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SWR1 Begegnungen


Peter Annweiler trifft Nina Roller vom Mannheimer „Studio Herrlichkeit“
Teil 1: Überraschung in Gold
Die Mannheimer Pfarrerin mag es gerne schön. Und sie brennt für überraschende Begegnungen. Beide Vorlieben kann sie jetzt mitten in einer Mall in den Mannheimer Quadraten entfalten:
Wir merken, wenn Menschen vorbeikommen an unserem Pop Up, dann freuen die sich über die Aufmachung, über die Schönheit, über das viele Gold. Und dann gleitet der Blick über das Schaufenster. Und dann steht da Evangelische Kirche Mannheim. Und da sind Menschen schon irritiert. Was macht jetzt die Kirche in einem Laden?
Den Weihnachtsladen hat die 38-jährige zusammen mit der Grafikerin und Gestalterin Valentina Ingmanns entworfen – als Teil des Innovationsprojekts „Studio Herrlichkeit“. Kleine Geschenke kann man zum Beispiel da kaufen: Tassen, Mützen, Socken – mit einem aufgedruckten oder eingenähten Segenswort. Bei meinem Besuch krieg‘ ich zuerst eine Tasse Tee aus einem goldenen Samowar. Und dann seh‘ ich es immer wieder leuchten: Goldene Kerzen am Adventskranz, goldene Tischdecken, goldene Wandbehänge.
Stilprägend ist, dass immer wieder die Farbe Gold auftaucht. Wenn man in die Kunst schaut, wenn man in Kirchen schaut, dann ist die Farbe Gold die Farbe, die für das Göttliche steht. Und Weihnachten bedeutet für uns: Gott kommt in die Welt und dafür steht diese Farbe Gold auch.
Angenehm und wohltuend empfängt mich dieser temporäre kirchliche Ort in der Konsumwelt. Pfiffige Ideen, zugewandte Menschen und viel Herzenswärme umgeben mich. Und doch: In mir ist noch eine skeptische Stimme, die fragt: “Vergoldetes Design in allen Ehren – aber gibt es nicht wichtigeres für die Kirche: Etwa ihre Kraft gegen die Armut einzusetzen?“
Ich glaube, wirklich schön sind Dinge dann, wenn sie auch nicht die Augen verschließen vor dem, was schwierig ist und was wehtut. Und ich glaube, so was Schönes kann auch eine Form der Rebellion sein gegen all das, was schmerzt, gegen alles, was uns besorgt, gegen all das, was uns stresst.
Schönheit als Rebellion gegen das, was schlimm und schrecklich ist. - Ja, so überzeugt mich der Laden und mit ihm Nina Roller: Sie bringt Form und Inhalt, Schönheit und Tiefe zusammen. Und dadurch ist der Laden ein Kraftort in einer taumelnden Welt. Wobei diese Kraft ja ganz unspektakulär aufkommt: Beim gemeinsamen Basteln oder beim Singen von Weihnachtsliedern. In der Dynamik von Begegnung und Gespräch.
Fast wie bei den Begegnungen an der Krippe, wo etwa Hirten und das junge Paar mit dem Kind aufeinandertreffen. Auf solche Momente wartet Nina Roller.
Ich liebe die Überraschung. Ich liebe, dass ich selbst überrascht werde in der Begegnung mit Menschen. Von ihren Gedanken, von ihren Fragen, von ihrer Offenheit, von dem, was entsteht, wenn man sich wirklich füreinander öffnet.
Teil 2: Ganzjährig glänzend
Ihr „Christmas Pop Up“ ist Teil von „Studio Herrlichkeit“ – und mit dem steht Nina Roller für innovative Formate in der Kirche. Zusammen mit ihrer Kollegin, der Grafikerin und Gestalterin Valentina Ingmanns, hat sie dafür ein frisches Erscheinungsbild entwickelt.
Irritationen stiftet für manche der Stil, also der doch sehr popkulturaffine, moderne Stil, der auch mit einem Augenzwinkern daherkommt.
Und der zeigt sich auch bei dem unkonventionellen Namen „Studio“. Nina Roller hat sich gut überlegt, was sie damit verbindet.
Zum einen eine Versuchsbühne, wenn man innovativ Dinge gestalten will. Dann verbindet sich für mich mit dem Studio zum anderen das Fitnessstudio. Das heißt, ein Studio ist ein Ort, an dem ich zu Kräften komme, im besten Falle. Und dann das Atelier: Das Kunst-Studio. Kreative Kirche sein ist uns wichtig. Und dann ist das Studio ja auch die lichtdurchflutete Wohnung.
Auch für den Namen „Herr“lichkeit hat sie gute Gründe gefunden, gerade wenn zwei Frauen dieses Studio leiten.
Die Herrlichkeit ist im Alten Testament übrigens eine weibliche Facette Gottes, ganz anders als der Name es im deutschen Sprachgebrauch nahe legt und es passt auch gut zu Weihnachten: Jesus kommt in die Welt, Gott kommt in die Welt – lässt sich gut in Verbindung bringen mit der Einwohnung Gottes in die Welt.
Wichtig ist Nina Roller, das Kreative und Innovative mit theologischem Tiefgang zu verbinden. Sie weiß, dass Segen nicht „konservierbar“ ist – und dass heilige Momente nicht „produzierbar“ sind. In dieser Haltung bietet sie „Glanz-Momente“ an: In einem Segenszelt auf dem Maimarkt, mit besonderen Beats zum Tanz im Kirchenraum, oder jetzt in einem Weihnachtsladen.
Wenn ich sage: Etwas ist herrlich, dann sind das Momente, in denen ich spüre: Da ist für einen Moment zumindest eine Erfüllung da. Und solche Momente wollen wir generieren und verschenken. Und das ist dann so eine Art Holy Glow, also ein heiliger Glanz, der sich ins Leben legt.
Im Gespräch mit Nina Roller spüre ich: Die Frau ist genau richtig bei diesem Projekt: Sie macht es Menschen leicht, Kirche sympathisch zu finden. Und bei allem Glanz und Glitter bleibt sie auch dem Schweren verbunden.
Ich bin natürlich immer wieder herausgefordert. Dadurch, dass die Welt überhaupt nicht nur herrlich ist und das auch in meinem pastoralen Handeln, also in dem, was ich predige und auch in dem, wie ich Seelsorge mache, nicht wegzuleugnen. Auch im Sinne dessen, was mein Auftrag ist: die Hoffnung und die Freude groß zu machen. Aber eben nicht blind für das, was schmerzt.
Hoffnung und Freude stärken – und gleichzeitig das Schmerzhafte sehen. Das ist die starke Basis von Kirche, längst nicht nur beim „Studio Herrlichkeit“ und längst nicht nur zur Weihnachtszeit.
Mehr Infos zu Studio Herrlichkeit, dem Innovationsprojekt der Ev. Kirche Mannheim und seinem Christmas Pop Up (bis 04.01.25)
https://studioherrlichkeit.de/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41258SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft Anahita Azizi, Aktivistin von Frauen.Leben.Freiheit
Teil 1: Mutiges Engagement
Sie ist klug, sanft und engagiert - für Menschenrechte im Iran. Tief bewegt bin ich, als Anahita Azizi bei einer Ausstellung von Frauen- und Kinderzeichnungen in Mannheim spricht. Jetzt habe ich mich mit ihr verabredet und will mehr von der Aktivistin erfahren, die sich bei Frauen.Leben.Freiheit. engagiert. Schnell erzählt sie mir ihre Migrationsgeschichte.
Ich bin mit viereinhalb Jahren nach Deutschland gekommen, und damals sind wir geflohen, und das politische Asyl wurde hier gewährt. Und irgendwann war es dann möglich, mal zurückzugehen als Erwachsene. Das war spannend zu sehen, wie offen die Menschen sind, dass sie immer ein Spruch auf den Lippen, ein Lächeln auf den Lippen haben, neugierig sind, herzlich und gastfreundlich.
So wertvoll: Mit den eigenen Wurzeln in Kontakt zu bleiben. Gerade, weil Anahita Azizi es geschafft hat, in Deutschland zu Hause zu sein und beruflich erfolgreich in der IT-Branche zu arbeiten. Doch der Blick ins Land der Mullahs ist seit 45 Jahren beschwert.
