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SWR4 Sonntagsgedanken

30MAI2021
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Manches bespricht man am besten unter vier Augen. Das verträgt keine Zuschauer. Und manchmal muss es Nacht werden, damit einer sich richtig öffnen kann für ein Gespräch. Gerade vielleicht für ein Gespräch, in dem es um die großen Fragen des Lebens geht.

In den evangelischen Kirchen wird heute über ein solches Nachtgespräch gepredigt. Nikodemus heißt der Mann, der zu Jesus kommt, heimlich und im Dunkeln. Viel weiß man nicht von ihm: Nikodemus ist Theologe, Mitglied im Stadtrat, allem Anschein nach ein besonnener, angesehener, geachteter Mann. Er sucht das Gespräch mit Jesus. Aber vorsichtshalber will er nicht gesehen werden mit diesem eigenartigen Wanderprediger, von dem er so viel gehört hat. Was würden da die Leute sagen: Er, der angesehene Mann, bei diesem Jesus, der einem schon irgendwie zweifelhaft vorkommen kann. Und trotzdem will Nikodemus das jetzt wissen. Was er von diesem Jesus mitgekriegt hat, interessiert ihn, macht ihn neugierig.

Mir gefällt das. Nikodemus will es wirklich wissen. Er geht nicht zu Jesus, um ihn zur Rede zu stellen oder so. Er muss nicht Recht behalten – er ist noch offen für Neues. Die anderen Leute seiner Zeit machen es sich leicht. Sie stempeln Jesus halt ab. Ist ja auch viel einfacher. Muss man sich nicht mit auseinandersetzen. Hat sein Vorurteil und will das gar nicht korrigieren.

Nikodemus tickt anders. Der lässt sich durcheinander bringen und sucht deshalb das Gespräch. Er hat mitbekommen, dass Jesus Menschen heilt. Dass er von Gott als gutem Vater spricht, interessiert ihn, den Theologen, wohl besonders. Und was Jesus von Gottes neuer Welt sagt. Von Frieden und Gerechtigkeit. Wie er Menschen dazu bringt, dass sie sich Gott anvertrauen. Und dass sich das anfühlt, als wäre man wie neu geboren. Neu geboren – da bleibt er dran hängen. Und so fragt er, der alte Mann, den jungen: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?“

Ich höre in dieser Frage auch raus, was Nikodemus wirklich umtreibt. Wie kann einer, wenn er alt ist, noch was vom Leben erwarten? Das Leben ist doch zum größten Teil gelebt. Die Zeit kann man nicht umkehren. Und je älter einer ist, umso weniger kann er noch aus seiner Haut.

Nikodemus fragt: Wie den ganzen Ballast abschütteln, den ich so mit mir rumtrage? Ich bin doch geprägt von meinem Umfeld, den Menschen um mich herum, von meiner Arbeit all die Jahre hindurch. Wie soll das also gehen mit dem Neuwerden als alter Mensch?

Und was antwortet Jesus darauf? Keiner kann das selber machen - neu geboren werden. Da hast Du Recht, mein lieber Nikodemus. Dich neu zur Welt bringen, das kann nur der Geist Gottes! Deine Geburt als Säugling hast du ja auch nicht beeinflussen können, aber sie hat Dir das Leben geschenkt. Du hast nicht darüber verfügen können. Wieso sollte es bei einer Neugeburt anders sein? Bist du noch offen für Geschenke? Denn neu geboren werden ist ein Geschenk! Ein Gottesgeschenk. Du kannst es nicht erzwingen, nicht darüber verfügen, nur darum bitten. Und du kannst wach sein fürs Unverfügbare.

Wachsein fürs Unverfügbare? Das klingt ein bisschen eigenartig. Ich will ein Beispiel machen. Manchmal hänge ich an einem Problem und finde keine rechte Lösung. Dann kann es passieren, wenn ich gar nicht damit rechne, taucht plötzlich eine Idee in meinem Kopf auf, eine mögliche Lösung. Unvermutet und unverfügbar kommt mir ein Gedanke dazwischen und mir geht ein Licht auf. Meist passiert das, wenn ich gar nicht dran denke. Unter der Dusche vielleicht oder beim Spazierengehen.

Kennen Sie das auch? Dieses Gefühl, wenn einem plötzlich ein Licht aufgeht und ein neuer Weg tut sich auf? Es ist ein Gefühl von Neuwerden, finde ich. Etwas Neues fällt mir zu – wie ein Geschenk – unverfügbar.

Wach sein fürs Unverfügbare. So vieles im Leben ist doch ein Geschenk, unverfügbar. Mein Leben verdanke ich anderen. Die Liebe, die ich in meinem Leben erfahre, bekomme ich umsonst. Auch dass ich andere lieben kann, ist ein Geschenk. Die Energie, die Kraft, mit der ich mein Leben gestalte und für andere da sein kann, es ist eigentlich ein Geschenk.

Wach sein fürs Unverfügbare. Ich kann das nur probieren. Immer wieder neu. Aber ich finde, das braucht eine Haltung, wie Nikodemus sie gezeigt hat, als er Jesus aufsucht im Schutz der Nacht: Neugierig bleiben, wohlwollend anderen gegenüber und interessiert und offen sein für Neues. Das wünsche ich mir, dass ich das auch noch kann, wenn ich so alt bin wie Nikodemus

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

28FEB2021
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Sitzen Sie auch schon in den Startlöchern? Bald beginnt ja die Gartensaison wieder. Krokusse und Schneeglöckchen blühen schon. Die Sonne wärmt den Boden. Gehören Sie auch zu den Leuten, die immer am Ende des Winters sehnsüchtig darauf warten, dass es wieder losgehen kann? Das Frühbeet herrichten. Die ersten Setzlinge sind vielleicht schon gezogen. Den Kompost kann man bald in den Boden einarbeiten. Das tut einfach gut, wenn nach langem Winter die Tage wieder länger und wärmer werden. Wenn man wieder länger draußen sein kann. Und wenn’s auch bloß Balkonkübel sind, auch hier kann man gärtnern, aussäen, pflanzen und ernten.

Aber wer gärtnert weiß, dass nicht alles aufgeht, was man aussät oder pflanzt. Dass es immer Verluste gibt. Und man braucht Geduld. Muss warten können. Wachsen und Reifen brauchen Zeit. Setzlinge wachsen nicht schneller, wenn man an ihnen zieht. Beim Gärtnern gehst Du immer in Vorleistung. Ich finde, das ist eine richtige Lebensschule. Beim Gärtnern kann man Vertrauen und Zuversicht lernen.

In der Bibel gibt es eine Geschichte, die knüpft an diese alte Erfahrung an. Jesus erzählt sie und sie ist ein Gleichnis, das auf vieles im Leben passt, finde ich. Ein Bauer geht aufs Feld, um seine Saat auszusäen. Und er macht das, wie man das damals gemacht hat, als es noch keine Maschinen dafür gegeben hat. Er wirft die Körner in weitem Bogen um sich. Er verstreut alles, was er hat. Da geht manches daneben. Einiges fällt auf den Weg. Die Körner werden zertreten und die Vögel picken sie auf. Ein anderer Teil fällt auf felsigen Boden. Die Körner gehen zwar auf, aber vertrocknen schnell wieder, weil sie keine Feuchtigkeit haben. Ein weiterer Teil fällt zwischen die Disteln. Die Disteln gehen mit auf und ersticken die junge Saat. Aber ein anderer Teil fällt auf guten Boden. Die Körner gehen auf und bringen richtig viel Ertrag.

