Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Kinder zu erziehen ist nicht einfach. Als Vater weiß ich das. Und wenn ich mich so umschaue sind auch viele andere Eltern oft ratlos und fühlen sich überfordert. Es gibt Erziehungsratgeber wie Sand am Meer, Familienpsychologen haben Wartelisten, und Lehrer klagen, dass sie grade biegen müssen, was im Elternhaus schief gelaufen ist.
Was ist los? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei meinen eigenen Eltern jemals ein Erziehungsbuch gesehen habe. Waren die Eltern damals fähiger oder die Kinder einfacher?
Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Um ein Kind aufzuziehen, ist ein ganzes Dorf nötig" (Alexander McCall Smith, Ein Fallschirm für Mma Ramotswe, S. 173). - Ich denke, das Sprichwort nennt zumindest einen Grund, warum Erziehen schwerer geworden ist: Wir Eltern müssen heute weitgehend alleine stemmen, was eigentlich auf viele Schultern verteilt gehört. Und für Alleinerziehende ist die Last noch größer. Wenn tatsächlich ein ganzes Dorf nötig ist, um ein Kind aufzuziehen, dann ist es kein Wunder, wenn einem die Erziehungsarbeit manchmal über den Kopf wächst.
Das Lukasevangelium berichtet, wie Joseph und Maria ihren zwölfjährigen Sohn Jesus einmal einen ganzen Tag lang nicht zu Gesicht bekommen. Trotzdem machen sie sich keinerlei Sorgen. Sie sind sich sicher, dass Jesus bei irgendwelchen Verwandten und Bekannten gut aufgehoben ist (Lukas 2,44). - Heute unvorstellbar.
Aber ich denke, nicht nur für die Eltern wäre es manchmal besser, wenn es mehr Menschen gäbe, die sich für die Erziehung zuständig fühlten. Auch für die Kinder wäre das gut. Die Auswahl an Vorbildern - von denen Kinder bekanntlich am meisten lernen - wäre einfach größer. Immer wieder hört man, dass vor allem den Jungs die Vorbilder fehlen. Man kritisiert dann, dass es in der Grundschule kaum männliche Lehrkräfte und im Kindergarten so gut wie keine Erzieher gibt. Sicher wäre es gut, wenn es davon mehr gäbe. Aber Vorbilder können auch andere sein. Ich selbst hatte zum Beispiel zwei Onkel. Der eine war Landwirt, der andere Metzger. Von denen konnte ich ganz andere Dinge abkucken als von meinem Vater, der Beamter war.
Wichtig ist, dass wir Erwachsenen diese Vorbildrolle auch annehmen. Dass wir bereit sind, Zeit zu investieren, mit Kindern zu sprechen, sie einfach teilhaben zu lassen, an dem was wir tun - nicht nur unsere eigenen Kinder, sondern auch die in der Verwandtschaft oder Nachbarschaft. Denn schließlich ist ein ganzes Dorf nötig, um ein Kind aufzuziehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10046
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