Jetzt ist es aber so, dass diese Liebe zum Heimatland der Eltern, auch der eigenen Wurzeln, auch mit Schmerzen verbunden ist. Wenn man die Liebe dahin empfinden möchte und diese Sehnsucht, dann öffnet man den Kanal nicht einspurig, sondern mit ihr kommen furchtbare Bilder vom Leid anderer Menschen, vom Tod anderer Menschen, von den Mark erschütternden Schreien von Menschen. Diesen Kanal zu öffnen, das war eine bewusste Entscheidung, und das hält dich nachts wach. Und das muss man sich gut überlegen, ob man sich dem hingeben möchte.
Anahita Azizi nimmt schlaflose Nächte in Kauf und geht hohe persönliche Risiken ein. Wie mutig. Wie entschlossen. Alles, weil die Mittdreissigerin an Leib und Seele erleiden musste, was Machtmissbrauch zerstören kann. Und deshalb will sie nicht, dass andere ähnliches erleiden.
Wenn wir uns den Iran angucken, dieses fundamentalistische Regime, dann habe ich in meiner eigenen Familie erlebt und auch in meinem Herzen, dass man das Gefühl hat, dass einem nicht nur die Heimat genommen worden ist, sondern Gott selbst - und das ist eine große Ungerechtigkeit.
Sogar Gott wird einem genommen. Religiöser Fundamentalismus zerschlägt und zerstört so Vieles. Klar, dass die Exil-Iranerin da der Religion gegenüber erst mal reserviert geblieben ist. Und doch hat sie, die keine Christin ist, sich eine Hoffnung bewahrt.
Es ist ein Glaube, dass es besser werden kann und dass, wenn wir daran basteln und daran arbeiten, uns auch wieder zur Erinnerung rufen: Wie wollen wir eigentlich mit den Schwächsten umgehen auf der Welt?
Sich einzusetzen für die Schwachen - das kann die Welt verändern. Und das ist ja auch eine Wurzel des Christentums. Deshalb spornt mich Anahita Azizis Haltung „von außen“ auch als Christ an.
Teil 2: Besonderes Bündnis
Sie hat zum Beispiel in der Mannheimer CityKirche Konkordien eine Ausstellung begleitet. Gezeigt wurden Bilder von Frauen und Mädchen aus dem Iran.
Ein Bild, das mich besonders mitgenommen hat, ist ein großes Bild einesMädchens mit wallenden langen Haaren. In diesen Haaren war eine ganze Welt. Da waren Tiere drin, das war Spielzeug abgezeichnet. Es war, es waren Figürchen. Es war so viel in diesem Haar, und ich schätze: Das muss das erste Jahr gewesen sein, dass sie dann ein Kopftuch hat tragen müssen
Sie, die über sich sagt: „Die Mullahs haben mir auch Gott genommen“, hat keine positive Erfahrung mit Religion gemacht. Denn die steht in Anahita Azizis Leben für Kopftuchzwang, Frauenfeindlichkeit und Diktatur. Deshalb war eine Ausstellung in einer Kirche für sie ungewohnt. Aber sie hat schnell gespürt: In der kirchlichen Menschenrechtsarbeit findet sie Verbündete – und erkennt, wie Religion Menschen auch positiv prägt.
Ich selber, ich habe das Gefühl nicht, Ehrfurcht zu erleben, wenn ich vor einer prunkvollen Kirche stehe oder Kathedrale. Was mich überkommt, ist das Fremdsein, die Etikette, nicht gern aufzufallen, dass man sagt: „Was macht die hier?“ - Und das Gefühl hatte ich keine Sekunde. Und ich bin seither in vielen Kirchen gewesen, auch in der katholischen Kirche und durfte dort sprechen. Also es erweitert sich jetzt, und das war ein starkes Gefühl, das mich innerlich gestärkt hat: Zu wissen, was möglich ist – Wahnsinn
Eine aufgeklärte, selbstkritische Religion – die kannte Anahita Azizi bisher nicht.
Für mich war die Erfahrung sehr neu, dass die größte Kritik an der evangelischen Kirche aus der evangelischen Kirche selbst ist, das war für mich so überwältigend zu sehen: dieses kritische Denken, dieses sich selbst Hinterfragen.
Und dann überrascht sie mich, wenn sie mir sagt, wie weit sie für kirchliches Engagement in Menschenrechtsfragen in ihren Kreisen gehen würde:
Soweit mich meine Füße tragen! - Ich habe tatsächlich das schon machen müssen. Das Projekt mit der Kirche, die Kunstausstellung zu verteidigen und zu sagen wir haben uns das wohlüberlegt. Und da kann ich schon überzeugend für die Kirche sprechen.
Für mich ein innerer Ansporn: Wenn Menschenrechtsaktivisten überzeugt von Kirche sprechen. Eben, weil sie in der Begegnung mit Christen spüren: Es geht im Christentum nicht um Kirchenmitglieder. Es geht um Gerechtigkeit und Würde für alle.
Schön, dass die Zusammenarbeit rund um die Ausstellung zu Frauen.Leben.Freiheit im November weiter geht. Wieder in einer Kirche. Und dass die mutige und kluge Anahita Azizi auch in der Speyrer Gedächtniskirche wieder engagiert dabei ist.
Mehr Infos zur Ausstellung Frauen.Leben.Freiheit. in Speyer:
https://www.speyer.de/de/familie-und-soziales/frauen/ausstellung-frau-leben-freiheit/
SWR1 Begegnungen


Peter Annweiler trifft Dorothee Höfert, im Feld von Kunst und Religion engagierte Kunsthistorikerin
Teil 1: lebensgeschichtlich und klassisch
Stundenlang kann ich ihr zuhören: Dorothee Höfert erzählt frisch, fundiert und humorvoll. Die Kunsthistorikerin bringt Schwung in die Bude. Beruflich hat sie den als Leiterin der Kunstvermittlung in die Mannheimer Kunsthalle getragen. Immer wieder ist sie auch davon begeistert, wie Kunst und Religion zusammenwirken können.
Wenn man zumindest mal den Verlauf der 2000 Jahre europäischen Kunst sehen will, dann kommt man ja nicht umhin, sich auch mit theologischen oder religiösen Fragestellungen zu beschäftigen. Denn ein Großteil der auf uns gekommenen Kunst ist religiös, und da war ich dann immer ganz munter dabei.
Diese Munterkeit von Dorothee Höfert gefällt mir. Egal, ob zeitgenössisch oder traditionell. Egal ob Kirche oder Museum. Da spricht eine Frau, deren Herz höherschlägt, wenn die Geschwister Kunst und Religion zusammenfinden.
Mich fasziniert, wie früh das für die 63jährige angefangen hat: In ihrer Kindheit in einfachen Verhältnissen in Norddeutschland.
Ich habe sehr früh lesen gelernt und stöberte in den Büchern, den wenigen, die es bei uns zu Hause gab, und vor allen Dingen an den langen Winterabenden. Und dort ist ein Buch ganz wichtig für mich geworden. Das hieß tausend Jahre deutsche Malerei. Ein Prachtband, den ich bis heute besitze und ich konnte diese Texte überhaupt nicht verstehen. Kunsthistorisches Kauderwelsch -
aber eben die Bilder: Die erreichen nicht nur Kinder schnell, direkt und emotional. Noch Jahrzehnte später erinnert sich Dorothee Höfert an ein besonderes Bild:
Es ist ein Gemälde aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Michael Pacher ist der Autor. Es ist eine Altartafel. Ich bin ziemlich sicher, dass es der heilige Antonius ist. Und der steht vor einer grünen Dämonengestalt mit vielen Augen und Hufen. Und diese Dämonengestalt hält ihm ein aufgeschlagenes, riesiges Buch hin. Die Begegnung eines würdig gekleideten Kirchenmannes mit einem Dämon. Also eine solche Figur würde man auch heute in irgendeinem Horrorfilm sofort einbauen können - das fand ich ungeheuerlich, dass sich da zwei Sphären auf Augenhöhe begegnen und offenbar miteinander kommunizieren.
Faszinierend, was Kunst ganz ohne Worte sichtbar machen kann: Gefühle, Lebenslagen und -fragen. Manchmal gar nicht „schön“, sondern ungeheuerlich und ungewohnt. Eine grüne Dämonengestalt mit Hufen hält einem Heiligen ein Buch hin. Das Teuflische und das Heilige begegnen sich. Kunst weitet den Blick. Hin auf das, was unsere Augen so nicht im Alltag sehen können. Und genau darin ist sie mit der Religion verwandt: Dass wir mit neu geöffneten Augen ganz andere – und womöglich größere, göttliche - Zusammenhänge sehen, in denen wir Menschen stehen.