Hätte dieser Bauer nicht ein bisschen besser aufpassen können, werden Sie jetzt vielleicht denken. Wie kann er nur die Samenkörner überall hinwerfen, scheinbar ohne auf die Beschaffenheit des Bodens zu achten, scheinbar ohne sich darum zu kümmern, wo der Samen hinfällt? Was soll diese Verschwendung? Kann das gut gehen oder ist es vielleicht sogar gut, wenn man manchmal was verschwendet?

Mensch, so möchte man ihm zurufen, Samenkörner sind kostbar und Du verschleuderst sie. Du musst doch rechnen, ob sich das rentiert. Drei Viertel Verlust, das kannst Du doch nicht ernsthaft wollen. Das lohnt sich doch nicht. Du mühst Dich vergeblich.

Ich denke manchmal: Vielleicht fühlen sich die jungen Leute gerade so – jetzt in der Pandemie. Mit viel Energie haben sie ihre Prüfungen abgeschlossen. Abitur, Gesellenprüfung, Examen. Da steht einem die Welt doch offen, normalerweise. Da will man loslegen, hat Träume und Hoffnungen und ist begeistert von der Zukunft. Will sich die Welt erschließen. Und jetzt warten sie seit einem Jahr irgendwie. Ausgebremst, abgeschnitten, Pläne im Eimer oder zumindest auf Eis gelegt.

Aber auch wir Älteren könnten wahrscheinlich einiges erzählen, welche Hoffnungen und Träume sich in unserem Leben nicht erfüllt haben. Und von der vielen vergeblichen Liebesmüh. Was habe ich nicht alles schon gemacht. Und was habe ich davon?

Die Geschichte sagt mir: Schau auf den Bauer, wie er aussät. Er macht das einfach so. Er lässt sich nicht verbittern, auch wenn das scheinbar vergeblich ist, was er tut. Und vielleicht ist das ja gar kein Misslingen. Vielleicht sieht er ja mehr, als wir auf den ersten Blick sehen. Er sieht, wie die Vögel sich freuen über die Körner, die sie finden. Und vielleicht tragen sie die ja weiter und woanders geht auf, was er gesät hat. Vielleicht treibt der scheinbar vertrocknete Samen beim nächsten Regen doch noch aus. Oder die Samenkörner setzen sich wider Erwarten durch gegen die Disteln. Es ist noch offen, was aus all den Samenkörnern wird.

Vielleicht muss ich nicht alles bewerten nach Erfolg oder Misserfolg. Und Geduld haben. Vielleicht ist manches im Nachhinein ein guter Weg, was in meinem Leben wie ein Rückschritt aussieht. Zugegeben: nicht alles gelingt und manches geht buchstäblich daneben. Trotzdem kann ich darauf  vertrauen, dass etwas Gutes daraus entstehen kann. Denn den Boden mache ich nicht selbst, auf den das Samenkorn fällt,. Und beim Säen gebe ich etwas aus der Hand. Das Wachsen und Reifen liegt nicht in meinem Vermögen.

Bald beginnt jetzt die Gartensaison wieder. Vielleicht denken Sie ja beim Aussäen an den Bauern aus der biblischen Geschichte. Wie er auf Zukunft hin sät und offen ist für das, was dann zu ernten sein wird. Ungefähr die Hälfte misslingt, das sei ganz normal, heißt es in der Gartenkolumne einer Wochenzeitung. Ich will mich davon nicht beirren lassen.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

20DEZ2020
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Jetzt steht es endgültig fest: Weihnachten wird anders dieses Mal. Wie so vieles anders geworden und anders gekommen ist in diesem Pandemiejahr. An Weihnachten sucht man gerne das Gewohnte, manches davon finden wir in diesem Jahr nicht. Aber Weihnachten fällt ja nicht aus. Ich habe mir jedenfalls fest vorgenommen, das Beste aus der Situation zu machen. Wie das ja viele tun in diesem Jahr. Warum sollte darin nicht auch ein Reiz liegen, wenn Weihnachten dieses Jahr anders sein wird? Mal nicht: „Alle Jahre wieder.“ Nicht: „Same procedure as every year.“

Mir kommt das mit Weihnachten in diesem Jahr ein bisschen vor wie Fasten. Fasten hat ja durchaus eine positive Seite. Freiwillig verzichten, aus gutem Grund, um dann wieder, wenn’s möglich ist, hoffentlich schon nächstes Jahr, ganz neu genießen zu können. Ganz neu genießen zu können, was wir mit diesen Festtagen an Weihnachten eigentlich für einen Schatz haben. Weniger kann doch manchmal wirklich mehr sein.

Wir müssen weiter auf Distanz bleiben. Masken tragen. Die Gottesdienste finden mit begrenzten Teilnehmerzahlen statt. Viele Kirchengemeinden planen daher im Moment Gottesdienste im Freien, vielleicht auf dem Marktplatz, wo der Abstand eingehalten werden kann. Zusammenrücken geht nicht. Lieder darf man keine singen. Ich merke, ich kann viel aufzählen, was alles nicht geht dieses Weihnachten. Aber kann ich auch dankbar sein für das, was dennoch möglich ist? Warum sollte Weihnachten einmal anders nicht auch schön werden? Ich freu mich jedenfalls trotzdem drauf.

Gut, ich gebe zu, das Treffen in der Großfamilie wird mir fehlen. Wir werden nicht wie sonst zu zwanzigst zusammenkommen können. Wir werden im kleinen Kreis beieinander sein. Vielleicht wird das stiller. Für manche wird Weihnachten in diesem Jahr sicher auch einsamer sein. Die Einschränkungen sind schon zu spüren, na klar. Aber sie sind halt notwendig, finde ich, gerade jetzt. Da führt nichts daran vorbei, wenn die Infektionszahlen einfach nicht runtergehen. Und ich denke, wenn was für Solidarität unter den Menschen steht, für Liebe, ja Liebe, die den anderen schützt, dann ist es doch das Weihnachtsfest. Finden Sie nicht auch?

Vielleicht ist es ja wirklich so, dass in der augenblicklichen Situation diese Botschaft von Weihnachten viel deutlicher wird, ja sogar viel heller strahlt als sonst.

 

Es hat, glaube ich, bisher kein Jahr gegeben, das mich so verunsichert hat. Und mir gezeigt hat, wie verletzlich das Leben von uns Menschen ist. Aber das ist doch gerade das Thema von Weihnachten. Dass Gott sich um das verletzliche menschliche Leben kümmert. An Weihnachten feiern Christen, dass Gott Mensch wird. Gott kommt in die Welt in einem kleinen verletzlichen Kind armer Leute. In einem Stall bringt Maria das Kind zur Welt, so erzählt es die Weihnachtsgeschichte. Unter erbärmlichen Umständen. Josef wird der einzige Geburtshelfer gewesen sein. Es wird gerochen haben, wie es in einem Stall halt so riecht. Ein Futtertrog wird die Krippe für das Kind.

