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SWR1 Begegnungen

Dieter Burgard Foto: Staatskanzlei Rheinland-PfalzNach der Schule eine Lehre als  Bankkaufmann, dann Zivildienst in einer Caritas-Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Wittlich, anschießend Studium der Sozialpädagogik.  20 Jahre arbeitete er als Erzieher in Wittlich, ab 2001  saß er neun Jahre für die SPD im rheinland-pfälzischen Landtag. Acht Jahre war er Bürgerbeauftragter des Landes, und eigentlich hatte er vor, sich Ende April  dieses Jahres  mit 63 in den Ruhestand zu verabschieden. Doch es kam anders. Die zunehmenden  Angriffe gegen Bürger jüdischen Glaubens  auch in Rheinland-Pfalz veranlassten Ministerpräsidentin Malu Dreyer, das Amt eines Antisemitismusbeauftragten zu schaffen – und sie fragte Dieter Burgard, ob er dieses Amt übernehmen wolle.

Und ich konnte nicht nein sagen, und, ja, es ist ne schöne Aufgabe, aber auch ne schwierige Aufgabe.

Rund 20 000 Mitbürger jüdischen Glaubens leben derzeit in Reinland-Pfalz, 3000 davon in jüdischen Gemeinden engagiert. Das Arbeitsfeld ist für Dieter Burgard keineswegs neu, er ist seit vielen Jahren Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte KZ Hinzert im Hochwald und landesweit in der Gedenkarbeit aktiv.

Also erstmal bin ich durch alle Gemeinden auch gegangen und hab das Gespräch gesucht, wo drückt der Schuh.

Das Spektrum reicht vom Synagogenneubau in Koblenz, wo Burgard hilft und vermittelt, bis hin zu polizeilichen Ermittlungen, die er kritisch begleitet wie jüngst nach einer Schändung eines jüdischen Friedhofs in Freudenburg bei Trier.

Ich hab dann auch geschaut, wie sieht das jetzt aus, war mit vor Ort, hab geschaut, was ist passiert, wie sieht das aus und auch bei der Polizei nachgefragt, wie sehen die Ermittlungen aus.

Antisemitismus ist kein neues Phänomen, wissenschaftlichen Studien zufolge waren und sind rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung seit jeher antijüdisch eingestellt. Pegida, AfD und die so genannten sozialen Netzwerke haben extreme Tendenzen verstärkt, ist Burgards Beobachtung   

Das ist fast unbegrenzt, was da abgeht im Internet, aber auch sonst. Es gab Graffiti-Schmiererei in Neuwied. Juden ins Gas, Dreyer und Maas, aber auch sonst, wo man auch auf Schulhöfen, das geben Schüler zu, Judenwitze wieder macht, wenn Sie sehen, was in Fußballstadien abgeht, und das macht mir auch Sorgen und deshalb ist es auch gut, dass es eine Stelle gibt, die genau beobachtet, was es gibt.

Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit, Begegnungs- und Verständigungsorte für Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Tradition und Einstellung schaffen, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, bei der es keinen Schlussstrich geben kann, auch wenn es Gegenwind gibt. Da bin ich mit Dieter Burgard einig – und teile sein Unverständnis, wenn er von Erfahrungen wie dieser berichtet:

Ich hab selbst mit Politikern gesprochen bei der Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Berlin, da heißt es, jetzt haben wir ein Mahnmal und dann reicht es aber auch, es gibt andere Probleme.

Eine Konstante im ansonsten wendungsreichen Werdegang von Dieter Burgard ist sein Engagement in der Kirche. Mehr dazu nach dem nächsten Titel.

 

Teil 2

 

Und mit Dieter Burgard. Seit Kindesbeinen an ist der Sozialdemokrat und Antisemitismusbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz ehrenamtlich in der katholischen Kirche aktiv. Bis heute engagiert er sich etwa beim Sozialdienst katholischer Frauen und Männer in Wittlich, wo der verheiratete Vater drei erwachsener Söhne heute lebt, oder bei der Autobahnkirche St. Paul in Wittlich-Wengerohr.

Was ist für ihn zentral bei seinem Einsatz als Christ, will ich von ihm wissen.

Also dass man jeden Menschen respektiert, das hab ich also auch von meiner Mutter gelernt, es gab keinen Bettler, der ohne ein Brot ging, wir hatten in der Verwandtschaft ein Kind, was unehelich auf die Welt kam, keiner wollte Pate sein, meine Mutter hat das gemacht, also das hat mich so geprägt. Mein erster Beruf war Bankkaufmann, und als Banklehrling bin ich nachmittags ein, zweimal die Woche in eine Obdachlosensiedlung gegangen und hab da Nachhilfe gemacht, also man kann im Kleinen vieles tun, beispielsweise mit behinderten Menschen, ich bekam sehr viel zurück, es ist ne Arbeit die wirklich lohnenswert ist, wo man sagen kann, das erfüllt einen dann auch. 

Dieter Burgard ist zuhause in der Kirche, und es waren vor allem überzeugende Persönlichkeiten, die ihn geprägt haben, das wird mir deutlich in unserem Gespräch. Da ist vor allem seine Mutter, die er mehrfach erwähnt, aber auch hauptamtliche Vertreter der Kirche, die er kennen gelernt hat, etwa in der Jugendarbeit.

Und was stört ihn an der Kirche oder macht ihm Sorgen, frage ich ihn. Natürlich müssen Skandale wie Missbrauch oder der Umgang mit Geld in der Kirche angegangen werden. Aber darüber hinaus sind es eher nicht die großen Themen wie zum Beispiel der Zölibat, die ihn bewegen. Kirche, und damit meint er Amtskirche und Gläubige, müssen sich mehr noch als bisher für Arme und Schwache einsetzen. Konkrete Nächstenliebe ist da ein wichtiges Stichwort für ihn, da ist er ganz auf der Linie von Papst Franziskus. Und wenn er von der offenen Kirche spricht, meint er das auch ganz konkret

Also das heißt, wenn ich in eine Gemeinde komme, wo eine Kirche ist, soll die Tür eigentlich offen sein, wo ich beten kann, und das ist heut nicht mehr gegeben, die werden dann nicht mehr geöffnet, weil man Angst hat, dass da ne Statue entwendet wird oder sonst was, man sollte immer ein offenes Angebot haben und Ansprechpartner auch vor Ort, und das muss nicht der Priester sein.

Einer wie Dieter Burgard eben, der sein Christ sein nicht verbal vor sich herträgt, sondern lebt und umsetzt – auch politisch. So habe ich Dieter Burgard in unserer Begegnung erlebt. Wir könnten mehr von seiner Sorte gebrauchen.

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SWR1 Begegnungen

Teil 1 

Und mit Charlotte Kleinwächter. Sie ist hauptamtliche Klimamanagerin des Bistums Trier und bemüht sich als solche nicht nur um eine stärkere ökologische Ausrichtung des kirchlichen Handelns, sondern wirft natürlich auch einen grundsätzlichen Blick auf Klimaschutz und Klimawandel. Und da muss noch viel mehr geschehen, und zwar auf allen klimarelevanten Feldern, sagt sie. 

Angehen müssen wir alle Felder, das ist ganz klar, ich glaube für Deutschland ist es ganz leicht,  oder es ist nicht leicht, aber ganz wichtig, den Kohleausstieg zu organisieren, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen, zumal Deutschland ja auch schon zu den Energie exportierenden Staaten gehört, also wir brauchen den Strom aus Kohlekraft einfach nicht mehr. Mobilität, auch so ein Schwachpunkt in Deutschland, die Fixierung auf das Auto aufzugeben, über Tempolimit nachzudenken, Förderung von Radmobilität, der öffentlichen Verkehrsmittel, das Fliegen, das so unfassbar billig ist, in die Ferne, also, es gibt ganz ganz viele Felder und überall ist es dringend. 

Deutschland wird seine selbst gesteckten Klimaziele – also Reduzierung des CO2-Ausstoßes zunächst bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 – krachend verfehlen, wenn nicht viel schneller viel stärker umgesteuert wird, das ist mittlerweile klar. Aber woran liegt es, dass Deutschland auf der Stelle tritt? Wir sind uns einig: Es liegt an der Politik u n d an jedem Einzelnen. 

Wir müssen uns einschränken, damit andere die gleichen Lebenschancen haben wie wir und auch die nachfolgenden Generationen das haben, --- das heißt, jeder Einzelne ist gefragt im Umdenken handeln, und das fällt schwer und es fällt natürlich den Politikern auch schwer, die ganz dringend gefragt sind Regeln zu setzen und Grenzen aufzuzeigen, aber das tut man ungerne, weil da der Wähler die Wählerin das vielleicht nicht honoriert. 