Teil 2: zeitgenössisch und interreligiös
Bei ihren Führungen in der Mannheimer Kunsthalle beobachtet die Kunsthistorikerin gerade bei zeitgenössischer Kunst, dass die Leute
ganz schnell sich zurückziehen und sagen, das verstehe ich nicht. Es spricht mich nicht an, das ist hässlich, oder das ist ja gar keine Kunst, weil sie zu schnell vielleicht sich abschrecken lassen von etwas, was erstmal tatsächlich auch Fragen aufwirft. Das geht mir nicht anders.
Ganz entlastend finde ich das, wenn auch die Fachfrau erst mal irritiert ist. Und dann hilft sie mit ihrer Kompetenz eben doch, „dran“ zu bleiben: Sie verhindert, dass ich mich abwende – und trägt dazu bei, dass ich geduldig und neugierig auf ein Kunstwerk blicke.
Was ist da eigentlich los? Denn wenn es gute Kunst ist, dann ist es etwas Menschliches. Dann fließt etwas von dem Menschen, der es gemacht hat, hinein in das Werk. Und ich kann das herausnehmen. Ich kann das versuchen zu verstehen. Ich komme in Kontakt mit etwas, und das kann mich im besten Fall faszinieren, kann mich weiterbringen, kann mich zu einer neuen Sicht auf die Welt stimulieren.
Kunst bildet nicht das Sichtbare ab, sondern macht sichtbar – sagt der Maler Paul Klee – und eben darin bleibt sie für mich verwandt mit Religion. Dabei brauchen zumindest meine Augen für das Sehen des Neuen oft eine Sehhilfe. Dorothee Höfert engagiert sich schon lange für diese Sehhilfe. Deshalb hat sie Gespräche zwischen Kunst und Religion in die Kunsthalle gebracht. Denn sie findet,
dass man auch da ein Angebot schaffen muss. Und wie soll das aussehen? Und dann hab ich gedacht, na ja, ich bin keine Theologin. Ich bin Kunsthistorikerin. Ich würde das ganz gerne mit jemandem zusammen machen, der sich fachlich theologisch dazugesellt. Und auf diese Weise haben wir ganz allmählich etwas aufgebaut, was jetzt 15 Jahre später sogar noch erweitert worden ist. Einfach weil sich das Interesse daran ergeben hat. In … Mannheim, wo ganz viele Muslime auch leben, wo es eine rege jüdische Gemeinde gibt, zu sagen wir bauen das aus in ein interreligiöses Gespräch
- und gerade das lockt bei ihren monatlichen Gesprächen im Feld von Kunst und Religion viele Gäste in die Kunsthalle. Wenn ich an so einem Gespräch teilnehme, dann spüre ich, wie diese Geschwister Kunst und Religion wieder zusammenfinden. Und darüber hinaus sich auch die Religionen auf das besinnen, was sie vereint…
Mir fällt da ein Begriff gerade ein: existenziell. Den Menschen betreffend, menschliche Fragen betreffend, wo kommen wir her? Wo sind wir? Wo gehen wir hin?Gibt es Hoffnung? Ist das Leben zu Ende? Wenn wir sterben, geht es darüber hinaus.
Über diese großen existentiellen Fragen sind Kunst und Religion verbunden. Dorothee Höfert lässt mich neu spüren, wie lebendig diese Verwandtschaft ist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40116SWR1 Begegnungen

Am Bildschirm bin ich mit Kerstin Söderblom verabredet. Ihr Buch „Queersensible Seelsorge“ hab‘ ich gerne gelesen und frage die Mainzer Hochschulpfarrerin erst mal, woher das Wort „queer“ eigentlich kommt.
Es heißt auf deutsch so was wie komisch, seltsam, verrückt, pervers. Es ist ein englisches Wort und ist eigentlich ein Schimpfwort für Lesben, Schwule, Trans- und Inter-Personen. Dieses Wort hat eine interessante Wendung gemacht. In den 80er/90er Jahren ist aus diesem Wort eine stolze Selbstbezeichnung geworden
„Queer“ – das klingt für manche ganz selbstverständlich. Anderen bleibt das Wort fremd und sie fragen sich, ob es keine wichtigeren Themen gibt. - Kerstin Söderblom hat ihr Buch nun deshalb geschrieben, weil sie als Seelsorgerin herausgefunden hat: Es gibt gerade bei vielen jungen Menschen große Themen und Fragen rund um ihre sexuelle, geschlechtliche und religiöse Identität.
Mein Ziel war es, meine ersten drei Jahre als Hochschulpfarrerin auszuwerten, weil mir dort von meiner ersten Minute an sehr, sehr viele queere Personen begegnet sind, die bei mir Seelsorge und Beratung gesucht haben. Das war zunächst nicht zufällig. Ich bin selber offen lesbisch und das ist bekannt. Trotzdem war es für mich bemerkenswert, wie viele junge Studierende, Anfang zwanzig, im Grunde gekämpft haben mit ihrem Coming-out oder mit Fragen der Transition, also geschlechtsangleichenden Maßnahmen - und immer in Kombination mit Religion.
In diesen Begegnungen wird Kerstin Söderblom klar, wie wenig sich eigentlich geändert hat. Und das ist sehr auffällig, denn schließlich stimmt es doch auch, wenn die 60-jährige feststellt, was sich den letzten 30 Jahren verändert hat.
Kirchenrechtlich sind wir in den evangelischen Kirchen in Deutschland sehr viel weiter gekommen. Es gibt keine wirklich starke Form der Diskriminierung mehr, sondern Gleichberechtigung bis hin zur Trauung. Transpersonen müssen vielleicht die Gemeinde wechseln, aber es gibt absolut Anerkennung, dass selbstverständlich Transpersonen existieren und genau wie alle anderen Gottes geliebte Kinder sind.
Was theologisch richtig ist, ist eben noch lange keine selbstverständliche kirchliche Kultur. Was jahrhundertelang gelehrt wurde, lässt sich wohl auch nicht in einer Generation verändern. Und manchmal erleben queere Menschen Kirche auch als unglaubwürdig, weil zwar gesagt wird, dass „alle“ willkommen sind, aber sie dann doch ganz schnell spüren, dass sie gemieden oder ausgegrenzt werden. Oft ist ja auch vorausgegangen, dass
queere Personen sehr schlechte Erfahrungen in Kirchenräumen gemacht haben, in Gruppen, die gesagt haben, dass queere Personen sündig sind oder nicht gottgewollt sind oder Christ*innen zweiter Klasse.
Und deshalb gibt es immer noch einen hohen Bedarf an queersensibler Seelsorge – und es braucht eine Brückenbauerin zwischen schlechten und besseren Erfahrungen, zwischen gestern und heute, zwischen queerer und kirchlicher Welt. Die Mainzer Hochschulpfarrerin wandert gerne zwischen Welten, die auf den ersten Blick nicht zusammen gehören.
Ich bin zwar Theologin und Pfarrerin, gleichzeitig auch lesbische und queere Aktivistin und setze mich sehr mit Fragen von sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten auseinander. Da sehe ich mich als Brückenbauerin zwischen denen, die häufig gesellschaftspolitisch unterwegs sind und die zum Teil mit Kirche oder religiösen Kreisen überhaupt nichts zu tun haben. Und umgekehrt religiöse Kreise, die nicht so viel mit säkularen Menschenrechtsaktivisti*innen zu tun haben.
Brückenbauen zwischen Menschen und Gruppen. Schon im römischen Reich eine priesterliche Aufgabe – und auch der Papst hat ja den Titel Pontifex Maximus, größter Brückenbauer. Kerstin Söderblom sieht ihre Begabung zum Brückenbauen vor allem seelsorglich. Sie erzählt mir davon, wie
ein schwuler Mann, der mit seinem Partner schon viele Jahre zusammen lebte … aus dem Nichts an einem Herzinfarkt gestorben ist. Und das Problem war, dass die Eltern dieses schwulen Mannes nicht wussten, dass der Mann schwul ist und auch den Partner nicht kannten. Und nun ging es darum, wo wird der Mann beerdigt und wie wird diese Traueransprache gehalten, ohne dass da immer nur die Hälfte der Geschichte erzählt wird.