Und doch erzählt die Weihnachtsgeschichte nicht nur das, was einem vielleicht verletzlich, erbarmungswürdig vorkommt. Sie berichtet auch von der Freude, die die Geburt des Kindes auslöst, bei den Hirten und bei den Engeln sogar. Sie berichtet auch vom Frieden, der durch dieses Kind in die Welt kommen soll. Dieser Frieden sei immer größer, als das, was wir Menschen an Frieden zustande kriegen, behauptet die Geschichte. Und über allem lässt sich die Botschaft der Engel hören und bildet den Grundton: „Fürchtet Euch nicht!“

Darauf gehen wir jetzt zu. Weihnachten unter besonderen Umständen. Von heute bis Heiligabend sind’s noch vier Tage. Vier Tage, die einem bewusst machen können, was auf uns zukommt. Ein anderes Weihnachtsfest, keins wie jedes Jahr. Vielmehr eines, bei dem das Eigentliche der Weihnachtsbotschaft hell strahlen kann. Gott ist bei seinen Menschen. Wir sind nicht allein. Wir sind nicht nur die Ratlosen und die Verunsicherten. Fürchtet Euch nicht.

Wer sich weniger fürchten muss, kann mutiger sein. Und zum Beispiel ein bisschen mehr auf die achten, die es jetzt besonders schwer haben. Mit einem Brief, mit dem Vorlesen einer Geschichte durchs Telefon, mit dem Verschicken eines kleinen Geschenks kann man das weitergeben. Es sind das, glaube ich, alles kleine Zeichen, die das „Fürchtet Euch nicht“ in die Welt tragen wie ein helles Licht. Und mit ihm eine große Portion Zuversicht.

Ich wünsche Ihnen einen frohen vierten Advent und eine gesegnete Weihnachtszeit.

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SWR4 Sonntagsgedanken

27SEP2020
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Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen. Jetzt ist der Sommer doch noch viel besser geworden, als im Frühjahr zu befürchten war, finde ich. So viele schöne sonnige Tage. So viele laue Abende, an denen man noch lange draußen sitzen konnte. Biergärten und Eisdielen haben wieder aufmachen können. Die Freibäder auch. Sport war wieder möglich, auch kleinere Veranstaltungen. Man konnte sich treffen. Nach den Pfingstferien haben die Schulen vorsichtig ihren Betrieb aufgenommen, jetzt nach den Sommerferien sind wieder alle Schüler da. Gottesdienste können gefeiert werden. Besuche im Pflegeheim gehen wieder. Und in den Urlaub fahren konnte man auch. Gut, nicht überall hin, wie seither. Aber auch in unserem Land gibt es so viele schöne Flecken, die einen Besuch wert sind. Fast normal fühlt sich das doch an. Finden Sie nicht auch?

Ich glaube, es ist wichtig, sich das alles klar zu machen. Damit einen die Sorgen und die Mutlosigkeit nicht überrollen. Denn Gott will nicht, dass wir mutlos werden. Das sagt mir ein starker Satz aus der Bibel. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“

Mir ist aufgefallen: Wenn man sich den Bibelvers im griechischen Original anschaut, könnte man auch so übersetzen: Geist der Verzagtheit. Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben. Aber das Wort ist im Alltagsgebrauch ein bisschen aus der Mode gekommen. Ich bin verzagt, das sagt kaum jemand mehr so heute. Niedergeschlagen, müde, lustlos bin ich, auch ängstlich, fühle mich wie gelähmt. Und ich kann irgendwie gar nicht gegen dieses Gefühl angehen. Fühle mich, als ob ich ja doch nichts machen kann. Als ob alles über mich hinwegrollt. Das ist Verzagtheit. Dieses Gefühl der Verzagtheit kann einem ganz schön unter die Haut kriechen. Macht doch eh alles keinen Sinn, denke ich dann, und fühle mich ausgeliefert. Ein richtiges Gift ist das, die Verzagtheit.

Der Bibeltext sagt: Es gibt ein Gegenmittel. Gott hat uns was dagegen gegeben. Ein Gegenmittel gegen die Verzagtheit, die Furcht und die Mutlosigkeit. Einen anderen Geist. Den der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Verstehen Sie mich recht, ich will die Gefahren nicht verharmlosen. Ganz bestimmt nicht. Es ist längst nicht wieder alles so wie vor der Pandemie. Wie sollte das auch sein? Ich gebe zu, auch bei mir schwingt die Sorge schon mit, wie sich das Infektionsgeschehen jetzt im Herbst und im Winter weiterentwickeln wird. Wenn man nicht mehr so viel draußen sein kann. Wie wird das dann werden mit den sozialen Kontakten? Wie wird das in den Schulen gehen? Wie bei der Arbeit? Im Moment steigen die Zahlen wieder. Ich meine, gerade jetzt ist es gut, wenn man besonnen bleibt.

Und das Beste ist doch: Die Ausbreitung des Virus hat sich eindämmen lassen. Wie viele beneiden uns darum. Na klar, man könnte auch darauf gucken, was alles nicht gegangen ist, was weiterhin nicht geht. Auf die Einschränkungen, die immer noch gelten müssen. Aber so vieles geht wieder, wenn man sich an einfache Regeln hält. Das ist ja nicht schwer, so eine Maske tragen, wenn man unter die Leute will. Auch Abstand halten, finde ich, das geht doch, ebenso die Hygieneregeln beachten. Da braucht man doch wirklich kein Gedöns drum machen. Und wenn’s die Infektionszahlen niedrig hält und wenn’s vor allem die Schwächeren schützt, ist das doch echt klasse. Dass man was tun kann und nicht nur irgendwie dem Virus ausgeliefert ist, bis es ein Medikament oder einen Impfstoff gibt.

Ich bin deshalb froh, dass gerade heute in den evangelischen Kirchen über einen Abschnitt aus der Bibel gepredigt, der von der Besonnenheit redet. Darin heißt es: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“

Gerade die Besonnenheit, die finde ich so wichtig in diesen aufgeregten Zeiten. Ich meine, das ist heute ein großes Kompliment, wenn man von einem Menschen sagt, er handle besonnen. Natürlich verunsichert eine solche Krise. Und sie kann einem das Herz in die Hose rutschen lassen. Weiter hilft, glaube ich, wenn man besonnen bleibt. Wenn man nicht hereinfällt auf abenteuerliche Verschwörungsgeschichten. Es braucht Leute, die einen klaren Verstand bewahren. Die keine Ängste schüren. Die abwägen. Die keine schnellen Urteile fällen. Die hinhören. Die einen damit anstecken, mit Besonnenheit und mit einer gehörigen Portion Gelassenheit.

