Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Du sollst einem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbinden", heißt es in einem Regelwerk im Alten Testament der Bibel (Deuteronomium 25,4). Wenn man schon das Hornvieh als vierbeinige Dreschmaschinen über die Tenne treibt, sollte es doch im Vorübergehen ein Büschel Heu oder Gras erhaschen dürfen.
Der Apostel Paulus bezieht dieses Wort in seinem Brief an die Korinther auf die arbeitenden Menschen: „Wer drischt, soll in der Hoffnung dreschen, dass er seinen Teil bekommen wird" (1 Korinther 9,10). 
Darauf hoffen gegenwärtig bei uns 23 % der Beschäftigten vergebens. Sie erzielen mit ihren Niedriglöhnen nicht einmal ihr Existenzminimum und müssen sich, sofern sie die Voraussetzungen erfüllen, über „Hartz IV" „aufstocken" lassen. Übrigens mit unseren Steuern und Abgaben! Manche der Niedriglöhner sehen sich gezwungen, zusätzlich ein zweites Arbeitsverhältnis anzunehmen. Wer sich so verausgaben muss, hat natürlich weder Zeit noch Kraft für Partnerschaft und Familie, Politik und Kultur - von den gesundheitlichen Folgen ganz zu schweigen. 
Dass in einer so wirtschaftsstarken Nation Arbeit nicht einmal mehr vor Armut schützt, ist eine Schande! Umso mehr, als durch solche Mickerlöhne auch noch die Altersarmut von morgen vorprogrammiert wird - ganz nach dem Motto: Einmal arm, immer arm... Arme Alte aber liegen wiederum dem Staat auf der Tasche! 
Im Unterschied zu 21 anderen europäischen Staaten ist die Politik hierzulande nicht imstande, diesem Treiben über ein flächendeckendes Mindestlohngesetz Einhalt zu gebieten. Dabei ramponieren solche Billiglöhne auch den wirtschaftlichen Wettbewerb. Unternehmen, die den Lohn ihrer Beschäftigten staatlich auffüttern lassen, konkurrieren jene gegen die Wand, die gerechte Löhne bezahlen. „Du sollst einem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbinden.." - Im Mittelalter trieb man es noch toller: Man band den Dreschochsen einen Wisch duftendes Heu vor die Nase, dem sie den lieben langen Tag nachgejagt sind, ohne ihn je zu erwischen. Ein Fall für den Tierschutzverein!  Ein Fall für die Politik wäre es, endlich dafür zu sorgen, dass arbeitende Menschen nicht länger vergebens ihrem gerechten Lohn hinterherjagen müssen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10272
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