Ist der drohende ökologische Kollaps nicht auch eine Folge unseres Wirtschaftssystems, das auf immer weiteres Wachstum und damit Ausbeutung der Ressourcen angelegt ist, frage ich die Klimamanagerin. Man kann schon auch über den Preis einiges regeln, meint sie und zitiert Professor Otmar Edenhofer von Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Der sieht einem höheren CO2-Preis für Unternehmen ein ganz zentrales Steuerungselement. 

Dann fängt die Wirtschaft auch an, sich drauf einzustellen, es gibt die Lösungen ja alles, die technischen Lösungen, den Verstand gibt’s auch, also das Wissen gibt’s auch, es muss halt nur der Anreiz bestehen, da etwas zu tun, also das ist sicher eine wichtige Stellschraube um im System Veränderungen zu schaffen. Genauso kann damit einhergehen, wo wird Geld investiert oder eben de-investiert, da sind denk ich auch die Kirchen gefragt wirklich nochmal zu prüfen, wie legen wir unser Geld eigentlich an, ist das richtig oder unterstützen wir damit die Falsche Industrie – also im System kann man sicher auch wichtige Stellschrauben bewegen, aber ich glaube, das Ganze ist schon auch eine Systemfrage, dieses immer währende Wachstum scheint mir da nicht mehr die richtige Ideologie, also zumindest die natürlichen Ressourcen sind begrenzt, das ist ganz klar. 

Was die Klimamanagerin den Kirchen in Sachen Klimaschutz ins Stammbuch schreibt, dazu mehr nach dem nächsten Titel.

Teil 2 

Und mit Charlotte Kleinwächter, Klimamanagerin des Bistums Trier. Ganz bei Null anfangen musste sie nicht. Ein Klimaschutzkonzept hatte das Bistum bereits verabschiedet.

Aber es kannte keiner, und ich hab dann erstmal ne Kurzfassung gedruckt, damit man es überhaupt lesen kann, aber vor allem gehe ich im Moment zu den unterschiedlichsten Berufsgruppen im Bistum und stelle denen das vor.  

Ziel des Bistums Trier ist es bis zum Jahr 2021 in den Bereichen Immobilien, Mobilität und Beschaffung 30 Prozent CO2 einzusparen, bis 2040 sogar 50 Prozent, bezogen auf das Jahr 2010. So steht es im Klimaschutzkonzept des Bistums. Und damit das Ziel erreicht werden kann, braucht es natürlich mehr als nur Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Beispiel: Für das Museum am Dom, ein großer Energieverbraucher, wird jetzt ein Energiekonzept erarbeitet. 

Um auch mal so ein paar Leuchttürme zu setzen, damit auch das Bistum mal zeigen kann, also hier sind wir jetzt auf dem Weg. 

Nicht warten und schauen, was andere tun, sondern selbst aktiv werden und zum Erhalt der Schöpfung beitragen, mit gutem Beispiel vorangehen – das, so findet sie, ist gerade für die Kirchen besonders wichtig.  

damit die Kirchen auch selbstbewusst Forderungen stellen können an die Politik, was sie ja tun, also die Deutsche Bischofskonferenz hat sich ja grade ganz intensiv mit dem Thema beschäftigt und hat auch Forderungen an die Politik gestellt, Papst Franziskus tut es andauernd, aber das kann man natürlich nur dann tun, wenn man seine eigenen Hausaufgaben macht, ich glaub das ist fast der wichtigste Faktor für Kirchen, ne hohe Glaubwürdigkeit     

Natürlich kann und muss auch jeder und jede Einzelne zum Erhalt des Planeten beitragen, den Stromverbrauch reduzieren, Bahn fahren statt fliegen, reparieren statt wegwerfen, weniger Fleisch essen, und und und – die Liste der Möglichkeiten ist lang, und auch wenn es nur Schritte auf dem Weg oder Kleinigkeiten sind: 

Die Summe macht‘s natürlich, und auch da ist es wieder so, wenn ich mich selber so verhalte, kann ich auch an die Kirche wieder Forderungen stellen und sagen, ihr müsst auch mal anfangen.

Bevor Charlotte Kleinwächter Bistums-Klimamanagerin wurde, war die heute 52 Jahre alte verheiratete Mutter zweier erwachsener Kinder lange Jahre Geschäftsführerin der Lokalen Agenda 21 in Trier. Solche Agenda-Initiativen gibt es seit dem ersten großen Erdgipfel in Rio 1992, um vor Ort lokale Initiativen für nachhaltiges Handeln zu starten, getreu dem Motto global denken, lokal handeln.  

Viel zu lange wurde der biblische Schöpfungsbewahrungsauftrag als Schöpfungsausbeutungsauftrag missverstanden, darüber sind wir uns einig am Ende unseres Gesprächs. Aber immerhin: Langsam kommen auch die Kirchen in die ökologischen Gänge. Charlotte Kleinwächter arbeitet auf jeden Fall daran, das Bistum Trier auf Kurs zu bringen. 

 

Eine Wiederholung vom 03. Dezember 2017 

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SWR1 Begegnungen

Teil 1 

Albert Koolen ist 58 Jahre alt, unverheiratet, wohnhaft in Krefeld, Arbeitsplatz Flughafen Düsseldorf. Hier arbeitet er in einem Subunternehmen für die großen Autovermieter am Flughafen, sein Job: die Autos der Kunden entgegennehmen, sie kontrollieren, waschen, auftanken, wieder verleihen. Das Ganze im Zwei-Schicht-Betrieb, von morgens sechs bis zwei oder mittags zwei bis zehn.
So weit, so normal. Das Besondere: Albert Koolen hat etwas ganz anderes gelernt. Er hat Theologie studiert und ist Priester. Als Arbeiterpriester gehört er zu der Handvoll derer, die ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Kirche, draußen in der Welt verdienen. Warum macht er das, will ich von ihm wissen, als wir uns an einem Morgen vor seiner Spätschicht in seiner Wohnung in Krefeld treffen. Priester sein hatte für ihn immer vor allem damit zu tun, glaubwürdig zu leben, sagt er. 

Das hieß immer eben für mich auch ein Leben zu führen, was möglichst schlicht ist, nach Möglichkeit mich für meinen Glauben, den ich nun irgendwie zu verkünden habe, nicht bezahlen zu lassen von der Kirche, sondern von dem zu leben, was eben meiner eigenen Hände Arbeit dazukommt, und ansonsten hab ich mich immer verstanden auch, bisschen großes Wort auch, in der Nachfolge unseres Glaubensgründers, der ja im Grunde genommen selber kein professioneller Amtsträger war, sondern eher so eine Art Wanderprediger mit sehr geringen finanziellen Mitteln offensichtlich. 

Dass er an seinem Arbeitsplatz durchaus ein Exot ist, räumt er ein, aber weniger wegen seines Priesterseins als vielmehr aufgrund seines Alters. Die meisten Kollegen sind jünger:

Der Hauptteil der Kollegen sind so 25 bis 30 Jahre jünger, diese Arbeit wird auch von Jüngeren eigentlich nicht auf Dauer gemacht, also es gibt nur ganz wenige, die länger als zwei drei Jahre da bleiben, die meisten machen das, weil sie eben aus schulischen beruflichen Gründen im Moment nix anderes finden, da findet man immer einen Job, die einzige Voraussetzung ist eigentlich einen Führerschein zu haben, mehr nich. Man muss noch nicht mal die Sprache können, dann kann man da anfangen.

Entsprechend ist die Bezahlung, Mindestlohn oder gar Tariflohn - Fehlanzeige.

Und es ist äußerst schwierig zum Beispiel ne Arbeitnehmervertretung in solchen Betrieben aufzubauen, ich hab das auch immer noch nicht aufgegeben, ich bin ja Theologe mit dem Glauben an die Vision, bin ja noch knapp acht neun Jahre da drin, und bis dahin hab ich mir geschworen, gibt es einen Betriebsrat (lacht)

Glaubwürdig Priester zu sein, das heißt für Albert Koolen vor allem eben auch für Gerechtigkeit einzutreten, an der Seite der Schwächeren zu stehen, nicht nur am Arbeitsplatz. Zu seinem gesellschaftlichen Engagement und zu seinem ganz persönlichen Glauben mehr nach dem nächsten Titel.