Dazu kann es helfen, wenn ich mich umschaue. Und wahrnehme, wie schön dieser Sommer war. Was ich alles erlebt habe, ganz unerwartet. Wie gut es Gott mit mir gemeint hat. So ein Rückblick hilft auch, mutig nach vorn zu schauen. Auch wenn jetzt die Sorgen wieder größer werden. Warum sollte es nicht wieder gut gehen, wenn wir alle miteinander uns Mühe geben und aufeinander achten? Dann können wir doch den Herbst mutig angehen. Und Gott bitten: Gib uns Kraft dazu und Besonnenheit.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche. Bleiben Sie behütet.

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SWR4 Sonntagsgedanken

12JAN2020
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Immer ist die Zukunft wie ein unbekanntes Land, das man Schritt für Schritt betritt. Wie geht es Ihnen damit? Schauen Sie sorgenvoll in die Zukunft oder hoffnungsvoll? Ich möchte Ihnen heute Morgen Mut machen, zuversichtlich in dieses neue Jahr zu gehen.

Sicher, die Zeiten, in denen wir leben, sind nicht leicht. Es kann einem ja schon angst werden bei all den drängenden Problemen in der Welt. Klimakrise, Konflikt zwischen den USA und dem Iran, Handelskrieg, Gefahren für die Demokratie und anderes mehr. Und viele machen einem Angst, bewusst oder unbewusst. Reden von Katastrophen, die womöglich kommen. Vom großen Knall, den es angeblich braucht. Ich finde, da muss man etwas dagegen setzen. Gegen die Angst und gegen die, die einem Angst machen wollen. Und dazu braucht es Zuversicht.

Ich habe dabei die Botschaft der Engel aus der Weihnachtsgeschichte noch im Ohr. „Fürchtet euch nicht!“, sagen sie den erschrockenen Hirten mitten in der Nacht. Draußen auf dem Feld, wo sie ihre Schafe hüten. „Fürchtet euch nicht!“ Und die Hirten fassen sich ein Herz, brechen auf und finden im Stall in Bethlehem das Kind in der Krippe. Das ist Zuversicht. Wenn man beherzt aufbricht und sich überraschen lässt. Mutig, voller Hoffnung.

Zuversicht, das ist ein altes Wort. Eigentlich bedeutet es „Vertrauen in die Zukunft“. Und eigentlich steht die Zuversicht gegen die Angst. Ja, will der Angst etwas entgegen setzen. Ich finde, das braucht es ganz dringend, dass man der Angst etwas entgegensetzt. Sie lähmt einen sonst. Und man kann nichts mehr tun und will nichts mehr tun. Oder meint, dass es sich eh nicht lohnt. Dass eh alles zu spät ist.

Zuversichtlich sein heißt nicht: „Irgendwie wird alles schon werden.“ Nein, ich glaube, man darf sich nicht so ausgeliefert fühlen an die Zukunft. Man muss schon selber was tun. Und man kann das auch. Man kann was tun. Man kann sich nämlich immer entscheiden, wie man die Dinge ansehen will. Skeptisch, pessimistisch oder eben zuversichtlich

Zuversicht hilft einem ja, das, was notwendig ist, zu tun. Ich denke zum Beispiel an die Frauen und Männer, die ehrenamtlich in den sogenannten Vesperkirchen mithelfen. In zahlreichen Orten machen die jetzt in der kalten Jahreszeit wieder auf. Kirchengemeinden laden ein in ihre Räumlichkeiten, in die Kirche selbst oder in das Gemeindehaus. Die einen organisieren das Ganze. Andere stehen am Eingang und begrüßen die Leute, die kommen. Wieder andere teilen das warme Mittagessen aus oder nehmen sich Zeit für ein Gespräch. Manchmal kommt auch eine Ärztin vorbei oder ein Friseur. Die bieten ihre Dienste ohne Bezahlung an. Auch sogenannte Solidaresser sind ausdrücklich ebenso eingeladen. Man kann auch seine Mittagspause hier verbringen und mit anderen zu Mittag essen. Wer wenig hat, gibt wenig. Andere geben dafür mehr und tragen das Ganze mit.

Sicher, die Ursachen von Armut werden damit nicht beseitigt. Aber die Männer und Frauen, die in den Vesperkirchen mithelfen, setzen damit auch ein notwendiges politisches Zeichen. Wie kann es sein, dass in einem so reichen Land wie unserem, die Armut zunimmt? Wie kann es sein, dass eine zunehmende Zahl von Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten muss? Mit der Aussicht auf eine Rente, die einmal kaum zum Leben reichen wird?

Zuversicht hilft einem, das, was notwendig ist, zu tun. Für mich gehören hierher auch die Frauen und Männer, die sich in Gemeinderäten oder Ortschafträten für ihren Ort einsetzen. Die brauchen ja oft ein dickes Fell. Scheinbar können Sie es keinem recht machen. Und mit Kritik ist man immer weniger zimperlich. Beleidigungen und Drohungen scheinen manchmal normal zu werden. Ich habe mir vorgenommen, was dagegen zu sagen, wenn über sie hergezogen wird. Und ihren Einsatz wertzuschätzen, den sie für andere bringen. Und bei Kritik will ich sachlich bleiben. Demokratische Kultur beginnt immer auch von unten.

Man könnte ja noch manches andere hier erzählen. Wahrscheinlich fallen Ihnen auch Menschen ein, die Zuversicht ausstrahlen. Die sich einsetzen für andere. Vielleicht sind Sie ja selber so ein Mensch. Mir zeigt das, man darf die Hände nicht in den Schoß legen. Man darf sich nicht an die Zukunft ausgeliefert fühlen. Man kann nämlich was tun. Schon im Kleinen. Und damit zeigen, dass man ein zuversichtlicher Mensch ist.

Das wünsche ich Ihnen, heute, wo das neue Jahr schon wieder zwölf Tage auf dem Buckel hat. Dass Sie mit Zuversicht durch dieses Jahr gehen können. Und mit Gottvertrauen. Christenmenschen leben von der Zuversicht, die auf Gott vertraut.

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SWR4 Sonntagsgedanken

17NOV2019
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Ich finde, gerade in diesem dunklen und trüben Monat November muss man darüber reden, was einem Hoffnung macht. Der November ist doch der Monat im Jahr, in dem viele fragen: Wo sind die Toten? Wenn auch die Feiertage und Sonntage sich darum drehen: Allerheiligen, Volkstrauertag, Totensonntag. Kann man da von Hoffnung reden? Ich will es heute Morgen versuchen.

Wer das noch selber macht, der richtet spätestens im November die Gräber für den Winter. Man geht auch miteinander auf den Friedhof zu den Gräbern der Menschen, die man gekannt und die man geliebt hat. Das tröstet einen doch irgendwie, wenn man da miteinander hingeht. Und sich dann miteinander erinnert an die Menschen, die einem jetzt fehlen. „Weißt Du noch …?“ Und man trägt die Geschichten zusammen. Im Erzählen stehen einem die Menschen noch einmal vor Augen. Es werden ja immer mehr, je älter man wird.

Vielleicht sind Sie auch schon einmal gegen Abend auf den Friedhof gegangen, wenn es schon gedämmert hat. Dann sieht man oft Kerzen auf den Gräbern leuchten. Für mich ist das ein ganz eindrückliches Bild. Die Lichter in der Dämmerung und die Stille um diese Zeit. Und auch die Trauer und die Wehmut, die dazu gehören. Es zeigt mir, dass Menschen über den Tod hinaus verbunden bleiben. Auch in den Gottesdiensten im November denkt man an die Toten. Und man fragt, was über den Tod hinaus bleibt.