Und dann baut Kerstin Söderblom tragende Brücken: Sie bringt Partner und Eltern zusammen – und sie gestaltet eine für beide Seiten stimmige Beerdigung. Sie macht sensibel dafür, dass alles auch ganz anders sein kann. Sie lädt ein, die verborgenen Seiten des Lebens zu erahnen, zu würdigen und freizulegen. Ihre starke Motivation zum Brückenbauen schöpft sie aus der Erfahrung,
dass queere Menschen, die sich selbst als gläubig oder religiös bezeichnen, häufig solche sind, die zwischen allen Stühlen sind. Nämlich in der queeren Community häufig schräg angeguckt werden, weil sie noch was mit Religion und Kirche zu tun haben. Und in der … kirchlichen Welt, weil sie queer sind – und deshalb finde ich es gerade wichtig, dass kirchliche Orte da 'ne Sensibilität dafür haben, dass gerade diese Personen auch in religiösen Kreisen respektiert und angenommen werden.
Und in dieser Willkommenskultur geht es in meinen Augen nicht darum, die Interessen einer queeren Minderheit oder Lobbygruppe zu berücksichtigen. Es geht darum, eine Gemeinschaft zu sein, in der es sich erübrigt, in Kategorien von richtig und falsch, von stark und schwach, von Vielen oder Wenigen einzuteilen. Es geht um die ganze Kirche und um die Herzensmitte des Glaubens.
Das ist doch der christliche Auftrag, zu sagen: Du bist Gottes geliebtes Kind, in Gottes Ebenbild gemacht. Herzlich willkommen!
Mehr von Kerstin Söderblom:
Buchtipp: Kerstin Söderblom, Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023
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Peter Annweiler trifft Ingo Bracke, Lichtkünstler und Chefbeleuchter
Teil 1: Urstoff Licht
Er kennt sich aus mit Licht: Ingo Bracke ist seit langem Licht-Künstler und seit kurzem Beleuchtungschef des Nürnberger Staatstheaters. Und weil ich heute das weihnachtliche Licht „beleuchten“ möchte, besuche ich den 51-Jährigen in seinem Atelier in der Westpfalz.
Kabel und Scheinwerfer von seinem letzten Projekt sind noch nicht weggeräumt – da sprudelt es schon aus dem flinken und feinfühligen Mann heraus.
Das unglaubliche Tolle, mit Licht zu arbeiten, ist, dass es ein Medium ist, das sehr, sehr stark ist – also was ich einsetze. Und plötzlich ist der Raum ganz anders. Und gleichzeitig ist es aber auch sehr zart.
Das hab‘ ich auch schon bei einem Weihnachtsprojekt mit ihm erlebt: Ganz zart und doch sehr kräftig ist der Kirchenraum da in eine ganz andere Farbe, Temperatur und Schwingung geraten. Ein anderes Licht legt sich durch Ingo Brackes Schaffen über vertraute Konturen und Räume, sogar über Landschaften: Ins Ahrtal, wo er geboren ist, hat er nach der Flut künstlerische „LichtBlicke“ gelegt. Und der Loreley im Mittelrheintal hat er die Schroffheit genommen und nachts mit geheimnisvollen Lichtzeichen überkleidet.
Um überhaupt mit Licht arbeiten zu können, braucht man die Dunkelheit. Das heißt, ich sag dann gern ein bisschen flapsig: Ich bin ein Verdunklungskünstler, ein Nachtkünstler, ein Verdunklungskünstler und ich modelliere dann aus der Dunkelheit wieder etwas heraus.
Ohne die Erfahrung von Dunkelheit keine Wertschätzung des Lichts. Und gerade weil es durch das Kunstlicht für uns selbst im Winter immer weniger Dunkelheit gibt, ist uns womöglich auch das Erstaunliche und Geheimnisvolle des „Urstoffs“ Licht verloren gegangen.
Wenn man sich‘s aus der Physik anschaut, dann merkt man: Das ist so gar nicht greifbar: Es gibt ne Teilchentheorie – das ist also irgendwie ein Ding – und dann gibt es eine Wellentheorie – da verhält es sich ganz anders. Das ist nicht zu vereinbaren. Und eigentlich dürfte es so was gar nicht geben in unserer Welt und trotzdem ist es da.
Zumindest können wir eben Licht naturwissenschaftlich nicht vollends erfassen. Und das ist für mich auch eine weihnachtliche Einsicht: Licht und Leben sind eben nicht gänzlich zu ergründen, dafür aber wunder-bar und gott-gewollt.
Das Licht bricht sich Bahn in diese Welt und Gott Vater, der dann so was gebärendes ist, also nicht nur männliche Qualitäten, sondern auch weibliche hat, ist der, der dann diesen abstrakten Mega-Geist umbiegt, da sind wir wieder bei der Teilchentheorie mit dem Licht: Licht ist Welle und gleichzeitig Teilchen. Irgendwie schafft es dann dieser Gottvater aus der Welle ein Teilchen zu machen. Und das Teilchen ist dann – der Sohn. Oder sichtbar für uns Menschen.
Zuerst komme ich bei diesen Gedanken kaum mit. Doch dann staune ich über die Weihnachtsbotschaft des Künstlers so ganz ohne Maria, Josef und das Krippenkind: So wie Licht beides ist - Welle und Teilchen - so ist Christus Gott und Mensch. So wie Licht wirkt – ohne dass wir genau sagen können, wie – so wirkt der mensch-gewordene Gott. Durch ihn wird es hell in der dunklen Welt. Das feiern wir an Weihnachten.
Teil 2: Weihnachten – erhellend und liebevoll
Ingo Bracke arbeitet künstlerisch mit Licht. Seit Anfang Dezember ist der 51jährige auch Chefbeleuchter am Staatstheater Nürnberg.
Ich bin als Quereinsteiger ans Theater gerutscht –… und da geht es ums Geschichtenerzählen mit Licht. Und genau das ist, was sich immer weiter durch mein Leben zieht: Ich erzähle Geschichten mit Licht an besonderen Orten.
Und dabei kommt es ja immer drauf an, wie man eine Geschichte erzählt. Oder im Fall des Lichtkünstlers: Wie man eine Geschichte inszeniert und beleuchtet.
Schon in der Bibel ist das so: Die Evangelisten Lukas und Matthäus erzählen ganz anders von Weihnachten als Johannes. Die einen mit Darstellern, Handlung und „Story“, mit einer dramatischen Geburtsgeschichte, mit Hirten, Engeln und Königen. Der andere mit philosophischen Begriffen und mit der Wirksamkeit des Lichts. „Das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.“ heißt der Weihnachtssatz des Johannesevangeliums. Ingo Bracke sagt das eine Menge:
Das Bild von Johannes ist ja genau das: Es ist erst mal eine Welt, die dunkel ist. Und das Tolle ist, dass das Licht aus irgendeinem Grunde diese Dunkelheit erhellt – und wenn man jetzt wieder in die Physik geht – das sind ja alles ungeklärte Sachen: Es ist irgendwie dunkle Materie, das heißt: rein faktisch ist es so: Wir haben ein dunkles Universum und das Licht geht da durch und es wird nicht geschluckt.
Dass Licht wirkt und sich nicht die Dunkelheit durchsetzt – das ist also gar nicht selbstverständlich. Für mich heißt das: Weihnachten wird es, wenn ich neu staune über die Kraft und Dynamik des Lichts - eben auch in „finsteren“ Zeiten wie der unseren mit ihren Kriegen und Krisen.
Kreative und Kunstschaffende wie Ingo Bracke regen genau dieses erhellende Staunen an, indem sie altbekannte Symbole und Zeichen neu inszenieren und kombinieren.
Also das stärkste Symbol ist das Herz. Und das taucht ja nicht ganz umsonst ganz oft auf. Es gibt diese Christusdarstellungen, wo dieses Herz leuchtet. Schlussendlich ist es ein megastarkes Symbol und wenn man es schafft, es aus der Verkitschung zu holen, dann ist es unglaublich!
Und weil der Lichtkünstler offen für die Verbindung von Kunst und Religion ist, findet sich in seiner Kunst auch eine geistliche „Herzensspur“.
Es ist halt nicht nur physisch das Herz, sondern es ist auch metaphysisch - und Liebe ist auch das stärkste metaphysische Instrument, was wir in der Zwischenmenschlichkeit haben. Deshalb sind ja auch die meisten Religionen extrem auf Herz, auf die Nächstenliebe und die Liebe fokussiert.
Eigentlich kenne ich diese Bilder ja schon lange: Licht und Herz. Aber Ingo Bracke hat sie mir bei unserem Ateliergespräch wieder frisch zum Leuchten gebracht. Deshalb kann ich heute neu sagen: Weihnachten ist das Fest der Liebe und des Lichts.
