute Mut machen. „Wenn wir die Angst und Trauer der Menschen von heute, aber auch ihre Freude und Hoffnung teilen", so sagte er in einer seiner letzten Predigten, „wird die Kirche Christus ähnlich, und wird - wie er - erwartet und geliebt."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10273
weiterlesen...