Wo sind die Toten? Ja, auf dem Friedhof finde ich sie. Für mich ist das gut, dass ich diesen Ort habe. Dass ich dort hingehen kann, wenn mir danach ist. Aber ich weiß natürlich, dass dort nur die sterbliche Hülle der Menschen liegt, die mir etwas bedeutet haben. Was und wer sie waren, ist dort nicht.

Wo sind die Toten? In der Erinnerung. Natürlich, dort auch. Und wie gut ist es, wenn ein Mensch dankbar auf das zurückblicken kann, wodurch ihn andere reicher gemacht haben. Was ihm andere Menschen mitgegeben haben fürs Leben. Die Eltern. Die Großeltern. Ehepartner, Geschwister, Freunde. Jetzt leben sie nicht mehr, aber in der Erinnerung bleiben sie. Da bleibt, was man ihnen verdankt. Und das, was man einander schuldig geblieben ist im Leben? Ja, auch das bleibt. Manchmal als Schmerz, als Verletzung, als Narbe. Und die gehört dann zum Leben dazu, auch wenn man das manchmal vielleicht gern anders hätte.

Wo sind die Toten? In der Bibel lese ich: Die Toten sind bei Gott. Und da gibt es keine Tränen mehr, kein Leid, keinen Schmerz. Die Toten sind bei Gott, das ist die Hoffnung, die Christenmenschen haben.

Ganz am Ende der Bibel kann man lesen, dass Gott einmal alle Tränen abwischen wird. Dass der Tod nicht mehr sein wird, kein Leid und kein Schmerz. Für mich ist das ein wunderbares Bild. Weil es sagt, wo Gott ist. Nämlich ganz nah bei seinen Menschen.

Christenmenschen glauben, dass die Toten bei Gott sind. Gott ist aber auch bei denen, die um ihre Toten trauern. Er wird alle Tränen abwischen. Das ist es, worauf Christen hoffen.

Aber was macht diese Hoffnung mit einem? Jetzt, im Leben. Wie kann sich das im Leben auswirken? Man kann ja sagen, und das hören Sie sicher auch oft, dass der Tod einem zeigt, wie wertvoll das Leben ist. Eckhard von Hirschhausen, der Fernsehmoderator und Arzt hat einmal gesagt: „Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn man kapiert, man hat nur eins.“ Ich finde, Hoffnung darf einen nicht vertrösten auf irgendwann. Sie muss einen trösten, hier und jetzt. Fürs Hier und Jetzt. Dann macht die Hoffnung einen frei. Frei davon, immer nur auf die verpassten Möglichkeiten zu gucken. Frei davon, immer nur dem nachzutrauern, was war und nicht mehr sein wird. Frei von der Angst vor dem Tod, die das Leben bestimmt.

Ich glaube, man kann dann auch selbst was machen gegen die Hoffnungslosigkeit. Man kann doch jetzt schon Tränen abwischen. Vielleicht ist ja das Wichtigste, dass man nicht wegläuft. Dass man beieinander bleibt, wenn einer sterben muss. Und dass man beieinander bleibt, wenn einer um einen Verstorbenen trauert. Auch wenn das viel Kraft kostet und manchmal schier über die eigenen Kräfte geht.

Und man kann doch auch jetzt schon was machen gegen das, was Menschen traurig macht. Man kann zum Beispiel den Mund aufmachen, wenn über einen anderen hergezogen wird. Da kann man was dagegen sagen. Wenn mal wieder Sündenböcke gebraucht werden. Da kann man versuchen, mutig zu sein.

Wo sind die Toten? Ich hoffe, bei Gott. Da gibt es keine Tränen mehr, kein Leid, keinen Schmerz. Und ich hoffe, dass auch ich einmal dort sein werde, wenn ich sterbe. Aber bis dahin wird es Menschen geben, die mich brauchen. Und denen ich beistehen kann. Auch, wenn mir selber manchmal zum Weinen ist. Vielleicht ist das die stärkste Kraft, die Menschen haben: Sie können füreinander da sein.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

29SEP2019
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„Ach, wär das Leben schön, wenn nur die Sorgen nicht wären.“ Meine Nachbarin sagt das immer. Ja, vielleicht wäre das Leben wirklich leichter, wenn man sich nicht so viele Sorgen machen würde. Sich nicht immer gleich einen Kopf machen. Nicht immer so ins Grübeln verfallen. Darauf vertrauen, dass etwas gut ausgeht. Dass sich schon irgendwie eine Lösung finden wird für das, wo ich nicht weiterweiß und nicht weiter komme. Nachts um drei, wenn ich aufwache und nicht mehr einschlafen kann, sieht das manchmal anders aus. Dann fangen die Gedanken an zu kreisen. Ob ich an alles gedacht habe bei der wichtigen Besprechung gestern? Ob ich das alles schaffe, was von mir bei der Arbeit oder privat erwartet und verlangt wird? Nachts um drei sind die Sorgen wie durch ein Vergrößerungsglas immer noch viel größer und bedrohlicher als am Tag.

Ich habe rausgefunden, dass es mir hilft, was Jesus in der Bergpredigt über das Sich-Sorgen-Machen gesagt hat. Von den Vögeln kannst Du was darüber lernen, hat Jesus gemeint. Nämlich, wie Du besser zurechtkommst mit dem, was Dir Sorgen macht. Das klingt eigentlich ganz schön radikal, was er da sagt. „Macht euch keine Sorgen um euer Leben – was ihr essen oder trinken sollt. […] Ist das Leben nicht mehr als Essen und Trinken? […] Seht euch die Vögel an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln keine Vorräte in Scheunen: Und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?“ (Mt 6, 26)

Tja, wenn’s nur so einfach wäre. Wenn ich nur sagen müsste, nachts um drei, wenn ich nicht mehr schlafen kann: „Lasst mich in Ruhe, liebe Sorgen. Ich will nichts von euch wissen. Ich will jetzt schlafen. Die Nacht ist zum Schlafen da.“ Aber wenn ich nicht weiß, wie ich über die Runden kommen soll, dann sind die Sorgen am Morgen nicht weg. Oder wenn ich nicht weiß, wie ich mit dem Druck zurechtkommen soll, der am Tag bei der Arbeit wieder auf mich wartet, dann denke ich: Schön, wenn’s so einfach wäre.

Manche können das ja. Die haben ein dickeres Fell. Vielleicht hängt das auch davon ab, was für ein Typ ich bin. Oder davon, welche Erfahrungen ich halt im Leben gemacht habe. Ob ich ein ängstlicher Mensch bin oder ein zuversichtlicher. Ob ich gut mit den kleinen oder großen Sorgen meines Lebens zurechtkomme. Oder ob es mir schwerfällt, zu meinen Sorgen einen Abstand zu kriegen. Und ich immer wieder drauf gestoßen werden muss. Mensch, mit Deinem Sorgen und Grübeln machst Du Dir das Leben selber aber ganz schön schwer.