Und so wünsche ich Ihnen heute einen er-hellenden und liebe-vollen Weihnachtstag!
Mehr zur Kunst von Ingo Bracke:
https://ingobracke.de
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Peter Annweiler trifft Gerd Humbert, Referent für Männerarbeit
Teil 1: was die da machen
Der Mann brennt für seine Arbeit. Das spüre ich sofort, als ich Gerd Humbert besuche. Der Referent für Männerarbeit zeigt mir gleich ein Foto mit lachenden und begeisterten Männern aus seiner letzten Gruppe.
Das ist für sie ein Ort,.. ein Schutzraum, in dem sie sich zeigen können wie sie sind. In der Gesellschaft gibt’s eher so ein traditionelles Männerbild: wie Karriere, schnell, net zum Arzt, keine Schmerzen und auf keinen Fall Gefühle zeigen – und in diesem Schutzraum konnten die Männer auch grad ihre Gefühle zeigen, sie konnten ihre Verletzungen, ihre Schwächen, ihre Niederlagen zeigen – sie konnten aber auch ihre Erfolge zeigen.
Ich gebe zu: Zuerst denke ich an Klischées der 90er Jahre: Männer lernen Gefühle zeigen. Der bewegte Mann. Schwitzhütte und Lagerfeuer. Männergruppen als Antwort auf die Frauenbewegung. Und irgendwie dachte ich, in der Kirche gäbe es so was gar nicht mehr. Doch Gerd Humbert beweist mir das Gegenteil. Seit 15 Jahren macht der 62jährige Pfälzer Männerarbeit in der evangelischen Kirche. Und sein Feld „brummt“. Vielleicht gerade durch die Krisen der vergangenen Jahre: Vier Männergruppen leitet er in Baden und der Pfalz und dazu noch drei Onlinegruppen. Mittlerweile hat er 60 Männer zu Leitern von Männergruppen ausgebildet.
Ich merke, dass die Krisen auch Fragen, Irritationen auslöst und die Männer auch so Schutzräume suchen wo sie auch mal ihre Fragen und Ängste besprechen können ohne gleich immer den Starken spielen zu müssen. Und je mehr Krisen es gibt, desto größer ist das Bedürfnis nach kleinen Gemeinschaften, die sich gegenseitig unterstützen.
Gesellschaftlich nimmt die Sehnsucht nach „starken Männern“ wohl eher wieder zu: Dass da einer mal draufhaut und dann alles wieder gut wäre. Wie wichtig, wenn Männer da anders mit Krisen umgehen lernen
Manche Männer kommen auch vor oder nach einer Krise. So die Hauptthemen sind … gesundheitliche Problematiken, die man als Mann ja hat, so mit Herzinfarkt oder Übergewicht…. das zweite Thema ist so der Druck aus der Arbeit… Und das dritte Thema ist so das ganze Beziehungsthema, mit Partnerin oder Kindern und Alleinleben – alles, was damit zusammenhängt.
Wir Männer reden zu wenig. Über Gesundheit, Schwächen und Beziehungen. Das kenne ich ja auch von mir – und gerade aus der Seelsorge weiß ich, wie wichtig es ist, nicht nur den Gesunden und Starken zu mimen, wenn es innen drin ganz anders aussieht.
Deswegen führt kirchliche Männerarbeit auch zu dem Punkt, wo Schwachheit keine Schande ist. Das ist für mich durch und durch ein biblisches Motiv: Im Durchleben von Schwachheit reifer und stärker zu werden. Gerd Humbert formuliert das so:
In den Männergruppe stärken wir unsere Persönlichkeit und gehen dann raus und übernehmen Verantwortung. Im Nahbereich ist das die Familie, aber auch im politischen Bereich. Wir sorgen net nur für uns selbst, dass es uns noch besser geht als uns eh schon geht. Wir gehen gestärkt raus, um Verantwortung zu übernehmen …im Nah- und Fernbereich – das ist mir ganz wichtig.
Teil 2: wie sich das auswirkt
Gerd Humbert macht Männerarbeit in der evangelischen Kirche. Für den Religionspädagogen und Soziotherapeuten erreichen die traditionellen kirchlichen Formen zu wenige Männer. Deshalb bietet der Pfälzer Männergruppen an – und er scheint der richtige Typ dafür zu sein. Seine sanfte und zugleich kraftvolle Art – irgendwie Kumpel zugleich Leiter – zieht viele Männer an. In seinen Gruppen geht es um eine tragende Gemeinschaft – und weniger um den Einzelkämpfer. Ganz gegen den Trend macht Gerd Humbert überraschende Entdeckungen.
Die Gruppe ist so intensiv, dass man denkt: Was ist denn eben passiert? … Da gibt es so ne Verbundenheit auch bei schweren Themen, wo wir uns … tragen und unterstützen. Das ist für die Männer oft ne spirituelle Erfahrung, wo sie sich fragen: Das war jetzt aber … eine größere Energie … So ne Gruppe ist wie ne kleine Lebensgemeinschaft oder wie ne Gemeinde in der Kirche, die sich über ihr Leben austauscht.
Der echte Austausch und die gegenseitige Unterstützung. Scheint unter Männern so selten, dass es ein spirituelles Erlebnis sein kann. Vielleicht gerade bei denen, die sich selbst als kirchenfern einschätzen. Gar nicht so selten erlebt Gerd Humbert, dass gerade die sagen:
Gerd, sprich doch mal n Gebet. … dass ich dann am Schluss noch ein freies Gebet formuliere und merke dann: Es ist eine große Sehnsucht nach Spiritualität, die ich aber nie missionarisch einbringe, sondern es kommt immer aus der Gruppe.
Der Protestant trägt eher einen „klassischen“ Lebenshintergrund in seine Gruppen: Seit 30 Jahren verheiratet, zwei erwachsene Töchter, keine Trennung. Dennoch kommen ganz unterschiedliche Männer in seine Gruppen: Väter und Kinderlose, Gläubige und Zweifler, Sportler und Unbewegliche. Da geht es um viel mehr als um „Vater, Mutter, Kind.“ Es ist Gerd Humbert wichtig, mir zu versichern:
Wir sind offen auch für … neue Geschlechterthemen. Es sind ein paar schwule Männer dabei. Und wir sind auch offen für Männer, die ne neue Orientierung suchen und finden. Wir stellen uns auch diesen Fragen.
Und so kann ich ihm abschließend die Frage stellen, ohne die keine Sendung keine über Männer enden kann – und die auch zum heutigen „Männersonntag“ in der evangelischen Kirche passt: Wann ist ein Mann ein Mann? - Gerd Humbert:
Ein Mann ist ein Mann, wenn er auf dem Weg ist, wenn er sich weiter entwickelt, wenn er wächst. In der Natur haben wir Wachstum. Da gibt’s manchmal trockene Phasen und feuchte Phasen, wo wir uns weiter entwickeln. Und für mich ist ein Mann ein Mann, wenn er auf den Weg geht und sich weiter entwickelt.
Mehr Infos zu Gerd Humberts Gruppen:
www.maennernetzpfalz.de
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Teil 1: wo er herkommt und was er macht
Peter Annweiler trifft Lars Castellucci, Bundestagsabgeordneter aus dem Rhein-Neckar-Kreis
Seit zehn Jahren sitzt Lars Castellucci für seinen Wahlkreis in der Rhein-Neckar Region im Bundestag. Der Mann - schmaler Typ mit wachem Geist - ist noch keine fünfzig. Politisch engagiert ist er schon seit er siebzehn ist. In der frühen Zeit seines Wirkens in Wiesloch hat ihn etwas geprägt, worauf er bis heute nicht verzichten möchte.
Ich bin viel vor Schülern und Schülerinnen unterwegs – und die fragen mich dann: Was habe ich denn gelernt oder studiert. Und dann sage ich immer, dass ich einen Kirchenchor geleitet habe. (lacht) Weil ich glaube wirklich, dass ich da sehr, sehr viel gelernt habe – auch wenn ich das nicht auf einem Zertifikat zeigen kann.
Und klar: Lars Castellucci hat auch „Zertifikate“ erworben. Er hat Politik, Geschichte, und Öffentliches Recht studiert. Er hat promoviert und eine Professur für nachhaltiges Management angetreten. Doch für sein Wirken als Politiker scheint die Chorleitung die beste Basis zu sein: Einen Klang anstoßen, den gemeinsamen Takt finden, die Gemeinschaft stärken. Ich finde, das lässt sich gut mit Herausforderungen in der Politik vergleichen.
