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SWR3 Gedanken

10NOV2023
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In den Zug, in dem ich sitze, steigt eine junge Frau ein, das Handy am Ohr. Sie setzt sich, nicht weit von mir weg. Ich weiß nicht, mit wem sie da redet, verstehe sie auch nicht. Aber die junge Frau redet und redet. Mehr als eine Stunde geht das so. Irgendwann bin ich ziemlich genervt - und komme ins Grübeln. Nur ein paar Tage vorher ist mir in einem Café nämlich ein älteres Paar aufgefallen. Lange saßen die beiden zusammen am Tisch, sprachen kein Wort miteinander. Ob die sich auseinandergelebt, sich nichts mehr zu sagen haben, hab ich gedacht. Dann sagte die Frau doch etwas. Der Mann antwortete nicht. Er schaute sie nur an und beide lächelten.

Vielleicht liegt genau da ja der Unterschied zwischen „kennen“ und „Vertraut sein“. Kennen kann ich ziemlich Viele. Doch wenn ich ehrlich bin, weiß ich von den einzelnen Menschen oft erschreckend wenig. Ihre Hobbies vielleicht, wo sie arbeiten oder welche Musik sie mögen. Ganz anders ist das bei den Menschen, die mir vertraut geworden sind. Das sind nur sehr wenige. Meine Frau zum Beispiel. Natürlich gibt es immer noch genug zu erzählen und zu besprechen. Um sich zu verstehen aber, da braucht es oft nur ganz wenig. Manchmal sogar nur einen Blick und ein Lächeln.

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SWR3 Gedanken

09NOV2023
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Lebenssatt. Das Wort steht genau so in der Bibel. Ich liebe es. Es meint aber nicht, mein Leben selbst satt zu haben. Ganz im Gegenteil. Es meint, alt zu werden und irgendwann zufrieden auf ein erfülltes Leben zurückblicken zu dürfen. Satt eben. Satt an Erlebnissen und Erfahrungen. Das wünsche ich mir auch. Ein super Bild, finde ich. Dafür, dass der Hunger nach Leben, den jeder hat, irgendwann mal gestillt sein kann. Weil Lebensträume sich vielleicht erfüllt haben. Ziele, die ich mir vorgenommen habe, erreicht sind. Wenn ich das mal über mein eigenes Leben sagen kann – es wäre ein echtes Glück. Denn ich weiß eben auch, dass das nicht selbstverständlich ist. Weil ich manches, was geschieht, einfach nicht in der Hand habe.

Lebenssatt sein dürfen. Warum das dem einen vergönnt ist, dem anderen aber nicht, das weiß ich auch nicht. Ich glaube aber, dass Gott es für jeden Menschen will. Und dass jede und jeder etwas dafür tun kann. Zum Beispiel, indem ich Dinge, die mir am Herzen liegen, nicht endlos vor mir herschiebe. Einen unerfüllten Wunsch oder eine Reise, die ich immer schon machen wollte. Indem ich Menschen, die mir wichtig sind, immer wieder zeige, dass ich sie liebe. Das Leben ist zu kurz für ‚Irgendwann‘.

Und ich kann Menschen stützen, die es im Leben nicht so doll haben. Wenn ich selbst mehr als genug habe, kann ich davon abgeben. Kann zudem auch immer ein freundliches Wort oder menschliche Wärme verteilen. Das kostet nicht mal was. Denn auch Nächstenliebe kann satt machen. Lebenssatt.

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SWR3 Gedanken

08NOV2023
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Fürchtet euch nicht. In der Bibel gibt’s das Wort etliche Male. Mich irritiert es immer einen Moment, wenn ich das lese. Weil wir uns gerade vor so vielem fürchten. Vor Krieg. Vor der Zukunft. Davor, dass wir ärmer werden. Super Zeiten sind das für Schwarzseher und leider auch für Leute, die mit scheinbar einfachen Lösungen daherkommen. Dabei ist es nie eine gute Idee, sich allzu sehr zu fürchten. Weil Furcht mich am Ende nur lähmt. Wer Furcht und Schrecken verbreitet, der setzt genau darauf.

Vor ein paar Jahren hat ein anderes Wort für mächtig Wallung gesorgt hat: Wir schaffen das. Als die Kanzlerin das damals vor acht Jahren gesagt hat, da schwang in dem Wort viel Hoffnung mit. Sicher, niemand kann sagen, auch heute nicht, ob wir das wirklich alles schaffen. Aber ohne die Hoffnung, dass es klappen kann, wird es ganz sicher nichts. Vielleicht sind Menschen, die an Gott glauben, deshalb sogar leicht im Vorteil. Weil sie die Hoffnung haben, dass die Geschichte am Ende einmal gut ausgehen wird, was immer auch kommt. Die Bibel nennt es den Himmel. Das ist keine Aufforderung, die Hände ergeben in den Schoß zu legen. Im Gegenteil. Wer eine Hoffnung hat, der kann sich trotzdem fürchten. Aber er ist nicht total gelähmt. Muss sich von der Angst nicht überwältigen lassen. Kann tun, was möglich ist, um aus der Krise wieder herauszukommen. Deshalb: Fürchtet euch nicht. Oder, wie ich es am Ende der Tagesthemen manchmal andersrum höre: Bleiben Sie zuversichtlich.

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SWR3 Gedanken

07NOV2023
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„Ich brauch das jetzt!“ Den Ausspruch höre ich immer wieder mal. Oft, wenn Menschen meinen, sie müssten sich für irgendwas rechtfertigen, von dem sie wissen, dass es eigentlich nicht so toll ist. Schon wieder neue Klamotten zum Beispiel, obwohl der Schrank längst überläuft. Ferienflüge, die übel sind für Umwelt und Klima. Gerne auch mehrmals im Jahr. Aber was soll`s, „ich brauch das jetzt“.