 Teil 2

Albert Koolen verdient seinenLebensunterhalt bei einem Subunternehmen  für Autovermieter am Düsseldorfer Flughafen. Priester im engeren Sinn ist er vor allem am Wochenende. 

Ich halte also relativ regelmäßig in der Psychiatrie einmal im Monat einen Gottesdienst, schon seit vielen vielen Jahren, das hat sich damals so ergeben, dass keiner mehr da war, der das übernehmen wollte, und ich halte fast regelmäßig in einer Ordensgemeinschaft von Schwestern, die mittlerweile alle sehr alt sind, die nicht mehr gehen können und denen es schwerfällt, in ne Gemeindekirche zu gehen, halte ich auch einen Gottesdienst. 

Für diejenigen da sein, die in der gesellschaftlichen Hierarchie unten stehen oder gelandet sind, das ist für ihn Nachfolge Jesu. Koolen begleitet in seinem Stadtviertel Flüchtlinge und ihre Familien durch den Behördendschungel und kämpft gegen Rechtsextremismus und –populismus in seiner Stadt.

Die derzeitige Abschottungspolitik, den neuen Nationalismus und die Spaltung der Gesellschaft hat er kommen sehen. Es ist für ihn nur die Kehrseite, quasi die logische Folge dessen, was er entgrenzte Globalisierung nennt.  

Freier Warenaustausch, frei Märkte, für den normalen Kollegen oder für mich bedeutet das, ich bin sozusagen in Konkurrenz in gewisser Weise mit einem Kollegen, einer Kollegin in Bangladesch, dass da natürlich auch Menschen sich auf den Weg machen, da zu kucken, wo ihr Leben besser funktioniert als in ihren Heimatländern, ist völlig klar.

Völlig klar ist für ihn auch, dass Flüchtlinge nicht nur als Bedrohung angesehen werden dürfen. Auch mit Flüchtlingen  menschenwürdig umzugehen, ist Christenpflicht, mahnt er.

Das heißt eben auch ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen so zu unterstützen, dass sie eben auch hier existieren können und nicht nur vegetieren können.

Bei allem Einsatz für andre, für eine bessere, gerechtere Welt, hat er nicht manchmal auch das Gefühl, dass das alles nicht reicht, will ich am Ende wissen, und: Wie betet einer wie Albert Koolen?

Also ich bin tief davon überzeugt, dass es nicht von mir abhängt, dass nichts von mir abhängt eigentlich, aber es ist auch durchaus so, dass ich auch in guten Momenten das Gefühl habe, ich unterhalt mich mit Gott, ich kann auch gut sagen, danke dafür dass es im Moment heute alles so klappt wie es ist, finde ich schön, vielen Dank dafür. Aber ich finde ne angemessene Form für unsere Zeit ist eben die des eher Skeptischen, und ich tue mich immer sehr schwer mit Leuten, die von sich mit ner absoluten Sicherheit sprechen, das kommt mir manchmal so vor als ob diese kapitalistische Sicherheit des immer weiteren Profits und so einfach übertragen wird auf Spiritualität, man kann sich die Sicherheit kaufen indem man eben ne intensive Schulung macht oder so was. Aber die Sicherheit des Lebens kann sich niemand kaufen.

Als Christ und Theologe ziehe ich meinen Hut vor Menschen, die so leben wie Albert Koolen. Ich könnte es nicht, das wurde mir schon klar, als ich als Student in den Semesterferien am Fließband gejobbt habe. Man muss es auch nicht, sagt Albert Koolen. Jeder muss und darf seinen eigenen Weg der Nachfolge Jesu finden.

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SWR1 Begegnungen

Professor Dr. Ulrich Duchrow ist evangelischer Theologe und lehrt seit Mitte der achtziger Jahre als außerplanmäßiger Professor für systematische Theologie an der Universität Heidelberg. Er ist  Mitbegründer von Kairos Europa, einem ökumenischen Netzwerk, das sich im Rahmen der kirchlichen Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung für gerechtere Wirtschaftsbeziehungen mit den Ländern des Südens einsetzt.
Mehr als sein halbes Leben lang beschäftigt sich der heute 82-Jährige mit dem Verhältnis von Kirche, Theologie und Ökonomie. In Deutschland  zählt er zu den renommiertesten Kritikern des globalen Kapitalismus. Eine entscheidende Erfahrung für ihn waren sogenannte Reiseseminare, die er zusammen mit Studierenden in die Länder des Südens unternahm, um nach den Ursachen von Armut, Hunger und Gewalt zu fragen.    

1973 war dann eines in Chile, Argentinien und Brasilien, Kissinger hatte mit Pinochet zusammen die Militärdiktatur in Chile eingerichtet, um zum ersten Mal Neoliberalismus 1 zu 1 umzusetzen.

Seit dieser Zeit hat ihn das Thema Geld, Markt und Wirtschaft nicht mehr losgelassen. Einen wichtigen Beitrag hat dabei für Duchrow  Karl Marx geleistet mit seiner Einsicht in den Mehrwert, den die Arbeit der Angestellten den Fabrikbesitzern einbringt.

Und diesen Profit immer weiter zu mehren ist Hauptziel Ziel der Produktion und keineswegs das Wohl der arbeitenden Menschen.

Es wird immer nur so viel investiert in die Menschen, die grade arbeiten, wie nötig ist, um dieses Mehr-Kapital zu schaffen.

Dieses kapitalistische Treiben ging so lange gut in Anführungszeichen, solange nicht nur die Menschen sich ausbeuten ließen, sondern auch die Erde, deren Ressourcen man sich quasi zum Nulltarif besorgte. Diese Zeit geht jetzt zu Ende, in einem endlichen System weiter unendlich Ressourcen zu verbrauchen, geht nicht, da ist sich Duchrow mit vielen anderen einig.

Jetzt macht inzwischen die Erde nicht mehr mit. Das wissen wir seit dem Club of Rome 1973, es müssten Grenzen des Wachstums sein, das geht aber nicht im kapitalistischen System, weil Kapital wachsen muss, muss die Wirtschaft wachsen, und daraus entsteht der Wachstumszwang.

Für Prof. Duchrow ist damit sozusagen wissenschaftlich klar, dass die Erde auf Dauer d i e s e  Art zu wirtschaften nicht erträgt.

Wir müssen ausgehen von der absolut klaren langfristigen Vorstellung, Kapitalismus wird enden oder die Erde endet.

Teil 2

Für Prof. Ulrich Duchrow ist klar, unsere Art zu wirtschaften zerstört die Erde und damit unsere Lebensgrundlagen. Die Alternative lautet dabei nicht etwa Kapitalismus oder Sozialismus, das seien nur feindliche Brüder in der gleichen Familie, wie er es formuliert. Das Verständnis von Eigentum sei das gleiche, egal ob es Privateigentum oder Staatseigentum ist.

Also Eigentum bedeutet, ich kann diese Sache gebrauchen, missbrauchen, verbrauchen, zerstören und alles, ich habe totale Verfügung.

Es gelte,neue Formen des Wirtschaftens zu finden Denn eigentlich hält die Erde genug von allem bereit, man muss es nur richtig organisieren und verteilen.

Das hat übrigens gute biblische Gründe, Levitikus 25,23, Psalm 24, die Erde ist Gottes, gehört Gott, und das was an Natur da ist, ist zur Nutzung da, und zwar nun obendrein im Falle von der Bibel, die Mannageschichte, ja. Die, die viel gesammelt hatten, hatten nicht zu viel, sondern genug, und die die wenig gesammelt hatten, hatten nicht zu wenig, sondern auch genug, Exodus 16.

Dem System Energie entziehen und dem Leben Nahrung geben, auf diese Formel bringt es der Theologe, und das heißt für ihn konkret lokal, regional, ökologisch arbeiten und produzieren und eine Wirtschaft  fördern, die allen nutzt und nicht nur wenigen.

Beispiel Wasser, ja, Wasser, war ja große Propaganda, Wasser zu privatisieren und alle Kommunen haben schreckliche Erfahrungen damit gemacht, und jetzt kaufen sie es zurück mit großen Verlusten, weil es ein Wahnsinn ist, Wasser zu privatisieren, Wasser, das überall da ist und was gemeinsam organisiert werden kann.

Und die Kirchen? Wo stehen sie in diesem Prozess oder wo sollten sie stehen,  frage ich  Duchrow. Auf protestantischer Seite gibt es  schon länger klare Worte, sagt er und überrascht mich. Da ist zum Beispiel das Accra-Bekenntnis des Reformierten Weltbundes von 2004.