Und obwohl Lars Castellucci heute sagt, dass er schon lange keine Zeit mehr für Chorarbeit und Orgelspiel hat, bleibt es für ihn ganz klar:
Ich bin aufgewachsen in der evangelischen Kirche und komm gar nicht umhin, mich da zugehörig zu fühlen. Immer wenn n Posaunenchor loslegt, dann weiß ich, wo ich dazu gehöre – und das ist ja auch ein schönes Gefühl
Wie gut, wenn jemand weiß, wo er herkommt – und das bis heute wertschätzen kann. Als religionspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion ist Lars Castellucci jedoch frei von einer Nostalgie-Haltung den Kirchen gegenüber.
Bei Themen, die jetzt auch schwierig sind, lsao, wenn ich der Auffassung bin, da hat man die Zeichen der Zeit nicht erkannt, dann äußere ich das auch gegenüber den Kirchen.
Castellucci ist es ein Anliegen, dass die Kirchen am Puls der Zeit bleiben. Er will die interreligiöse Arbeit stärken. Für eine starke Suizidprävention setzt er sich genauso ein wie für gut geregelte Migration.
Und ganz wichtig ist ihm in allem der Zusammenhalt in unserem Land. Dazu sieht er auch die Religionsgemeinschaften verpflichtet.
Vielleicht fällt das Wort „Zusammenhalt“ auch deshalb so oft in unserem Gespräch, weil Johannes Rau sein Vorbild ist. In Castelluccis Augen einer, der genauso sozial, demokratisch und evangelisch war wie er selbst.
Als ich dreizehn war, hat er kandidiert als Bundeskanzler. Ich hab ihn dann beobachtet als einen Menschen, der versucht, zusammen zu führen: Versöhnen statt spalten - und so etwas - vielleicht ist es altmodisch - Väterliches - das tut ja Menschen auch gut.
Ja, da stimme ich zu: Wir haben in unserm Land zumindest gefühlt ein großes Gegeneinander. Ich nehme es Lars Castellucci ab, dass er den Zusammenhalt im Blick hat und nicht nur die Interessen einzelner oder gar seine eigenen.
Teil 2: was ihn prägt und wo er hin will
Lars Castellucci ist seit zehn Jahren Bundestagsabgeordneter aus dem Rhein-Neckar Kreis. Zum Profil des smarten 49jährigen gehört auch seine kirchliche Prägung.
Bei meinem Namen denken manche einfach mal schnell: Das müsste eigentlich katholisch sein und sag ich: Nee, ich bin fürchterlich protestantisch und dann da fürchterlich evangelisch und was ich damit meine ist, dass ich damit schon ein bisschendiese Regelbasiertheit, also Regeln zu haben und die auch einzuhalten – das ist mir wichtig und das versuche ich im Deutschen Bundestag auch stark zu machen.
Evangelisch und deshalb von Regeln geprägt. - Mir fällt als erstes ja immer die „evangelische Freiheit“ ein. Doch wenn ich mit Lars Castellucci weiter über Migrationspolitik spreche, wird mir klar: Freiheit und Menschenliebe sind dafür zu wenig. Ein so komplexes Feld braucht klare Regeln.
Ich glaube an die Möglichkeit guter Regeln, dass das nicht mit so viel Leid verbunden sein muss, dass da nicht immer Menschen sterben müssen, dass wir das schaffen können Regeln aufzustellen, die für alle gut sind. Also eine ganz starke Hoffnung auf die Möglichkeit guter Lösungen -
und dabei Migranten nicht zuerst als ein „Problem“ zu sehen, sondern als Menschen mit Rechten – darin zeigt sich in meinen Augen, dass christliche Werte eine politische Haltung prägen können. Lars Castellucci:
Indem man sich für ne gute Sache einsetzt, hat man immer auch ne Hoffnung dabei, dass sie dann auch gelingen kann – das glaube ich zeichnet uns Christen und Christinnen aus – nicht exklusiv – aber es sollte uns auszeichnen.
Die Hoffnung, dass es auch im politischen Handeln „gut“ ausgehen kann, ist selten geworden in unseren Tagen. Viel stärker hat sich eine Skepsis breit gemacht, was „die da oben“ wohl noch alles verzapfen.
Es beeindruckt mich, wie Lars Castellucci – ganz ohne „die da oben-Haltung“ - Werte vertritt – und dabei menschennah und pragmatisch bleibt.
Für ihn müssen sich Hoffnung und politisches Handwerk finden. Nur so kann es angemessen in die Zukunft gehen. Und das gilt genauso für die Zukunft der Kirchen. Um die ist Lars Castellucci – trotz der Schrumpfkur, die sie gerade durchmachen - übrigens gar nicht bange:
Da wird man sich von Gebäuden trennen. Aber wir sollen unser Herz ja gerade nicht an die Dinge hängen, die aufgehäuft worden sind. Sondern sollten frei sein, das was uns ausmacht als Christenmenschen auch spüren zu lassen. Und das geht nicht, wenn Gremien nur damit beschäftigt sind, wo es gerade wieder reinregnet…
Statt Fixierung auf Löcher in Dächern oder Kassen braucht es eine Besinnung auf den Kern der Aufgaben.
Da sein, wo es Not tut – die Wunden der Menschen heilen, Nähe, Wärme, Begegnung ermöglichen – das ist das Zentrum. Und das ist auch weiter möglich. Da bin ich ganz davon überzeugt.
Und da bin ich ganz bei Lars Castellucci.
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Peter Annweiler trifft André Borsche, Plastischer Chirurg und Operateur in Krisengebieten
Teil 1: Arzt mit Herz
28 Jahre lang hat der plastische Chirurg André Borsche als Chefarzt im Diakoniekrankenhaus Bad Kreuznach gewirkt. Jetzt geht er in Ruhestand. Aber als Vorsitzender des Vereins „Interplast“ engagiert er sich weiter. Da wirkt er weltweit ehrenamtlich in Krisengebieten und Entwicklungsländern. Es sind besondere Eingriffe, wenn der Arzt mit seinem Team Menschen operiert: Opfer von Verbrennungen, Patienten nach Tretminenunfällen oder Kinder mit angeborenen Fehlbildungen:
Eine junge Familie, die sich riesig über das Kind gefreut hat – aber das Kind ist mit einer Kiefergaumenspalte geboren, eine klaffende Spalte in der Lippe – ansonsten kerngesund und munter – und sie waren ganz verzweifelt, weil sie dachten: Das ist eine Gottesstrafe– und ich sag mal aus meiner Perspektive, wie man mit relativ wenig Aufwand – ein, zwei Stunden Operation mit Lupe und feinen Fäden und Sie zaubern praktisch die Lippe wieder hin – und dann dieses Kind den Eltern in die Arme wieder geben.
Für diese Momente lebt André Borsche. Seine Augen leuchten, wenn er davon erzählt. Schon 30 Jahre erfüllt ihn seine ärztliche und menschliche Mission. Vielfach wurde er dafür ausgezeichnet. Eben weil er sein Können nicht für sich behält, sondern in Afrika, Südamerika und Indien unentgeltlich hilft.
Ich denke zum Beispiel an die vielen Begegnungen mit Mutter Theresa, wo wir gesehen haben, dass eine wirklich sehr kleine, aber ganz strukturierte Frau gesagt hat: „Herr Borsche, ich freue mich, dass Sie gekommen sind – ich hab‘ sie praktisch schon erwartet (Weiß der Kuckuck woher, lacht). Ich habe zwölf Kinder für Sie vorbereitet, die Sie mir bitte in zwei Wochen gesund und munter operiert wiederbringen.- Und mir blieb nur übrig, zu sagen: „Aye, aye, Madam – Ihr Auftrag ist mein Befehl“ – und genauso hat’s geklappt Das war einfach faszinierend.
André Borsche verzichtet für seine Einsätze oft auf seinen Urlaub. Er setzt sich großem Elend und heftigem Stress aus – und kommt doch zurück als einer, der mehr empfängt als er gibt.
Das Zurückkommen zeigt mir immer wieder, wie sehr die innere Batterie jetzt positiv aufgeladen ist. Das heißt: Ich bin sicherlich erschöpft, hab‘ wenig geschlafen, bin bisschen durchgedreht, aber ich bin innerlich so, so erfüllt.
