Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Manchmal sagen Menschen nicht, was sie wirklich wollen. Und dann werden die Dinge kompliziert.
So wie neulich: Ich hatte schon lange eine wichtige Besprechung im Kalender stehen, als ich mit Schrecken feststellen musste, dass zur selben Zeit ein Länderspiel im Fernsehen übertragen wird. Ich bin Fußball-Fan. Also habe ich E-Mails an alle Beteiligten geschrieben: Mir sei aufgefallen, dass sich unser Termin mit einem Fußballspiel überschneidet. Wenn jemand das Spiel sehen möchte, könnten wir ja einen anderen Termin vereinbaren, aber - und jetzt kommt's: - meinetwegen könnte die Besprechung ruhig stattfinden. Ich wollte nicht der sein, der den Termin platzen lässt. Aber insgeheim hatte ich darauf spekuliert, dass einer der anderen diesen Job übernimmt. Aber: Eine E-Mail nach der anderen kam zurück. Alle meinten: unsere Besprechung sei ihnen wichtiger als Fußball. - Später hat sich dann herausgestellt, dass alle viel, viel lieber Fußball gekuckt hätten. Nur hatte keiner den Mut zu sagen, was er wirklich wollte.
Ich denke, das Miteinander wäre oft viel einfacher, wenn Menschen einander sagen würden, was sie wirklich wollen. Aber was hindert einen daran? Vielleicht die Furcht, zurückgewiesen zu werden? Die Angst vor Konflikten? Oder die Befürchtung, unhöflich zu sein?
Jesus hat sich um Höflichkeit wenig gekümmert und ist auch Konflikten nicht aus dem Weg gegangen. Er hat das, was er gesagt hat, auch so gemeint. Und er hat die Menschen dazu ermutigt, es genauso zu machen. „Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein." (Matthäus 5,37).
Und Jesus hatte auch nichts dagegen, wenn die anderen ihm gegenüber ehrlich gesagt haben, was sie von ihm wollen. Da ist zum Beispiel ein Mann namens Bartimäus. Er ist blind und sitzt bettelnd am Straßenrand. Wahrscheinlich hatte er davon gehört, dass Jesus Menschen gesund machen kann. Jedenfalls ruft er, als Jesus auch in seine Stadt kommt, so laut er kann: „Herr, hab Erbarmen mit mir". Die Leute finden das unhöflich und unverschämt und versuchen ihn zum schweigen zubringen. Aber Jesus lässt Bartimäus zu sich bringen und fragt grade raus: „Was willst du, was soll ich für dich tun?" Und Bartimäus antwortet ebenso direkt: „Dass ich sehen kann". Und Jesus kann ihm wirklich helfen.
Was wäre gewesen, wenn Bartimäus den Mund gehalten hätte?
Ich denke, nicht alle Dinge werden dadurch geklärt, dass ich sie ausspreche. Aber wenn ich sie nicht ausspreche, dann tut sich bestimmt nichts.

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