Ich verstehe das so: „Guckt Euch doch die gefiederten Freunde an“, wie sie keine Ruhe haben, ihre Brut verteidigen, Futter herbeiholen den lieben langen Tag. Sie sorgen doch in einem fort. Aber ihre Sorge hat eine Grenze. Alles andere wäre ja auch lachhaft: Stellt Euch vor, Vögel, die Ackerbau betreiben. Säen und ernten und die Vorräte in Scheunen sammeln. Das wäre absurd, komisch, weil es völlig über ihr Sorgemaß hinausgehen würde.

Ich habe kapiert, dass das doch genauso für mich gilt. Meine Sorge muss eine Grenze haben. Ich kann tun, was heute zu tun ist. Aber die Sorge darf sich nicht immer breiter machen in meinem Leben und grenzenlos werden. Das gilt, habe ich kapiert, weil ein anderer für mich sorgt. Jesus meint: So wie Gott dafür sorgt, dass die Vögel genug Nahrung finden, so sorgt er noch viel mehr für jeden, der sich das gefallen lässt.

Du kannst darauf vertrauen, dass Gott für Dich sorgt. So verstehe ich das. Gerade da, wo Du mit Deinem Sorgen nicht weiterkommst. Denn es gibt ja Sachen, die ändern sich nicht, ganz egal, wie viele Sorgen ich mir mache. Die muss ich loslassen. Wie ich zum Beispiel im Alter noch zurechtkomme, das weiß ich heute noch nicht. Alles Sorgen-Machen darüber jetzt hilft mir nicht weiter, wenn ich mir ausmale, wie es mal kommen könnte. Da ist es gut, wenn meine Sorge eine Grenze hat. So kann ich jetzt überlegt das tun, was möglich ist. Eine Vorsorgevollmacht einrichten zum Beispiel, oder eine Patientenverfügung. Das kann helfen, die Sorgen ein wenig kleiner zu machen. Und ich kann vertrauen, dass sich dann, wenn es einmal so weit sein wird, eine Lösung findet.

Soll ich dann einfach sorglos in den Tag hineinleben? Von Jesus kann ich lernen: Sich viele Sorgen machen und für einen anderen sorgen, das sind zwei Sachen, die ich unterscheiden muss. Also ein richtiges Maß finden. Das wär’s doch. Dass einen die Sorgen nicht auffressen und dass man die Sorgen loswerden kann, die einem zu schwer werden. Vor allem nachts um drei. Und dass ich rausfinde, wofür ich wirklich sorgen, worum ich mich kümmern muss. Denn das gehört doch zum Leben von uns Menschen, dass wir füreinander Verantwortung übernehmen. Dass es nicht egal ist, wie es wird.

Und vielleicht ist es sogar so, denke ich mir, dass Gott mich manchmal dazu braucht, wenn er für einen Menschen sorgt. Dass er mich schickt, mir zeigt, wo ich anpacken, helfen, mich kümmern kann. Ich glaube, das hat Jesus gemeint, wenn er sagt: „Tut, was ihr könnt, um die Welt freundlicher zu machen. Und sorgenfreier für die Menschen, die von Sorgen schier erdrückt werden.“ Dann wird das Leben auch für andere leichter.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

16JUN2019
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Manchmal müssen auch Männer reden. Echt. Ist so. Da brauchen sie einen, der zuhört. Der sie ernst nimmt. Auch Männern tut das gut, wenn mal raus kommen kann, was einen tief drin umtreibt. Wenn ich mal fragen kann und nicht immer gleich Antworten parat haben muss.

Die Bibel erzählt von einem älteren Mann, den auch seine Fragen umtreiben. Nikodemus heißt er. Er hat von Jesus gehört und das, was er mitgekriegt hat, interessiert ihn, macht ihn neugierig. Dass Jesus Menschen geheilt hat. Dass er von Gott als gutem Vater gesprochen hat. Und von Gottes neuer Welt. Von Frieden und Gerechtigkeit. Wie er Menschen zum Vertrauen auf Gott und zu einem Leben mit ihm bewegt hat. Und so fragt er: „Wie kann einer neu geboren werden, wenn er alt ist?“ Wie kann einer, wenn er alt ist, noch etwas vom Leben erwarten?

Ich glaube, auch für Männer werden die großen Fragen des Lebens nicht kleiner, wenn sie älter werden. Vielleicht werden sie sogar dringlicher. Kann ich mich noch ändern? Kann ich noch einmal neu anfangen, neu werden, gerade wenn ich schon älter bin? Und: Kann ich noch was vom Leben erwarten?

Nikodemus geht mit seinen Fragen zu Jesus. Viel weiß man ja nicht von ihm. Man kennt seinen Namen und seine Aufgaben und Funktionen: Theologe, Mitglied im Stadtrat, Abgeordneter, allem Anschein nach ein besonnener, angesehener, geachteter Mann. Einer, der sieht, was passiert in der Welt. Einer, der daran leidet wie Menschen miteinander umgehen. Er sucht das Gespräch. Das will er von Jesus selber wissen, wie der das meint, mit Gottes neuer Welt.

„Wie kann einer neu geboren werden, wenn er alt ist?“ Fragt Nikodemus. Jesus hatte das behauptet: Nur, wenn man neu geboren wird, kann man neu anfangen. Ich verstehe das so: Du kannst dein Leben nicht noch einmal von vorn beginnen. Aber es jetzt neu begreifen, das kannst du. Geboren wird man, das machen wir nicht. Geboren werden, das ist ein Geschenk, das geschieht mit uns. Nimm das als Geschenk, die Zeit, die du noch hast. Du musst dich nur trauen. Und es ausprobieren. Bange machen gilt dabei nicht. Sich verkriechen geht auch nicht. Und zynisch werden schon gar nicht. Such dir eine Aufgabe, wo du andern helfen kannst. Bring dich ein, in der Nachbarschaft, da, wo du lebst, deine Erfahrung wird gebraucht. Mach den Mund auf, wenn wieder mal schwarz-weiß gemalt wird, und erzähl, wie bunt das Leben ist.

II.

„Wie kann einer neu geboren werden, wenn er alt ist?“ Kann ich noch einmal neu anfangen, neu werden, gerade wenn ich schon älter bin? Und: Kann ich noch was vom Leben erwarten? Die großen Fragen des Lebens werden nicht kleiner, wenn man älter wird. Wie einer mit seinen Fragen zu Jesus gekommen ist, davon habe ich Ihnen vorhin schon erzählt, hier in den SWR4 Sonntagsgedanken.

Immer, wenn einer Fragen stellt, zeigt das doch, dass er noch nicht fertig ist. Nikodemus will keine vorschnellen Antworten. Für den scheint es nicht nur schwarz oder weiß zu geben, sondern eine ganze Menge Farben dazwischen. Und das stimmt doch: Das Leben ist viel bunter, als dir manche einreden wollen. Wenn einer genau hinschaut, nachfragt, es wissen will, dann hat er keine vorgefertigte Meinung. Will sich nicht abschotten und denken, ich weiß doch, wie der Hase läuft, ich kenn doch alles längst schon. Er will nicht die üblichen Antworten hören. Dass einer offen ist für Neues, für neue Gedanken, Erfahrungen, Ideen, das hält einen auch im Älterwerden jung.