Erfüllt ist er – und nicht ausgebrannt. Das Bibelwort „Geben ist seliger als Nehmen“ fällt mir im Gespräch mit diesem fröhlichen Helfer ein. Und der bleibt womöglich besonders fröhlich, weil er nicht alles als eigene Leistung sieht.
Und natürlich passiert es durch meine Hände, aber es passiert ja letztlich auch durch ne göttliche Fügung, dass so was möglich ist. Da dürfen wir uns nicht zu viel einbilden, dass wir da die Heilsbringer sind.
Der Protestant André Borsche ist überzeugt: Er ist „Werkzeug“. Durch ihn wirkt auch ein menschenfreundlicher Gott. Und der ermöglicht, die eigenen Talente zum Wohl anderer wirken zu lassen.
Teil 2: Botschafter der Menschlichkeit
André Borsche wirkte 28 Jahre als Chefarzt für plastische Chirurgie in Bad Kreuznach. Mit seinen Operationen schenkt der gebürtige Berliner Patienten ein neues Aus-sehen und gibt ihnen damit ein neues An-sehen. Als Vorsitzender des Vereins „Interplast“ führt er weltweite Hilfseinsätze durch. Dabei hat sich sein Blick auf Deutschland sehr verändert.
Wir sind gut abgesichert in vielerlei Hinsicht und haben auf viele Dinge, auch auf Gesundheit, einen gewissen Anspruch, denken wir mal … In diesem Bewusstsein leben wir – leider (schmunzelt)
Dieser Anspruch verstellt wohl den Blick darauf, wie erfüllend es sein kann, Menschen in großer Armut zu helfen. Unentgeltlich tut der Arzt das - und staunt, wie wenig sein Wirken an politische oder religiöse Grenzen gebunden ist.
Man spricht deren Sprache nicht, aber die Augen leuchten, die Kinder lachen, man spielt mit denen und in diesem spielerischen Umfeld geschieht jedes Mal etwas ganz Besonderes, … das man nicht mit Worten fassen kann - das ist eine Lebenserfahrung, die möchte ich keinen Moment missen.
Für André Borsche kommt es zuerst auf diese bereichernde Menschlichkeit an. Sie ist für ihn im Christentum gegründet.
Ich denke an einen der ersten Einsätze in Guinea in Westafrika, wo wir sehr nett mit den Ärzten und Schwestern vor Ort in Kontakt waren – und dann war ein Junge der eben auch ne ganz schwere Verletzung im Gesicht hatte – und der in der Straße als „daneben lebender Mensch“ noch geduldet wurde. Wir waren alle dann beseelt von dieser Idee: Jetzt wollen wir auch dem, der normalerweise gar keine Chance hätte, richtig helfen, selbst wenn die sagen „Die spinnen – die haben ihren humanitären Aspekt so in den Vordergrund gestellt!“
Denen helfen, die keine Chance haben - und damit den „humanitären Aspekt“ stärken. Auch, wenn andere darüber den Kopf schütteln: Das ist eine unaufgebbare Konsequenz des christlichen Glaubens – und „eigentlich“ eine große Verpflichtung für Europa, das so stolz auf seine christlichen Wurzeln ist. André Borsche:
Ich hab auch meine große Sorge, dass im Moment unsere Gesellschaft so mit diesen ökonomischen Problemen so überlastet ist, dass wir uns in eine Denkweise hineinbegeben, wo so inhaltliche und ethische Werte zunehmend verloren gehen.
Als Arzt wusste er schon längst vor Corona, was verloren geht, wenn Krankenhäuser Geld verdienen müssen: nämlich das Ethos des Teilens und eine Nähe zu denen, die nichts haben. Das Besondere an André Borsche ist, dass er dieses Ethos lokal und global mit einer ansteckenden Fröhlichkeit lebt . Für mich ist er ein sympathischer „Weltverbesserer“: Fröhlich kann es so einfach sein, die Welt zu gestalten.
Ich versuche eben fröhliches Auftreten und mein persönliches Lebensglück mit andern Menschen zu teilen und wenn das zum Selbstläufer wird und die dann wieder andere fröhlich machen, dann hat es geklappt.
Informationen zum Verein Interplast: www.interplast-germany.de
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Peter Annweiler trifft Regina Bauer, Mannheimer Pfarrerin mit Engagement für Ukrainerinnen
Teil 1: Mehr als ein Unterschlupf.
Eigentlich hätte es „abgewickelt“ werden sollen: Das Lukashaus im Mannheimer Süden. Doch dank Regina Bauer ist es anders gekommen Als im März 2022 alle so entsetzt über den russischen Angriffskrieg sind, ist der Pfarrerin der Matthäusgemeinde Betroffenheit zu wenig. Tatkräftig und mit langem Atem bringt sie die Not der Geflüchteten und die große Hilfsbereitschaft in Deutschland mit der leeren Immobilie zusammen. Heute wohnen dreißig Personen in dem ehemaligen Pfarr- und Gemeindehaus. Und Regina Bauer kann sagen:
Das Lukashaus ist zu ner Marke geworden. Die Leute sagen das auch. Sie sagen nicht ihre Adresse, sondern „Ich wohne im Lukashaus.“ Es ist ein Kristallisationspunkt, ein Kern für die Arbeit mit Menschen aus der Ukraine und mit Menschen in Deutschland.
Mehr als eine Million Menschen mussten ihre ukrainische Heimat verlassen und leben mittlerweile bei uns. Auf den ersten Blick sind da dreißig Geflüchtete nicht viel. Und doch ist im Lukashaus so vieles gelungen, was nicht mit Zahlen zu messen ist:
Da kam die Frau, die früher drei Wochen in einem Keller gelebt hat, und ihr Partner zu mir – und sie haben mir gesagt: Wir werden ein Kind bekommen. Und dieses Kind ist inzwischen geboren und es heißt: Lukas. Wohl auch deshalb, weil sie sich sehr wohl und heimisch fühlen, geborgen fühlen, in diesem Haus.
Anrührend finde ich das, wenn ein Haus Pate für einen Menschen wird. Da muss ganz schön viel Gutes passiert sein, bis Geflüchtete so stark mit ihrer Unterkunft verbunden sind. Wie das wohl gewachsen ist, frage ich mich. Regina Bauer hat da eine einfache Antwort.
Wir haben kein fertiges Konzept gehabt, sondern wir haben Dinge miteinander entwickelt. Ganz bald, als die Menschen da waren, wurde deutlich: Wir müssen uns wieder treffen, weil die Angst und die Unsicherheit so groß war.
Es klingt so einfach – und fordert doch so Vieles. Denn damit Menschen sich sicher fühlen, braucht es Zeit, Begegnungen und Vertrauen. Die Kirche wird Café und Gasthaus. Sie bringt Geflüchtete und Einheimische zusammen. Und da entsteht für beide Seiten Neues.
Interessant, dass es vielleicht auch wieder wichtiger werden kann für uns, die wir hier in Deutschland geboren sind, zu überlegen, was sind die Dinge, die wirklich wichtig und wertvoll sind, die uns tragen, die wir brauchen, damit wir das Gefühl haben: Wir haben ein Herz und eine Seele – und das einander zu spiegeln
Teil 2: Begegnungen mit Herz und Seele
Regina Bauer ist Pfarrerin der Mannheimer Matthäusgemeinde. Die 61jährige hat eigentlich schon genug zu tun. Und doch hält sie es für wesentlich, Geflüchteten mehr als eine Unterkunft zu bieten. Das Wohnprojekt für ukrainische Familien im Lukashaus trägt ihre Handschrift.
Also ich glaub wirklich, dass das stimmt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von den Begegnungen, die er oder sie geschenkt bekommt.
Und deshalb nimmt Regina Bauer sich pro Woche einen Abend Zeit für die geflüchteten Familien. Da hört sie mit Hilfe einer Übersetzerin ganz genau zu.
Wir besprechen mit den Menschen erst das, was die Gemeinschaft betrifft und dann das, was Einzelne betrifft. Das sind so praktische Dinge wie ein Antrag ans Jobcenter. Aber das können auch sehr persönliche Dinge sein: Trauer, die Sorge um den Ehemann, der im Minensuchdienst unterwegs ist. Die Frage, in welche Schule soll mein Kind gehen
Und an einem solche Abend im Lukashaus durfte ich dabei sein. Es hat mich beeindruckt mitzuerleben, wie geschätzt Regina Bauer dort ist. Sie ist viel mehr Seelsorgerin als Hausherrin.