Darin wird das imperiale kapitalistische System verworfen als Glaubensfrage,  das heißt, das kapitalistische imperiale Weltwirtschaftssystem ist auf der gleichen Kategorie behandelt worden wie Nationalsozialismus und Apartheid in Südafrika,  das gilt im reformierten Weltbund bis heute.

Es hat ein wenig gedauert, bis auch die katholische Kirche nachgezogen hat. Aber dann kam 2013 Papst Franziskus mit seiner Enzyklika „Laudato si“ und der unmissverständlichen Feststellung: Diese Wirtschaft tötet.

Diese Zusammenhänge werden an der kirchlichen Basis noch viel zu wenig gesehen und bearbeitet, darin bin ich mit Professor Duchrow einig, und Kirchenleitungen befördern diesen Prozess noch  zu wenig. Denn eigentlich hält diese Erde genug für alle bereit – wenn wir sie nicht vorher zerstören.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26552
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SWR1 Begegnungen

Jan Einig ist seit rund vier Monaten Oberbürgermeister von Neuwied. Mit Einig übernahm zum ersten Mal ein CDU-Kandidat
in der traditionell von der SPD regierten Stadt am Rhein den Chefsessel im Rathaus. Bemerkenswert ist aber auch der Werdegang von Jan Einig. Der 42-Jährige kommt aus der kirchlichen Jugendarbeit. Engagiert war er vor allem beim Kolpingwerk, zuerst in der Kolpingfamilie seines Heimatortes Mendig, später im Erwachsenenverband.    

Da komm ich her, da bin ich groß geworden und es hat mich natürlich in vielerlei Hinsicht geprägt hat mir aber auch sehr viel Hilfestellung gegeben, was einfach damit anfängt, dass man früh auch Verantwortung übernehmen muss, das ist was, was ich gerne tue, dass ich die Verantwortung auch übernehme, manchmal braucht es eben den einen, der sagt, so, jetzt, ich mach das, und das ist sowas, was ich tatsächlich auch da gelernt habe 

Demokratisches  Verhalten einüben, in Strukturen denken lernen, schon in jungen Jahren Verantwortung übernehmen, das sind für ihn Früchte der Verbandsarbeit, die auch einer politischen Karriere dienlich sind. Das Kolpingwerk geht zurück auf den Priester und Sozialreformer Adolph Kolping, der sich in der beginnenden Industrialisierung des 19. Jahrhunderts in den von ihm begründeten katholischen Gesellenvereinen um Bildung, soziale Unterstützung und religiöse Orientierung junger Handwerker und Arbeiter bemühte. Daraus ist das Kolpingwerk geworden, heute ein international tätiger großer katholischer Sozialverband. 

Kolping hat für mich den Vorteil, Kolping ist grundsätzlich sehr breit gefächert, also ist ja auch in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten unterwegs, und versucht auch die gesellschaftlich-politischen Dinge in unterschiedlicher Weise zu beleuchten und auch zu besetzen, also man kann wirklich sagen, dass jeder eigentlich bei Kolping sein könnte. 

Ein Grundgedanke von Kolping ist die Bedeutung der Familie als Grundstruktur der Gesellschaft. Das ist auch dem Neuwieder OB in Fleisch und Blut übergangen. Familienleben ist für ihn sehr wichtig: 

Wir versuchen so gut es geht die Wochenenden miteinander zu verbringen, ich hab zwar am Wochenende immer wieder Termine, aber es ist dann schon auch so getaktet, dass wenn ich Zeit habe meine Familie dann auch größtenteils da ist, ich versuch auch gelegentlich mittags zu Hause zu sein, um einfach auch die Kinder nochmal zu sehen, abends ist es ein bisschen schwieriger, ich hab drei kleine Kinder von zwei bis sieben Jahre, die sieht man eher tagsüber als abends, die sind dann abends oft im Bett, und ich versuch sie morgens auch in die Schule oder den Kindergarten zu bringen 

Und, auch eher ungewöhnlich, aber so etwas wie der letzte Rest seines kirchlichen Ehrenamtes: 

Ich fahr einmal im Jahr in Ferienfreizeit immer noch als Betreuer mit, mit meiner ganzen Familie aber, und das gibt mir auch so ein Stück weit ja Heimat, und das ist was, was ich mir auch nur ungern nehmen lassen will, die Zeit muss einfach sein. 

Welche politisch-gesellschaftlichen Herausforderungen Jan Einig in seiner neuen Rolle als Oberbürgermeister sieht und wie er sich als Christ da einbringt, dazu mehr nach dem nächsten Titel. 

Teil 2 

Der Neuwieder Oberbürgermeister,Jan Einig, ist gelernter Energieelektroniker und studierte Bauingenieur. Er hat eine steile politische Karriere hingelegt. Er hat in der freien Wirtschaft gearbeitet, wurde später Leiter der Tiefbauabteilung in der Neuwieder Stadtverwaltung und schließlich Bürgermeister. Nach dem überraschenden Tod seines Vorgängers Nikolaus Roth wurde Einig im Herbst letzten Jahres dann zum Oberbürgermeister gewählt.

Gewerbeansiedlung und Tourismus fördern, eine attraktive Schul- und Kindergartenlandschaft gestalten, den Leerstand in der Innenstadt bekämpfen, das nennt er als Stichworte für die nächste Zeit – da unterscheidet er sich kaum von Bürgermeistern anderer Kommunen. Was ihn von anderen unterscheidet, sind Werdegang und Perspektive. Er kommt aus dem katholischen und bekennt sich offen zu seinem Glauben. Ist das in einer Zeit, in der der Kirche der gesellschaftliche Wind ins Gesicht bläst, nicht eher hinderlich, will ich von ihm wissen.       

In der Tat die Kirche hat natürlich in der Gesellschaft zwischenzeitlich ihre Diskussion, nichtsdestotrotz, also mir persönlich hilfts, weil ich natürlich ein Stück weit auch dadurch ne gewisse Bodenständigkeit habe und ich mich an gewissen Dingen einfach festhalten kann. Unabhängig davon glaube ich ein offener Mensch zu sein, von daher gehe ich da auch relativ vorbehaltlos an die Gesellschaft und erhoffe mir dadurch natürlich auch mit anderen Konfessionen ins Gespräch zu kommen und unterstütze das auch.  

Gerade Neuwied ist bekannt für seine religiöse und weltanschauliche Vielfalt. 1653 gegründet, machte der Fürst zu Wied seine Stadt im ausgehenden 17. Jahrhundert zu einem Zufluchtsort für Religionsflüchtlinge aus ganz Deutschland. Diese religiöse Vielfalt prägt die rund 65 000 Einwohner zählende Stadt bis heute – auch in Zeiten von Hass und Hetze im Netz, Populismus und Nationalismus. Neuwied ist weiter tolerant, sagt der OB 

Also ich erleb das immer noch sehr offen, ich komme ja jetzt grade speziell am Anfang sehr viel in die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche rein, egal ob es in den Vereinen oder auch in den unterschiedlichen Kirchen ist, und da stellt sich mir zumindest Neuwied als nach wie vor sehr tolerant dar, und das würde ich auch gern weiter so fördern. Sicherlich hab auch ich meinen konfessionellen Glauben, nichtsdestotrotz bin ich da sehr offen, um auch hier gemeinsam mit den Kirchen die Gesellschaft weiter so auch zu tragen, denn ich glaube das macht Neuwied ein Stück weit auch aus. 

Und was macht der OB jetzt an Ostern? Der Familienmensch Jan Einig feiert das Fest ganz klassisch mit der Familie, sagt er, mit Kirchgang und Ostereier suchen mit den Kindern und allem was dazugehört. Und was bedeutet für ihn Auferstehung? 

Hoffnung. Hoffnung vor allem, ich bin da glaube ich schon ein sehr hoffnungsfroh und positiv gestimmter Mensch, ja, vor allem Hoffnung, dass es weiter geht.   

Eine Hoffnung, aus der Jan Einig lebt und aus der heraus er versucht, Politik zu gestalten.

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Ich habe Jürgen Kaiser auf dem historischen Kölner Schuldengipfel 1999 kennengelernt, und seitdem verfolge ich seine Arbeit mit Respekt und voller Hochachtung.
Jürgen Kaiser ist politischer Koordinator des Vereins „erlassjahr.de“, ein Bündnis von rund 600 Organisationen aus Kirche, Politik und Gesellschaft, das sich dafür einsetzt, den Lebensbedingungen von Menschen in verschuldeten Ländern mehr Beachtung zu schenken als der Rückzahlung von Staatsschulden.

