Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Verurteilt nicht andere Menschen", sagt Jesus in der Bergpredigt. Und er begründet diese Aufforderung so: „Denn euer Urteil wird auf euch zurückfallen, und ihr werdet mit demselben Maß gemessen werden, das ihr bei anderen anlegt." (Matthäus 7,1f)
Eigentlich ist das eine ganz selbstverständliche Erfahrung: Wenn ich andere Menschen verurteile, weil sie dieses oder jenes in meinen Augen falsch gemacht haben, dann muss ich damit rechnen, dass auch ich von den anderen mit den gleichen Maßstäben gemessen werde. Zum Beispiel kann ich schlecht meinen Kindern vorwerfen, dass sie zu lange vor dem Computer sitzen und gleichzeitig selbst stundenlang im Internet surfen. Wenn sie sich dann beschweren, darf ich mich nicht wundern.
Aber mein eigenes Urteil kann auch noch in einem anderen Sinn auf mich zurückfallen: Viele Menschen, die besonders kritisch mit anderen umgehen, gehen auch sehr kritisch mit sich selbst um. Wenn ich unbarmherzig mit anderen bin und sie schnell verurteile, kann das auch ein Zeichen dafür sein, dass ich mit mir selbst zu unbarmherzig bin und zu hart mit mir ins Gericht gehe.
Jesus hat einmal von sich selbst gesagt: „Ich verurteile niemand" (Johannes 8,15). Das heißt nicht, dass er die Schwächen seiner Mitmenschen nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte. Aber trotzdem hat er sie nicht verurteilt. Verurteilungen haben immer etwas Endgültiges. Wenn der Richter in einer Gerichtsverhandlung das Urteil verkündigt, dann steht dieses Urteil fest, dann ist in der Regel nicht mehr daran zu rütteln: der Verurteilte ist und bleibt ein Betrüger, Dieb oder Mörder. Wenn ich jemanden verurteile, dann bin ich mit ihm fertig. Jesus dagegen war mit den Menschen, denen er begegnet ist, niemals fertig. Er hat ihnen zugetraut, dass sie sich zum Guten verändern können.
Ich denke, wenn Jesus so barmherzig mit den Menschen gewesen ist, sie nicht verurteilt hat und nicht fertig mit ihnen war, dann sollte ich das auch nicht tun: nicht mit den anderen, aber auch nicht mit mir selbst. Daran wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist, kann ich sehen, wie Gott zu mir steht. Vielleicht gibt es Dinge, die ich mir nicht verzeihen kann oder Eigenarten und schlechte Gewohnheiten, die ich mir dauernd vorwerfe. Aber wenn Gott mit mir nicht fertig ist, dann sollte ich es auch nicht sein. Wenn Gott für mich ist und mir zutraut, dass ich mich ändern kann, dann sollte ich nicht gegen mich sein.

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