Manche nennen das Midlife-Crisis, wenn einer anfängt, solche Fragen zu stellen wie Nikodemus. Die kannst Du auch noch mit 60 kriegen. Midlife-Crisis, das ist die Zeit, wo Männer komische Sachen machen. Kaufen sich viel zu enge Hosen und viel zu bunte Hemden. Das ist die Zeit, wo es dir klar wird, dass du schon mehr Lebenszeit hinter dir hast, als noch vor dir liegt. Und die Möglichkeiten, noch einmal was ganz anderes zu machen, werden kleiner. Vielleicht merkt man auch, dass man das, was man früher einmal wollte, nicht mehr erreichen kann. Vielleicht trauert man Möglichkeiten nach, die man rausgelassen hat. Vielleicht hadert man mit Entscheidungen, die man getroffen hat. Vielleicht macht einem schlaflose Nächte, was man anderen schuldig geblieben ist. Und dazu kommt das Gefühl: Das kann es doch noch nicht gewesen sein.

Der Wunsch, dass sich was ändern soll. Und die Erfahrung, es muss sich doch was ändern in dieser Welt, wenn es eine Zukunft geben soll. Die kommen oft zusammen, diese Erfahrung und dieser Wunsch. Es kann doch nicht so weiter gehen, dass wir so leben, als hätten wir eine zweite Erde im Kofferraum. Es kann doch nicht sein, dass jeder nur auf sich selber guckt. Auf seinen Vorteil aus ist. Dass nur zählt, was sich rechnet. Mich treibt das um, wie viel auf der Welt aus den Fugen zu sein scheint. Mich beschäftigt das, wenn Wahrheit Lüge genannt wird und Lüge Wahrheit. Und ich glaube, ich bin damit nicht allein.

Nikodemus damals hat sich an Jesus orientiert. Von ihm wollte er wissen, wie neues Leben gehen kann. anderes Leben. Ich probiere das auch, wenn ich ins Fragen komme. Und höre: „Selig sind die Barmherzigen. Selig sind, die Frieden stiften.“ Damit ernst machen, das wäre doch ein Anfang!

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen. Im Leben geht es nicht ohne Vertrauen. Da werden Sie mir sicher zustimmen. Wenn ich abends ins Bett gehe, vertraue ich darauf, dass ich am nächsten Morgen wieder aufwache. Und wenn ich morgens aufstehe, vertraue ich darauf, dass alles noch so funktioniert wie am Tag vorher. Dass der Boden mich trägt. Dass vor meiner Haustür noch dieselbe Umgebung auf mich wartet. Dass die Menschen noch da sind, die zu meinem Leben gehören oder mit denen ich eine Verabredung habe. Wenn jeden Morgen alles auch ganz anders sein könnte, würde ich ja verrückt werden. Im Leben geht es nicht ohne Vertrauen.

Und erst recht kann ich mit anderen nicht zusammenleben ohne Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass der Mensch, der gestern gesagt hat, dass er mich liebt, dies auch heute noch so meint. Wenn ich ständig fragen würde, „liebst Du mich noch“, würde das, glaube ich, ganz schön nerven. Eltern müssen darauf vertrauen, dass sie ihren Kindern so viel mitgegeben haben, dass die als Erwachsene im Leben dann selber klar kommen.

Und auch im Zusammenleben in einer Gesellschaft geht es nicht ohne Vertrauen. Das funktioniert ja so, dass Aufgaben abgegeben werden. Ich kann und muss mich nicht um alles kümmern. Geht gar nicht. Ich muss Aufgaben an andere abgeben. Ein anderer backt die Brötchen für mich. Ein anderer fährt die Straßenbahn, damit ich zur Arbeit komme. Es muss Institutionen geben, die sich kümmern. Um die Wasserversorgung zum Beispiel. Denen muss ich vertrauen, dem Bäcker, der Straßenbahnfahrerin, den Mitarbeitenden beim Wasserwerk. Und denen kann ich vertrauen, weil es klare rechtliche Regelungen gibt. Die sorgen dafür, dass das alles funktioniert und mit rechten Dingen zugeht.

Auch eine Demokratie lebt von Vertrauen. Ein Bekannter von mir ist im Gemeinderat. Im Mai sind wieder Wahlen. Er will wieder kandidieren. Ich habe ihn gefragt, was ihm dabei hilft, dieses Geschäft zu machen. „Mich haben die Leute gewählt“, hat er gesagt, „und haben mir das Vertrauen geschenkt. Sie hoffen, dass ich im Gemeinderat mit den anderen zusammen gute Lösungen für unseren Ort suche. Und jetzt ist es gut, dass wieder gewählt wird. Dann können die Leute sagen, ob sie zufrieden waren oder ob andere jetzt mal dran sind und Verantwortung übernehmen. Davon lebt ja die Demokratie. Dass Menschen stellvertretend für andere für eine bestimmte Zeit Verantwortung übernehmen. Dafür brauchen sie Vertrauen.“ Im Leben geht es nicht ohne Vertrauen. Was aber ist, wenn das Vertrauen enttäuscht wird? Darüber möchte ich mit Ihnen nach einer kurzen Musik weiter nachdenken.

II.

Vor kurzem habe ich gelesen, „Vertrauen ist wie ein Schatz. Es ermöglicht dem Einzelnen, stärker zu sein, als er es allein wäre. Vertrauen führt Menschen zusammen. Es ist, als wohne diesem Gefühl eine segnende, Frieden stiftende Kraft inne. Aber: Wer vertraut, der entscheidet sich auch bewusst dafür, sich verletzbar zu machen.“

Vertrauen wird zwischen Menschen immer wieder enttäuscht. Anders kann es gar nicht sein, weil es eben auch zum Menschsein gehört. Ich enttäusche die Erwartungen anderer. Ich mache Fehler. Ich versage. Was bleibt dann? Immer und allen misstrauen? Vorsichtshalber sozusagen? Aber kann man so leben? Dauernd misstrauisch?

Die Bibel erzählt, wie die Leute eine Frau zu Jesus bringen. Die haben sie beim Ehebruch inflagranti erwischt. Und da fragen sie ihn, um ihn zu testen: „Was sagst Du? Du weißt, dass das Gesetz bei Ehebruch die Todesstrafe vorsieht. Die Frau muss gesteinigt werden.“ Und Jesus schreibt mit dem Finger in den Sand auf dem Boden und sagt zu ihnen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Sie kennen vielleicht die Geschichte und wissen, dass die Leute alle weggehen, bis auf die Frau. Und Jesus fragt sie: „Wo sind die Leute? Hat Dich niemand verurteilt? Dann mache ich das auch nicht. Geh, aber tue von jetzt an kein Unrecht mehr.“

Mir fällt auf, dass Jesus das nicht übergeht, was im Leben der Frau schief gegangen ist. Er sagt zu ihr: „Du hast Mist gebaut, mach’s jetzt anders.“ Gerade wenn mich jemand enttäuscht hat, muss ich ihm das sagen, wie sehr mich das verletzt hat. Damit ein neuer Anfang möglich wird. Jesus jedenfalls hat das so gemacht. Und er hat der Frau zugetraut, dass sie es besser machen kann. Er schenkt ihr neu Vertrauen.

