Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Das ist das, was man alles nicht darf" - so antwortete die Zwölfjährige spontan auf die Frage des Religionslehrers, was für Christen die „Zehn Gebote" bedeuten. Wie kommen junge Leute auf solche Gedanken? Da muss doch irgend etwas falsch gelaufen sein. Um so erstaunlicher ist es, dass in Umfragen für zwei Drittel der Leute die „Zehn Gebote" verbindlich sind. Nach 3000 Jahren sind sie also auch heute so etwas wie „Lebensregeln für eine gute Welt". Allerdings müssen die Beweggründe stimmen, sollen die „Zehn Gebote" auch im 21. Jh. Orientierung bieten. Man darf sie nicht dazu missbrauchen, Zucht und Ordnung einzufordern. Keine Rolle rückwärts in Zeiten, in denen man mit moralischem Zeigefinger zu Gehorsam, zum Ordentlich- und Brav sein mahnte. Die „Zehn Gebote" sind über lange Zeit gewachsen. Allmählich kamen die Menschen zu der Einsicht, wie sie miteinander umgehen sollen. Die Israeliten erkannten in den 10 Geboten den „Willen Gottes". Danach will Gott, dass wir entsprechend der von ihm geschenkten Vernunft menschlich handeln. Den „Zehn Geboten" voran steht: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Sklaverei befreit hat." (Deuteronomium 5,6) Ich verstehe darunter einen Gott, der mir gut will, der meine Freiheit ernst nimmt.  Deshalb, so heißt es im biblischen Sinn übersetzt weiter - deshalb „wirst" du dich auch im Vertrauen auf Gott um ein menschenwürdiges Leben kümmern. So sind die „Zehn Gebote" Wegweiser im Alltag, die älteste „Charta der Menschenrechte." Sie nehmen mir nicht die Freiheit, sondern erinnern an meine von Gott geschenkte Freiheit. Sie sind keine Befehle und keine Verbote. Sie ermutigen zum rechten zwischenmenschlichen Umgang. Zum Beispiel: „Ehre deinen Vater und deine Mutter!" - das heißt nicht, Kinder sollen ihren Eltern gehorchen und brav sein. Dieses Gebot gehört zu den größten sozialen Errungenschaften. In den meisten antiken Völkern waren die Alten gesellschaftlich abgeschrieben. Ausserdem gab es keine Krankenversicherung und keine Altersversorgung. Deshalb war in Israel der älteste Sohn einer Großfamilie dazu verpflichtet, seinen alt gewordenen Eltern einen menschenwürdigen Lebensabend zu ermöglichen. Das war eine Revolution und hat an Aktualität nichts eingebüßt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10170
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