Rückblick: In den Jahren vor der Jahrtausendwende engagierten sich Menschen weltweit unter dem Motto „Erlassjahr 2000“ für einen Schuldenerlass für arme hoch verschuldete Länder. Das Motto geht zurück auf das Vorbild des Alten Testaments: Alle 50 Jahre sollten in Israel arme und in Schuldsklaverei geratene Menschen ihr Land und ihre Freiheit zurückerhalten. So wollte es die jüdische Bibel. Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne zum Kölner G8-Gipfel, als den Staatschefs über 20 Millionen Unterschriften für einen Schuldenerlass übergeben wurden. 

Sehr lange gingen die Gläubiger davon aus, eben bis zum Kölner Gipfel, dass sie letztlich, wenn sie nur genug Druck ausüben, ihr Geld tatsächlich immer wieder bekommen werden, das hat schon vor 1999 nicht gestimmt, -weil es eine lange Geschichte von Nicht-Zahlung von Staats-Schulden schon vorher gegeben hat, -aber an diesem Irrglauben halten Gläubiger gerne fest.Und in Köln war es so, dass unter dem Druck der globalen Erlassjahrkampagne dann die G8 einen sehr weitreichenden Beschluss gefasst haben, diese Entschuldung für die ärmsten Länder der Welt, das waren damals 39, davon sind 36 inzwischen tatsächlich entschuldet worden, so auszuweiten, dass man wirklich langsam wieder davon sprechen konnte, von Schuldentragfähigkeit zu sprechen.   

Dass Länder sich verschulden kann viele Ursachen haben. Das können korrupte Eliten oder Naturkatastrophen sein, aber es kann auch eine Folge des weltwirtschaftlichen Systems sein, wenn Staaten für die Rohstoffe, die sie exportieren, nicht mehr die Einnahmen erzielen, mit denen sie kalkuliert hatten, um Kredite zu bedienen. 

Und wenn wir da an die Krise denken, die ja in Köln 99 zum Teil bewältigt worden ist, dann liegen deren Ursachen darin, dass es vor 1982, als Mexiko als erstes großes Land pleite gegangen ist in den Industrieländern sehr niedrige Zinsen gegeben hat, und im globalen Süden viele autoritäre Regierungen, und das führte dazu, dass Kapital, das im Westen reichlich vorhanden war, Anlagemöglichkeiten gesucht hat und natürlich von Diktatoren, die ihre Waffen finanzieren mussten, die ihren Bevölkerungen irgendwas bieten mussten, um die bei Laune zu halten, natürlich mit offenen Armen aufgenommen worden sind.

Die Erlassjahrkampagne 2000 war ein erster großer Schritt hin zu mehr globaler Gerechtigkeit, seitdem sind die Erfolge weniger geworden.   

Teil 2:

Jürgen Kaiser ist von Haus aus Geograf und Regionalplaner, war lange in der entwicklungspolitischen Bildung für die Evangelische Kirche im Rheinland aktiv, bevor ihn das Thema Schuldenerlass für arme Länder packte und nicht mehr losließ. Der heute 63-Jährige war in Deutschland einer der Motoren der weltweiten Erlassjahrkampagne 2000. Aus der ist das Bündnis erlassjahr.de hervorgegangen, dessen politischer Koordinator er bis heute ist. Köln war ein Erfolg, eine ganze Reihe hoch verschuldeter armer Staaten wurde immerhin so weit entlastet, dass sie wieder auf die Beine kamen. Seitdem hat es immer wieder spektakuläre Konflikte um die Überschuldung von Staaten gegeben, jüngster Fall: Griechenland. Für Jürgen Kaiser ganz klar ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte.

Was in Griechenland passiert ist, ist, dass - natürlich mit ner ganz entscheidenden Rolle der deutschen Bundeskanzlerin und des Finanzministers - zu dem Zeitpunkt zwischen 2008 und 2010 vollkommen klar war, Griechenland hat mit damals 130 inzwischen 180 Prozent des Bruttoinlandprodukts ein Schuldenniveau was überhaupt nie und nimmer abgebaut werden kann.

Von daher ist Griechenland eigentlich der klassische Fall der Insolvenzverschleppung.  

Damit es nicht immer wieder zu Fällen wir Griechenland kommt, fordert erlassjahr.de im Falle von Überschuldung ein klügeres, faires und transparentes Schiedsverfahren ähnlich wie es das hierzulande im Insolvenzrecht gibt. Dass es keine neutrale Instanz gibt, sondern dass die Gläubiger einseitig bestimmen können, was geschieht, ist ein Webfehler im System, meint Jürgen Kaiser, der sich im Laufe der Jahre nicht nur zu einem absoluten Fachmann, sondern auch scharfen Kritiker unseres Finanz- und Wirtschaftssystems entwickelt hat. Den Mächtigen dieser Welt mit der Forderung nach einer Reform des Systems auf die Nerven zu gehen, ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, denke ich mir. Doch Jürgen Kaiser treibt etwas anderes an. Da ist zum einen der Kontakt mit Menschen aus den armen Ländern, die ihn immer wieder spüren lassen, für wen konkret er sich einsetzt. Und es ist die christliche Botschaft, die ihn motiviert

Man kann das, was unser Thema angeht auf den Punkt bringen: Das uneingeschränkte, fast heilige Recht von Gläubigern tatsächlich investiertes Kapital nicht nur zurückzubekommen, sondern es auch sich amortisieren zu lassen, das ist ein Gedanke, der dem Alten und auch dem Neuen Testament ziemlich fremd ist und das schlägt sich nieder in der Erlassjahr-Gesetzgebung des Alten Testamentes, aber auch in manchem was Jesus gesagt hat. Wenn man sich unser Insolvenzrecht ankuckt, das nimmt ganz viel  von den Grundgedanken auf, die in diesem alttestamentlichen Konzept drinstecken. Und zu zeigen, das ist etwas, was ne Relevanz haben kann dafür wie reiche und arme Länder eigentlich zivilisiert miteinander leben können, da sind wir mittendrin. 

Wie gründlich man die christliche Botschaft doch missverstehen kann, wenn man sich über angeblich zu politische Predigten aufregt, denke ich am Ende der Begegnung mit Jürgen Kaiser. Christsein ist immer auch Einsatz für eine bessere Welt und damit politisch.

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SWR1 Begegnungen

Teil 1 

Charlotte Kleinwächter ist hauptamtliche Klimamanagerin des Bistums Trier und bemüht sich als solche nicht nur um eine
stärkere ökologische Ausrichtung des kirchlichen Handelns,
sondern wirft natürlich auch einen grundsätzlichen Blick auf Klimaschutz und Klimawandel. Und da muss noch viel mehr geschehen, und zwar auf allen klimarelevanten Feldern, sagt sie. 

Angehen müssen wir alle Felder, das ist ganz klar, ich glaube für Deutschland ist es ganz leicht,  oder es ist nicht leicht, aber ganz wichtig, den Kohleausstieg zu organisieren, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen, zumal Deutschland ja auch schon zu den Energie exportierenden Staaten gehört, also wir brauchen den Strom aus Kohlekraft einfach nicht mehr. Mobilität, auch so ein Schwachpunkt in Deutschland, die Fixierung auf das Auto aufzugeben, über Tempolimit nachzudenken, Förderung von Radmobilität, der öffentlichen Verkehrsmittel, das Fliegen, das so unfassbar billig ist, in die Ferne, also, es gibt ganz ganz viele Felder und überall ist es dringend. 

Deutschland wird seine selbst gesteckten Klimaziele – also Reduzierung des CO2-Ausstoßes zunächst bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 – krachend verfehlen, wenn nicht viel schneller viel stärker umgesteuert wird, das ist mittlerweile klar. Aber woran liegt es, dass Deutschland auf der Stelle tritt? Wir sind uns einig: Es liegt an der Politik u n d an jedem Einzelnen. 

Wir müssen uns einschränken, damit andere die gleichen Lebenschancen haben wie wir und auch die nachfolgenden Generationen das haben, --- das heißt, jeder Einzelne ist gefragt im Umdenken handeln, und das fällt schwer und es fällt natürlich den Politikern auch schwer, die ganz dringend gefragt sind Regeln zu setzen und Grenzen aufzuzeigen, aber das tut man ungerne, weil da der Wähler die Wählerin das vielleicht nicht honoriert. 

