Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Wunderschön ist sie. Die Frau, die ich in der Citykirche in Reutlingen getroffen habe. Ihre Augen strahlen. Sie lächelt bezaubernd. Und das Lächeln vertieft die hundert Falten in ihrem Gesicht.
Bei einer Tasse Kaffee erzählt sie mir von ihrem Leben. Dass sie jetzt in ihrem Ruhestand viele schöne Reisen macht und sich ganz vielfältig engagiert. Für Menschen möchte sie da sein, gerade für einsame Menschen. Darum besucht sie Senioren zu Geburtstagen und organisiert für Seniorengruppen Reisen und Ausflüge.
Sie war Lehrerin  - ich kann mir gut vorstellen, dass sie eine tolle Lehrerin war. „Ich mag dich, ich finde es gut, wie du bist" - das strahlt aus jedem Wort, aus jedem Blick heraus. Das hat ihren Schülerinnern und Schülern bestimmt gut getan. Auch ich fühle mich einfach nur wohl in ihrer Gegenwart.
„Sie haben eine wunderbar positive Ausstrahlung", sage ich zu ihr. „Ja", sagt sie, „das Leben ist ja auch schön" - sie stockt - „auch wenn es nicht immer leicht ist". Dann erzählt sie von ihrem Mann, der gestorben ist als sie erst 43 war und sie erzählt von den Menschen, die in dieser schweren Zeit für sie da waren. Sie erzählt, wie sehr sie ihren Mann vermisst, und sie erzählt von ihren schönen Aufgaben, die sie nicht in Einsamkeit versinken lassen. Sie erzählt, wie gerne sie und ihr Mann Kinder gehabt hätten, und wie schön sie es findet, dass sie als Lehrerin für Kinder da sein konnte.
Ich war beeindruckt von dieser Frau. Sie konnte in allem, was ihr im Leben begegnet ist, das Gute und Schöne sehen. Wie sie das wohl geschafft hat? Die alte Dame hat es mir verraten. „Immer wenn es schwer war," hat sie gesagt, „immer dann habe ich besonders gemerkt, dass Gott für mich da war und dass er mir Gutes tut".
Sie zieht aus ihrer Handtasche eine Karte mit einem Psalmwort hervor: Von allen Seiten umgibst Du mich und hältst deine Hand über mir. Stiege ich hinauf in den Himmel, dann bist du da; stiege ich hinunter zu den Toten, dann bist du auch da. Und flöge ich dorthin, wo die Sonne aufgeht, oder zum Ende des Meeres, wo sie versinkt, dann wird auch dort deine Hand nach mir greifen und mich halten. (Psalm 139)
„Das heißt doch, dass Gott immer für mich da ist und mich nicht loslässt, egal was passiert - glauben Sie das nicht auch?", fragt sie mich. „Ja, sage ich, „daran glaube ich ganz fest."

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