Manchmal beten wir zusammen, manchmal gebe ich jemandem einen Engel mit – auf die Reise, weil er oder sie noch mal in die Ukraine muss, um ein Papier zu holen, eine Unterschrift, einen Stempel – etwas Offizielles. Und wir umarmen uns kurz und dann gehen die Menschen – und sie wissen: Ich denke an sie – und meistens schreiben wir uns dann, während sie auf der Reise sind, noch ein paar Mal hin und her, bis sie wieder zurück sind.
Stark, wie fraglos für Regina Bauer trotz der hohen Sprachbarriere eine niederschwellige Seelsorge ist. Ganz selbstverständlich widmet sie sich Menschen, ohne nach deren Religionszugehörigkeit zu fragen – und staunt selbst, was das Projekt anregt.
Viele wollen auch etwas zurückgeben. Und so ist auch entstanden, dass beim Ukrainecafé und beim Ukraine-Abendessen immer Leute da sind, die mit unterstützen und mithelfen – und sich dadurch nicht nur als Menschen sehen, die etwas nehmen, sondern auch als Menschen, die etwas geben. Und das hilft und gibt ihnen wieder mehr Selbstwertgefühl.
Bemerkenswert finde ich, dass die Ukrainerinnen auch in die Kirche kommen. Und Regina Bauer erlebt dann, wie hilfreich es ist, einen gemeinsamen christlichen Kulturkreis zu haben.
Gottesdienst ist etwas ganz Wichtiges, in die Kirche kommen zu können: Kerzen anzünden zu können, gerade auch, wenn ich auf meinem Handy Bilder zugeschickt bekommen habe – jetzt zum Beispiel aus Cherson. Dann ist es wirklich wichtig, dass Menschen die Möglichkeit haben, zur Ruhe zu kommen, sich zu fokussieren und auch ein Stück Kraft geschenkt zu bekommen.
Für mich ist das, was rund um das Lukashaus geschieht, ganz besonders. Es erinnert mich an das, was in der Taufe Grund gelegt ist: Wir sind nicht zuerst Geflüchtete oder Einheimische, wir sind nicht zuerst Menschen einer bestimmten Staatsangehörigkeit, sondern wir sind zuerst Gotteskinder.
Nähere Informationen zur Gemeinde: www.matthaeus-kirche.net
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37892SWR1 Begegnungen

Peter Annweiler trifft Gerhard Marcel Martin, Theologieprofessor und Autor des Buches „Sehnsucht leben“
Teil 1: Sehnsucht – ein Unruheherd?
An ihm hat mich immer beeindruckt, wie kreativ und weit er denken kann und dabei doch genau bleibt. Schon als ich bei ihm studiert habe, hat mir gefallen, wie der Marburger Theologieprofessor Religion mit Kultur und Psychologie im Gespräch hält. Jetzt habe ich ihn wieder besucht, weil er ein Buch über Sehnsucht geschrieben hat. In seinem Spätwerk hat sich dieses Motiv immer öfter bemerkbar gemacht, sagt er – und lädt ein, genauer hinzuschauen.
Sehnsucht ist so weit zu fassen als Phänomen, dass sie eigentlich ne Unruhe, einen Unruheherd in allen Lebensbereichen ist.
„Unruheherd“? – Sehnsucht gibt sich nicht mit dem zufrieden, was ist. Sie treibt mich weg von dem, was mich im Moment umtreibt – und führt mich zu dem, was womöglich wesentlich ist. Ja, so passt es für mich auch in unsere Tage: Gerade wenn ein Krieg grausam wütet, wird meine Sehnsucht nach Frieden erst recht geweckt!
Wohin zielt die Sehnsucht: Kann Sehnsucht gestillt werden oder ist sie unstillbar? Und ich gehe davon aus, dass Sehnsucht tatsächlich nicht erfüllt wird. Aber alles beginnt mit der Sehnsucht- und wo Sehnsucht sich erfüllt, dort bricht sie noch stärker auf.
Sehnsucht richtet sich also auf ein unerreichbares Ziel. Vielleicht ist sie wie ein Motor, der auch in verzwickten Zeiten und nach schweren Enttäuschungen am Laufen bleibt. Ihre Geschwister Optimismus und Hoffnung scheinen ihr gegenüber schneller am Ende.
Optimismus ist ziemlich „pausbackig“, oft – und lässt den Schmerz draußen. Hoffnung ist schon sehr viel aufgerauhter und enttäuschbarer und offen, während Sehnsucht demgegenüber geradezu diffus und unbestimmt ist, was aber auch ihre Stärke ist.
Ich weiß es ja von mir: Schmerzhaft ist mein Optimismus zerbrochen, dass dieser Krieg schnell vorbei gehen kann. Und meine Hoffnung, dass es nicht so viele Tote geben möge, war schnell zerstört. Meine Friedenssehnsucht aber lebt noch. Darin ist Sehnsucht womöglich auch wie eine Bewegung auf Gott hin – sie führt nicht auf ein behagliches Ruhekissen, sondern ist ein Unruheherd, der mich davor bewahrt, zu schnell zufrieden und beruhigt zu sein. Sie ist also auch ein Motor, nicht aufzugeben.
Und das ist die Dynamik der Sehnsucht, die auch dazu antreibt, es also nicht bei der inneren Erfahrung sein zu lassen und auch dazu ermuntert, in den sozialen Aktivitäten andere Spuren, einen Tiefgang, einen spirituellen, aber auch einen politischen, zu bewahren.
Teil 2. Sehnen und Suchen
Für den emeritierten Marburger Professor der Praktischen Theologie hat Sehnsucht viel mit dem Kern von Religion zu tun: Hoffnung und Verzweiflung, Glück und Schmerz finden in ihr zusammen. Gerade in Krisenzeiten treibt sie über Rückschläge und Enttäuschungen hinaus. Religion und Sehnsucht gehören für Gerhard Marcel Martin aus einem ganz einfachen Grund zusammen:
Religion ist ein Lebensphänomen und kein Denkereignis. Und von da aus muss sie und ist auch immer mit Lebenserfahrung und mit Enttäuschung und Schmerz und Sehnsucht verbunden.
Das gefällt mir: Religion ist nichts Exklusives - etwa nur für Kirchenmitglieder. Sie gehört mitten ins Leben: Als ein „Lebensphänomen“ hält sie Schmerz und Sehnsucht verbunden. Sie gehört zu einem Drang, der sich manchmal gar nicht aussprechen lässt, so tief ist er im Grund des Lebens angelegt.
Das Klassische ist bei Paulus, dass die ganze Schöpfung sich sehnt nach der Erlösung, nach Lösung, nach Freiheit – und dass dies zum Ausdruck gebracht wird über ein Stöhnen, über ein Seufzen, also etwas Vorsprachliches, aber zutiefst Leibhaftiges.
Ja, manchmal möchte ich auch nur noch Stöhnen und Seufzen über den Unfrieden, das Taumeln unseres Planeten und die Rückfälle im politischen und menschlichen Bemühen. In seinem Buch geht Gerhard Marcel Martin davon aus, dass wir genau so – auch im Stöhnen und Seufzen - „Sehnsucht leben“ können.
Sehnsucht ist unterbestimmt und kann den Zielgegegenstand (schmunzelt), das Ziel gar nicht benennen, weil es in die Weite und ins Offene geht, was lebensdienlich ist, aber auch gefährlich sein kann. Und in dem Sinn kann aus Sehnsucht auch eine Abhängigkeit und eine Sucht werden
- und dabei kann Sehnsucht krank machen, weil sie immer weg zieht von dem, was ist. Und weil Menschen manchmal versuchen, die Sehnsucht mit Suchtmitteln ruhig zu stellen.
Und in dem Sinn müsste auch Sucht-Therapie befreien durch ein Lernen der Sehnsucht. Aus der Sucht kommt man nur heraus, wenn man in die Sehnsucht um-steigt…
Mir gefällt die kreative Nach-denklichkeit, mit der Gerhard Marcel Martin denkt, spricht und schreibt. Er berührt mich mit dem, was er aus Psychologie und Religionswissenschaft, aus Musik, Kunst und Bühnenwelt zusammen trägt
Wenn Religion diesen Anschluss an die Weite der Kultur und die Weite menschlicher Erfahrung verliert, dann ist sie „Plastik“ und verliert den Lebensatem.
Buch-Tipp:
Gerhard Marcel Martin, Sehnsucht leben, Stuttgart 2022
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37719Zeige Beiträge 1 bis 10 von 91 »