Ist der drohende ökologische Kollaps nicht auch eine Folge unseres Wirtschaftssystems, das auf immer weiteres Wachstum und damit Ausbeutung der Ressourcen angelegt ist, frage ich die Klimamanagerin. Man kann schon auch über den Preis einiges regeln, meint sie und zitiert Professor Otmar Edenhofer von Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Der sieht einem höheren CO2-Preis für Unternehmen ein ganz zentrales Steuerungselement. 

Dann fängt die Wirtschaft auch an, sich drauf einzustellen, es gibt die Lösungen ja alles, die technischen Lösungen, den Verstand gibt’s auch, also das Wissen gibt’s auch, es muss halt nur der Anreiz bestehen, da etwas zu tun, also das ist sicher eine wichtige Stellschraube um im System Veränderungen zu schaffen. Genauso kann damit einhergehen, wo wird Geld investiert oder eben de-investiert, da sind denk ich auch die Kirchen gefragt wirklich nochmal zu prüfen, wie legen wir unser Geld eigentlich an, ist das richtig oder unterstützen wir damit die Falsche Industrie – also im System kann man sicher auch wichtige Stellschrauben bewegen, aber ich glaube, das Ganze ist schon auch eine Systemfrage, dieses immer währende Wachstum scheint mir da nicht mehr die richtige Ideologie, also zumindest die natürlichen Ressourcen sind begrenzt, das ist ganz klar. 

Was die Klimamanagerin den Kirchen in Sachen Klimaschutz ins Stammbuch schreibt, dazu mehr nach dem nächsten Titel.

Teil 2 

Ein gutes Jahr ist die 52 Jahre alte Diplom-Geographin jetzt hauptamtlich für den Klimaschutz im Bistum unterwegs, ganz bei Null anfangen musste sie nicht. Ein Klimaschutzkonzept hatte das Bistum bereits verabschiedet. 

Aber es kannte keiner, und ich hab dann erstmal ne Kurzfassung gedruckt, damit man es überhaupt lesen kann, aber vor allem gehe ich im Moment zu den unterschiedlichsten Berufsgruppen im Bistum und stelle denen das vor.  

Ziel des Bistums Trier ist es bis zum Jahr 2021 in den Bereichen Immobilien, Mobilität und Beschaffung 30 Prozent CO2 einzusparen, bis 2040 sogar 50 Prozent, bezogen auf das Jahr 2010. So steht es im Klimaschutzkonzept des Bistums. Und damit das Ziel erreicht werden kann, braucht es natürlich mehr als nur Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Beispiel: Für das Museum am Dom, ein großer Energieverbraucher, wird jetzt ein Energiekonzept erarbeitet. 

Um auch mal so ein paar Leuchttürme zu setzen, damit auch das Bistum mal zeigen kann, also hier sind wir jetzt auf dem Weg. 

Nicht warten und schauen, was andere tun, sondern selbst aktiv werden und zum Erhalt der Schöpfung beitragen, mit gutem Beispiel vorangehen – das, so findet sie, ist gerade für die Kirchen besonders wichtig.  

damit die Kirchen auch selbstbewusst Forderungen stellen können an die Politik, was sie ja tun, also die Deutsche Bischofskonferenz hat sich ja grade ganz intensiv mit dem Thema beschäftigt und hat auch Forderungen an die Politik gestellt, Papst Franziskus tut es andauernd, aber das kann man natürlich nur dann tun, wenn man seine eigenen Hausaufgaben macht, ich glaub das ist fast der wichtigste Faktor für Kirchen, ne hohe Glaubwürdigkeit     

Natürlich kann und muss auch jeder und jede Einzelne zum Erhalt des Planeten beitragen, den Stromverbrauch reduzieren, Bahn fahren statt fliegen, reparieren statt wegwerfen, weniger Fleisch essen, und und und – die Liste der Möglichkeiten ist lang, und auch wenn es nur Schritte auf dem Weg oder Kleinigkeiten sind: 

Die Summe macht‘s natürlich, und auch da ist es wieder so, wenn ich mich selber so verhalte, kann ich auch an die Kirche wieder Forderungen stellen und sagen, ihr müsst auch mal anfangen.

Bevor Charlotte Kleinwächter Bistums-Klimamanagerin wurde, war die heute 52 Jahre alte verheiratete Mutter zweier erwachsener Kinder lange Jahre Geschäftsführerin der Lokalen Agenda 21 in Trier. Solche Agenda-Initiativen gibt es seit dem ersten großen Erdgipfel in Rio 1992, um vor Ort lokale Initiativen für nachhaltiges Handeln zu starten, getreu dem Motto global denken, lokal handeln.  

Viel zu lange wurde der biblische Schöpfungsbewahrungsauftrag als Schöpfungsausbeutungsauftrag missverstanden, darüber sind wir uns einig am Ende unseres Gesprächs. Aber immerhin: Langsam kommen auch die Kirchen in die ökologischen Gänge. Charlotte Kleinwächter arbeitet auf jeden Fall daran, das Bistum Trier auf Kurs zu bringen. 

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SWR1 Begegnungen

Dr. Manfred Grüter, der frisch gebackene neue Präsident des Landgerichts in Trier hat bis vor einem guten Jahr ein eher seltenes Ehrenamt in der katholischen Kirche ausgeübt. Er war Synodaler. Will heißen: Er hat als Ehrenamtler an der Trierer Diözesansynode teilgenommen und mitgearbeitet.

Eine solche Synode, also eine Versammlung von ausgewählten Gläubigen eines Bistums,  ist ein eher seltenes Ereignis in der katholischen Kirche. Der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann hatte sie 2012 ausgerufen, um gemeinsam mit den Christinnen und Christen seines Bistums darüber nachzudenken, wie der Glaube unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts im Bistum Trier gelebt werden kann und soll. Manfred Grüter ist zufrieden mit dem Papier.

Ein wesentlicher Gedanke ist, dass Kirche als ein Miteinander, als eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe von Gläubigen und Kirchenleitung, von ehrenamtlich Engagierten und hauptamtlich Tätigen gesehen wird.

Also die Abkehr vom hierarchischen Denken hin zu einem synodalen Miteinander.

Zum zweiten ist ganz entscheidend, dass man davon Abschied nimmt, dass der Pastor in der jeweiligen Pfarrei alles alle Fäden in der Hand halten kann, sondern dass man eben anerkennt, es gibt die verschiedensten Charismen, die verschiedensten Begabungen und es gibt auch verschiedene Schwerpunkte in den Pfarreien, und dass da wo Menschen diese Schwerpunkte leben, sie sich da auch einbringen sollen und da auch dann Leben entsteht, also weg von der Uniformität hin zur Orientierung auf das, was Menschen einbringen wollen und können.

Es sind in der Tat deutliche und richtige Perspektivwechsel, die die Synode vornimmt: Künftig soll - im Rahmen der kirchenrechtlichen Vorgaben - nicht mehr von der Struktur her, sondern vom einzelnen Menschen her gedacht werden, es soll zuerst auf die Charismen, also Talente und Begabungen, geschaut werden und nicht mehr auf die Aufgaben, also was zu tun ist, das Ganze soll synodal ablaufen, also, was alle angeht, darüber sollen auch alle mitreden, und last but not least, statt der zahlreichen herkömmlichen Pfarreien soll es größere Einheiten, dafür aber mehr Kooperation und Schwerpunksetzung geben. Vor allem Letzteres sorgt derzeit für Diskussionen im Bistum, denn die Zahl der Pfarreien soll sich etwa 35 plus minus einpendeln. Manfred Grüter findet die Debatte um Zahlen und Struktur schade:

Also ich glaube, dass diese Großpfarreien nur ein erster Schritt sind, aber das was inhaltlich geändert werden soll im liturgischen Bereich, im Bereich von Haltungen, Einstellungen, ---diese Dinge werden einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen  und die Menschen müssen auch in diese neue Haltung selbst hineinwachsen.

Teil 2

Dr. Manfred Grüter, der 57 Jahre alte Jurist war einer von 280 Engagierten, die im Rahmen der Trierer Diözesansynode nach zukunftsfähigen Wegen für die Trierer Kirche im 21. Jahrhundert gesucht haben. Doch der Trierer Landgerichtspräsident ist auch an der kirchlichen Basis aktiv und hat  sich zeitweise im Pfarrgemeinderat engagiert. Dann merkte er, dass das nicht das Richtige für ihn war, zu viel Sitzungskatholizismus:

Ich  hab dann angefangen im Kirchenchor zu singen und hab angefangen als Lektor zu arbeiten und als Kommunionspender und das ist für mich Teil der Verkündigung und das fand ich viel erfüllender ---ich gebe etwas, aber ich bekomme auch etwas in diesem Dienst.