Sicher, es kann Vertrauensbrüche geben, da muss man sich dann aus dem Weg gehen. Hoffentlich muss ich das nicht oft erleben.

Denn: Sich zurückziehen macht einsam. Und es ändert nichts. Denn wenn ich das Vertrauen verliere, verschließt sich die Welt irgendwie. Alles wird enger. Die Offenheit verschwindet aus meinem Leben. Ich will mit keinem mehr etwas zu tun haben.

Es ist wahr. Ich kann nicht alles kontrollieren. Manchmal gibt es Enttäuschungen. Aber meine Erfahrung ist: Leben kann man nur, wenn man Vertrauen schenkt. Auch denen, die sich zur Wahl stellen und Verantwortung für andere übernehmen. Vertrauen muss ich immer wieder neu wagen, immer wieder neu schenken. Ich will kein misstrauischer Mensch sein. Ich will mein Leben nicht von schlechten Erfahrungen bestimmen lassen. Und um die Kraft dazu kann ich beten, jeden Morgen neu.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen. Großzügig sein macht glücklich. Haben Forscher herausgefunden. Großzügig sein löst im Gehirn Glücksgefühle aus. Aber vielleicht wissen Sie das auch ohne gescheite Wissenschaftler. Ein großzügiger Mensch ist ein glücklicher Mensch. Und möglicherweise haben Sie jetzt auch so einen Menschen vor Augen. Einen, der gerne gibt, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten, einfach so. Der gerne einlädt. Der einem anderen etwas gönnen kann. Und – halten Sie diesen Menschen für glücklich? Sehen Sie. Großzügig sein macht glücklich.

Warum fällt es einem aber selber oft so schwer, großzügig sein? Manchmal wundere ich mich schon über mich selbst. Und denke, wenn ich’s dann merke: Mensch, wie kleinlich war das wieder. Wenn ich mich aufrege, weil der Kollege einen Fehler gemacht hat. Oder wenn einer was Dummes sagt. Oder wenn’s nicht so geht, wie ich das will. Mir passiert das doch auch, dass mir was durchrutscht. Dass ich was vergesse. Dass ich mal unüberlegt was sage. Ist doch menschlich. Wär ja eigentlich schlimm, wär’s anders. Finden Sie nicht? Einer, der denkt, er wär unfehlbar. Nee, kann man eigentlich nicht wollen.

Aber manchmal frage ich mich schon, warum die Großzügigkeit so oft auf der Strecke bleibt. Ist es die Angst, ich könnte zu kurz kommen? Oder ausgenutzt werden? Ein großzügiger Mensch kann über kleinere Fehler oder Missgeschicke wegsehen. Der muss nicht immer auf seinem Recht bestehen. Der weicht auch mal anderen Leuten auf der Straße aus, auch wenn er das nicht müsste.

Eigentlich geht Zusammenleben doch gar nicht ohne Großzügigkeit. Nicht im Kleinen in der Partnerschaft oder in der Familie. Auch nicht in einem Verein. Auch nicht in einer Kirchengemeinde. Und eigentlich funktioniert doch das Zusammenleben nirgends ohne Großzügigkeit. Nur auf die eigenen Interessen gucken, nur selber möglichst viel rausschlagen, nach dem Motto: was gehen mich die anderen an? Das funktioniert nicht. Nicht im Kleinen und auch nicht im Großen. Großzügige Menschen sind glückliche Menschen, sagen die Wissenschaftler. Die haben ein weites Herz. Die denken auch großzügig. Mir zeigen sie: Großzügig sein und denken, das tut gut. Anderen und mir selber.

In der Bibel gibt es eine passende Geschichte dazu. Fast wie ein Märchen klingt die am Anfang. Ein König will mit den Verwaltern seiner Güter abrechnen. Die haben Schulden bei ihm. Und er will sein Geld zurück. So haben sie es eigentlich ausgemacht. Gleich der erste in der Reihe schuldet dem König eine unvorstellbar hohe Summe. Sie ahnen schon, das kann nicht gut gehen. Der Schuldner hat das Geld nicht. Keinen Pfennig kann er zurückzahlen. Was ihm blüht, ist klar. Damals war das so üblich: Der König will den Schuldner als Sklaven verkaufen lassen. Seine Familie dazu und alles, was er hat. Das ist zwar bei weitem kein Ersatz für seinen Verlust. Aber immer noch mehr als nichts. Und Strafe muss sein, sonst könnte ja jeder kommen. Da fällt der Mann vor dem König auf die Knie und jammert und klagt so überzeugend, dass der sich erweichen lässt. Der König gibt ihm nicht nur Aufschub, er erlässt ihm die komplette Schuldenlast. „Lass gut sein.“

Und was macht diese Großzügigkeit mit dem Schuldner? Macht sie ihn glücklich? Statt Sklave werden zu müssen, kann er weiter als freier Mensch leben. Kriegt Lebenszeit in Freiheit geschenkt. Die Schulden weg. Das Leben kann noch mal von vorn beginnen. Möglichkeiten in ungeahntem Ausmaß.

So weit, so gut. Leider nicht. Als Freigelassener trifft er auf einen Kollegen, der ihm ein bisschen was schuldet. Überhaupt kein Vergleich mit der Summe, die er gerade erlassen gekriegt hat. Doch er greift sich seinen Kollegen und will, dass der seine Schulden bei ihm sofort bezahlt. Natürlich steht ihm das Geld zu, keine Frage. Und der Kollege geht vor ihm in die Knie. Sie merken was? Er bittet: „Hab Geduld mit mir. Ich zahl’s Dir zurück.“ Doch der gerade Freigelassene lässt sich davon nicht beeindrucken. Er lässt ihn ins Gefängnis werfen, bis er vielleicht doch noch was rausrückt. Oder bis die Verwandtschaft zusammenlegt und den Eingesperrten aus dem Gefängnis freikauft.

Denken Sie jetzt auch: Wie kann er nur? Wie kann er die Großzügigkeit, die er gerade erfahren hat, so schnell vergessen? Was will diese Geschichte? Will sie sagen, schau, so kleinlich ist der Mensch? Ich glaube das nicht. Ich glaube, sie will sagen: So kleinlich kann ein Mensch eigentlich doch gar nicht sein. Denn ich lebe als Mensch doch immer davon, dass ich Großzügigkeit erfahren habe. Mein Leben habe ich mir nicht selber gegeben. Dass andere mich lieben, ist ein Geschenk. Auch dass wir in Europa über 70 Jahre schon Frieden haben. Dass es soziale Sicherheit gibt in unserem Land. Wie großzügig ist das denn? Und wie gut ist das für mich! Sollte ich da nicht auch großzügig sein?

Großzügig sein macht glücklich. Ich glaube, mit Großzügigkeit geht vieles wie von selbst.

Und ich wünsche Ihnen jetzt einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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