Wer wie ich auch im Pfarrgemeinderat und als Lektor und Kommunionhelfer unterwegs war, der will an der Stelle natürlich wissen: Was ist denn das Erfüllende am Dienst als Lektor und Kommunionhelfer? Was bekommt man zurück?

Ich bekomme zurück, dass ein Text jemanden berührt hat, der ihn vielleicht bisher nicht berührt hat, durch die andre Art ihn zu lesen, ---ich bekomme etwas zurück wenn ich diesen Text lese, dann versuche ich ihm eine Gestalt zu geben, ich muss mich mit ihm auseinandersetzen, und das ist eine sehr erfüllende Erfahrung, weil man oft einen neuen Zugang zu dem Text findet.

Das kann ich noch nachvollziehen, diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Überrascht bin ich aber darüber, was mir Manfred Grüter über das Austeilen der Kommunion erzählt:

Sie geben ja etwas sehr Kostbares, und an den Gesichtern der Menschen können Sie ganz faszinierend ablesen, wie wichtig ihnen das ist, und das Spannendste für mich ist, - die Hände, mit denen die Menschen die Kommunion entgegennehmen, jede Hand ist anders, da sind ganz abgearbeitete Hände, da sind ganz zarte Kinderhände, das sind so viele Hände, ja und jede Hand erzählt etwas vom Leben der Menschen,.. also für mich eine der erfüllendsten Tätigkeiten, die man überhaupt machen kann

Seine Antwort auf meine Frage, was für ihn wichtig ist im Glauben, wird zu einem für mich beeindruckenden Glaubensbekenntnis

Für mich steht im Mittelpunkt, ich bin von Gott geliebt, so wie ich bin und damit werde ich getragen und gehalten in jeder Lebenssituation und das bedeutet für mich vor allem: Ich muss nicht vollkommen sein, ich darf jederzeit neu anfangen, ganz  zentral ist für mich immer der Gedanke, allein Gott kann auf krummen Wegen grade gehen, und unsere Lebenswege sind immer krumm, wenn wir ehrlich sind, und er ist der einzige, der sie alle mitgehen kann, und das gibt mir die Fähigkeit und die Freiheit, furchtlos zu sein, und diese Freiheit von Angst ist für  ich zentrales Geschenk des Glaubens.

Die Begegnung mit Manfred Grüter hat mir wieder bestätigt: Christ sein ist mehr als Tradition, Dogmen und ewige Wahrheiten, Christ sein ist vor allem auch eine existentielle Haltung, eine Art zu leben und sich einzubringen – für den Anderen, den Nächsten, den Fernen, damit die Welt heil wird.

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SWR1 Begegnungen

Teil 1

Dr. Bernd Bornhorst ist Leiter der Abteilung Politik und globale Zukunftsfragen bei Misereor in Aachen. Misereor, das ist ein katholisches Hilfswerk, 1958 gegründet  zur Bekämpfung von Armut, Krankheit und Not in den Ländern des Südens. Und warum braucht ein Hilfswerk, das mit zahlreichen Projekten vor Ort die Ärmsten der Armen unterstützt, eine politische Abteilung? Das ist meine Einstiegsfrage bei unserer Begegnung in Aachen, und Bernd Bornhorst verweist auf den Gründungsvater von Misereor, den Kölner Kardinal Joseph Frings. Der habe von Anfang an betont, es gelte nicht nur zu helfen, sondern auch den Mächtigen ins Gewissen zu reden, wie es damals hieß. 

und im Kern geht’s darum, dass es natürlich wichtig und zentral ist mit Hilfe der Spender konkrete Missstände so schnell wie möglich zu beheben, aber hinter vielen Missständen stehen ja eben gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche  Ursachen, die teilweise auch bis hin zu uns zurückführen,…. und insofern ist es, wenn man gegen die Armut kämpfen will, die eine Seite der Medaille konkret mit den Partnern vor Ort zusammenzuarbeiten und die andere Seite der Medaille ist, ich würds mal so formulieren sich hier in gesamtgesellschaftliche Entscheidungsprozesse einzumischen.

Aber was kann da die politische Lobbyarbeit eines Hilfswerks bewirken? Einiges, sagt der 55-Jährige, der nach dem Jura, Politik. Soziologie und Publizistikstudium über die Möglichkeiten und Grenzen kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit promovierte: 

Wenn Sie mal ein paar Jahre zurückdenken, als wir über Klimawandel angefangen haben zu reden, da wurde das als ein rein technisches und auch als ein sehr nordisches, sag ich mal, Problem gesehen, und eine der Lösungen, die wir hatten war eben in unser Auto nachwachsende Energie zu stecken, und es wurde überhaupt nicht gesehen, dass das irgendwelche Auswirkungen, negative Auswirkungen auf Menschen hat, dass eben da zum Beispiel in großen Fällen Landvertreibungen stattgefunden haben, und da haben gerade die Hilfswerke durch Informationen, durch Tatsachenbeschreibungen sehr stark dazu beigetragen, dass die Diskussion sich geändert hat, dass eben, ich sag es mal etwas provozierend, dass nicht mehr das Problem ist, welches Benzin wir im Tank des Porsche Cayenne haben, sondern dass der Porsche Cayenne das Problem ist. Trotzdem geschieht immer noch viel Schlechtes, aber ich glaub dass wenn da gerade die Hilfswerke sich nicht eingemischt hätten und oft dafür stark kritisiert wurden, also das haben wir ja erlebt, nach dem Motto, ihr sollt doch den Armen helfen, was mischt ihr euch jetzt plötzlich in Energie- und Spritfragen in Deutschland ein, wenn wir das nicht gemacht hätten, dann wären wir dem Anspruch nicht gerecht geworden, an der Seite der Armen zu stehen.

Klar zu machen, dass der Lebensstil der Reichen immer etwas mit der Situation der Armen zu tun hat, darum geht es Bernd Bornhorst und seinem Team. Aber was heißt dann für ihn Entwicklung, Wohlstand,  gutes Leben für alle? 

Teil 2 

Und mit Dr. Bernd Bornhorst, Leiter der politischen  Abteilung beim katholischen Hilfswerk Misereor. Mit konkreten Projekten den Armen im Süden helfen, ist die eine, den Mächtigen ins Gewissen zu reden, politische Lobbyarbeit zu betreiben, die andere Seite der Arbeit von Misereor. Und dafür ist Bernd Bornhorst verantwortlich, und das heißt aktuell vor allem die Bereich Klima, Energie, Rohstoffe und Ernährung zu durchleuchten – immer an der Grundfrage orientiert: Was meinen wir, wenn wir von Entwicklung sprechen? Was heißt Wohlstand? Wie geht Nachhaltigkeit? Bornhorst  kommt mit einem für mich zunächst überraschenden Gedankengang: Auf die Mittelschichten kommt es an.

Die Menschen im Süden haben tatsächlich ein Recht, die Armen im Süden noch viel mehr, in Richtung uns sich zu bewegen, da ist Nachholbedarf, aber das geht nicht komplett, und wir erleben halt, dass Entwicklung grad in den großen Schwellenländern bedeutet, sobald jemand in Richtung Mittelschicht kommt, werden unsere Konsummuster, werden unsere schlechten Angewohnheiten sag ich mal, kopiert, Fast Food essen zu können, Auto fahren zu können usw., und darüber müssen wir ins Gespräch kommen,  sonst fahren wir das Ding gegen die Wand

Entwicklung hat für Bernd Bornhorst  vor allem mit Freiheit und Sicherheit zu tun, mit der Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen, mit einem Mindestmaß an materieller, sozialer, medizinischer und rechtlicher  Grundsicherung. Nachhaltiges Leben ist das noch nicht. Auch wenn heute viel von Nachhaltigkeit die Rede ist, gerade auch in der Politik, wir sind noch weit davon entfernt, nachhaltig zu leben, sagt der Experte, denn:

Es geht nicht, das glauben einige,  nur um die Frage,  wie findet man jetzt technische Lösungen, also wie können wir so weiterleben wie bisher, nur nachhaltiger, das Flugzeug fliegt dann mit Sonne, und das Auto fährt mit Elektrizität, das brauchen wir natürlich auch, diese technischen Lösungen, aber es geht eben auch um die Frage, wie wir überhaupt Wohlstand definieren, wenn wir sehen, dass unsere Ernährungsgewohnheiten, also es muss billig sein, es muss täglich Fleisch sein, dann ist das für uns nicht nachhaltig, weil wir wissen, dass diese Landwirtschaft hier bei uns Böden zerstört, dass Tiere nicht tiergerecht behandelt werden und dass wir letztendlich auch nicht das Gesündeste, sag ich mal, essen, und es ist nicht nachhaltig für die Menschen im Süden.

Und was heißt das alles nun für den einzelnen Christen? Nur beten und sonntags in die Kirche gehen, reicht sicher nicht aus, sagt Bornhorst, und da sind wir uns einig. Eine gewisse politisch-gesellschaftliche Wachheit muss schon sein.

Also ich kann mir ne Pastoral ohne gesellschaftspolitisches Engagement schlecht vorstellen, wobei ich jetzt nicht das Bild, hab dass jeder Christ jeden Tag mit der Fahne in der Hand auf der Parteiversammlung ist aber es gehört schon mehr dazu als nur für sich gut zu leben, und aus meiner Perspektive gehört eben dazu, dass man diese Nächstenliebe mit der Fernstenliebe verbinden muss bzw. heute sehen wir ja, dass unser Fernster gar nicht weit weg ist, sondern vor der Tür steht.

Misereor ist für mich seit langem eines der überzeugendsten Hilfswerke überhaupt, gerade weil es hier nicht „nur“ um die wichtige und richtige Hilfe für den Einzelnen geht, sondern eben um das große Ganze, um die Grundrichtung der vernetzten und globalisierten Welt. Und Bernd Bornhorst, so denke ich auf dem Weg  von Aachen nach Hause, ist jemand, der genau diese notwendige Diskussion nach vorne treibt.  

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SWR1 Begegnungen

„Religionsunterricht ist auch Übersetzungsarbeit!“

Ich bin mit  Veit Straßner verabredet. Wie das so geht manchmal: Man recherchiert im Internet zu einem Thema und landet plötzlich und unerwartet bei einem Sachverhalt oder Menschen, den man gar nicht auf dem Schirm hatte. So ging es mir mit Veit Straßner. Erst eine Ausbildung zum Rettungsassistenten, dann Theologie- und Politikstudium, eine Doktorarbeit über die offenen Wunden Lateinamerikas am Beispiel von Argentinien, Uruguay und Chile, zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Kirche und Politik in Lateinamerika.

Für jemanden, der wie ich auch Theologie und Politik studiert hat und der schon als Student Solidaritätsaktionen für unterdrückte Völker und bedrohte Menschenrechtler in Lateinamerika gestartet hat, war in dem Moment klar. Den willst du kennenlernen! 

Eigentlich wollte er Medizin studieren, erzählt er mir bei unserer Begegnung in Mainz. Doch dann begegnete er in der Warteschleife auf einen Studienplatz als Rettungssanitäter immer mehr jungen Ärzten, die ihm abrieten. 

Und dann hab ich mir überlegt, naja, was wäre ne Alternative, und ich hab mich schon immer für Themen interessiert, wo es irgendwie um große Zusammenhänge geht, und bin klassisch katholisch sozialisiert, Messdienergruppen, Gruppenleiter und so weiter und so fort, von daher war immer schon ein Interesse für Theologie und Religion da, und Politik hat mich auch interessiert, und dann, naja, hab ich mich entschieden, ein Lehramtsstudium zunächst aufzunehmen in diesem beiden Fächern Katholische Theologie und Politikwissenschaft. 

Auch das Interesse für Lateinamerika war ihm keineswegs in die Wiege gelegt. Eigentlich wollte er nach dem Zivildienst für ein halbes Jahr in einem Krankenhaus in Tansania arbeiten. Es war schon alles klar, doch dann kam von einem Tag auf den anderen die Absage aus Tansania. 

Und dann hab ich mich relativ spontan entschieden, nach Guatemala zu reisen, weil ich von jemandem gehört hatte, dass das da interessant sei und dass man dort gut Spanisch lernen könnte, und dann bin ich – aus heutiger Sicht doch relativ naiv und unbedarft – 1997 nach Guatemala geflogen ohne ein Wort Spanisch zu können und ohne das Bewusstsein dass wenige Monate vorher der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, also dass bis wenige Monate davor noch Bürgerkrieg geherrscht hat. 

Es wurden drei schöne und prägende Monate, blickt der heute 41-Jährige zurück, von da an war er mit dem Lateinamerika-Virus infiziert, und das blieb auch während des Studiums so. 

und ich hatte Glück, hab ein Stipendium bekommen, ein Jahresstipendium, und bin dann für ein Jahr nach Chile gegangen zum Studium an die Katholische Universität dort und das war in vielerlei Hinsicht ein sehr prägendes Jahr für mich, das war von 1999 bis 2000, also die Zeit, in der Pinochet, der ehemalige Diktator, in London in Haft saß, das war sozusagen auch ein Zeit, in der die jüngste Vergangenheit des Landes nochmal sehr sehr greifbar war, unter meinen Studienkollegen war das oft Thema, in befreundeten Familien habe ich mitbekommen, dass Familienmitglieder nur noch schwer miteinander reden konnten, weil die eine Seite Pinochet positiv bewertet hat, die andere negativ 

„Ich trägt  ein gewisses Grundvertrauen!“

Veit Straßner ist seit einem Sprachkurs in Guatemala mit dem Lateinamerika-Virus infiziert, hat in Chile studiert und mittlerweile fast alle lateinamerikanischen Länder besucht. Als Lehrer an einer Gesamtschule in Ingelheim nutzt er die jeweiligen Jahresaktionen von Misereor oder Adveniat, um Gäste aus Lateinamerika in die Schule einzuladen, im Spanisch-Unterricht stellt er Bezüge zur aktuellen Entwicklung auf dem Subkontinent her.  

Und wie ist das mit der Religion in der Schule, will ich wissen, in Zeiten, in denen der religiöse Grundwasserspiegel bei jungen Leuten doch eher auf null gesunken ist. Junge Leute sind nicht kirchlich, aber an religiösen existentiellen Fragen durchaus interessiert, hat Straßner beobachtet. 

Grade im Oberstufenunterricht wird schon sehr viel und sehr kontrovers diskutiert, und da wird schon auch deutlich, welche Fragen sich Jugendliche stellen, ganz deutlich wird es bei existentiellen Themen, Tod, Sterben, oder bei Wertefragen, aber da kommt das, was Kirche zu sagen hat, oft doch auch etwas verstaubt und sperrig daher in einer Sprache, die nicht mehr die Sprache der Jugendlichen in dem Fall ist. Von daher ist Religionsunterricht ja auch viel Übersetzungsarbeit, oder wie soll ich sagen, religiöse Alphabetisierung.  

Und wenn traditionelle Lehrgebäude und althergebrachte Floskeln nicht mehr tragen, dann ist der Lehrer doch besonders gefordert, muss authentisch sein – oder? 

Ich bin zurückhaltend mit meiner eigenen Meinung, ich dränge sie nicht auf, aber es kommt sehr oft vor, dass Schüler fragen, wie sehen Sie das denn eigentlich, und dann muss ich natürlich sprachfähig sein, dann muss ich in der Lage sein, meine Position darzulegen und sie auch zu begründen und zu verteidigen 

Und was ist seine Position, was ist es, das ihm wichtig ist und trägt im Glauben? Die schlichte Antwort von Veit Straßner, der sich in unserem Gespräch als sehr reflektierter und differenziert urteilender Zeitgenosse erweist, überrascht mich zunächst einmal. Ihn trägt: 

Ja, so ein gewisses Grundvertrauen, dass wir zwar unser Bestes geben müssen, aber das am Ende nicht alles bei uns liegt und das Grundvertrauen, der Optimismus, dass am Ende es doch auch irgendwie gut wird, auch wenn s dahin vielleicht mal bisschen holpert 

Aber ist das nicht ein bisschen wenig? Will man denn als religiöser Mensch nicht nur wissen, dass es gut wird, sondern auch wie es wird? Ja, sagt Straßner, aber das führt zu nichts. 

Es gibt Bilder, die einem da vielleicht weiter helfen, die einen  inspirieren, die einen tragen, aber damit muss man sich eben begnügen. 

Über die letzten Dinge können wir nicht wirklich etwas sagen. An diese Einsicht des großen Theologen Karl Rahner muss ich denken, als ich das Gespräch mit Veit Straßner Revue passieren lasse. Und wir müssen es auch nicht, da bin ich mit ihm einig Wichtig ist es, hier und jetzt als Christ zu leben und sich einzusetzen. Der Rest ergibt sich. Das glauben wir und darauf hoffen wir.  

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