Ich glaube ja, dass wir im Grunde gar nicht viel brauchen. Genau genommen sogar erschreckend wenig. Ein Dach über dem Kopf und saubere Kleidung. Genug zu essen und zu trinken. Das ist das unbedingt Notwendige. Dazu ein paar Menschen, die es gut mit uns meinen. Mir wird das besonders deutlich, wenn ich zufällig mal Menschen begegne, die Hals über Kopf fliehen mussten. An ihnen sehe ich: All das, was sonst so wichtig erscheint, kommt danach. Eine Arbeit etwa, die sinnvoll ist und mir ein Einkommen gibt. Zehn Paar Schuhe zur Auswahl. Oder irgendwelche digitalen Gadets, um mir die Zeit zu vertreiben. Und dann kommt das, was unter der Rubrik „Ich brauch das jetzt“ oft genannt wird. In der Liste des Lebensnotwendigen steht das meistens ziemlich weit hinten.

Klar, ich kenne auch dieses Gefühl, irgendwas unbedingt haben zu müssen. Am besten sofort. Aber meistens zögere ich dann doch. Und wenn ich nochmal nachdenke, dann merke ich oft, dass es gar nicht das war, was mir fehlt. Dass es eigentlich um etwas anderes geht. Vielleicht, weil ich in diesem Moment gerade überlastet oder niedergeschlagen bin, und mir wünsche, dass mich etwas aufmuntert oder motiviert. Die vierte Urlaubsreise oder das neueste Handy bringen‘s da aber eher nicht.

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SWR3 Gedanken

06NOV2023
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Zwei Musiker sitzen friedlich nebeneinander und musizieren. Ein Araber und ein Israeli. Klingt gerade eher wie ein frommer Wunsch, ist in einem ganz besonderen Orchester aber schon lange Wirklichkeit. Seit 24 Jahren gibt es das West-Eastern Divan Orchestra. Es besteht je zur Hälfte aus arabischen und israelischen Musikerinnen und Musikern. Gegründet hat es Daniel Barenboim. Selbst Jude und einer der bedeutendsten Dirigenten unserer Zeit. Die furchtbaren Ereignisse in Israel lassen auch ihn natürlich nicht kalt. In einem Zeitungsbeitrag schreibt Barenboim: „Menschlichkeit ist universell.“ „Man muss Ängste, Verzweiflung und Wut zulassen. Aber wo dies dazu führt, dass wir einander die Menschlichkeit absprechen, sind wir verloren.“

Ich finde, dieses besondere Orchester, mit dem Barenboim immer wieder arbeitet, ist ein tolles Bild dafür, wie es sein könnte und sollte. Da sitzen zwei Musiker, schauen in dieselbe Partitur. Sie können nicht gegeneinander spielen. Sonst ginge alles schief. Wenn ein Orchester klingen soll, gibt es nur einen Weg. Aufeinander hören. Die perfekte Harmonie finden. Das geht nicht von selbst. Das muss man üben, intensiv proben, immer wieder. Barenboim sagt: „Über die Jahre haben wir durch diese Gemeinsamkeit des Musizierens gelernt, den vermeintlich ‚Anderen‘ besser zu verstehen, auf ihn zuzugehen und Gemeinsamkeiten in unserer Menschlichkeit und in der Musik zu finden.“ Wie wunderbar wäre es, wenn das irgendwann auch im ganz Großen gelingt.

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SWR3 Gedanken

05NOV2023
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Ich könnte der größte Held auf Erden sein. Aber wenn ich keine Liebe hätte, dann wäre ich trotz allem ein Nichts.

Das sind keine „live lyrics“ zu irgendeinem Hit. Das steht stark verkürzt so in der Bibel. In einem Text, der besonders bei Hochzeiten beliebt und oft zu hören ist. Er ist mir sofort eingefallen, als ich kürzlich las, was Kinder stark macht. Vor allem andern nämlich: Liebe. So simpel und manchmal offenbar so schwierig. Weil es eben vorkommt, dass Eltern ihren Kindern nicht genug davon geben können. Nicht unbedingt, weil sie nicht wollen. Nur manchmal ist das Sorgenpäckchen, das jeder von uns mit rumschleppt, einfach so riesengroß, dass keine Kraft mehr da ist für anderes. Aber wer als Kind zu wenig Liebe mitbekommen hat, der hat es oft auch später als Erwachsener schwer. Liebe macht eben stark. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene.

Das zeigt aber auch, was Liebe eher nicht meint. Schwärmerei zum Beispiel. Schmetterlinge im Bauch. Wirkliche Liebe trägt nämlich auch dann, wenn die Schmetterlinge längst ausgeflogen sind. Doch was sie eigentlich ausmacht, diese Liebe, das ist gar nicht so leicht zu beschreiben. Und deshalb greife ich nochmal auf den kleinen Bibeltext vom Anfang zurück. Da heißt es nämlich: Wer liebt, der ist geduldig. Ist gütig. Wer liebt, plustert sich nicht auf, sucht nicht nur den eigenen Vorteil. Wer liebt, der kann sich darüber freuen, wenn der andere glücklich ist. Wer liebt, gibt den anderen nie auf. Das ist Liebe, die stark macht.

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SWR1 3vor8

15OKT2023
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Eingeladen zu werden, das ist schon was Tolles. Da hat einer an mich gedacht. Da ist es jemandem offenbar wichtig, dass ich bei seinem Fest dabei bin. Eingeladen zu sein, das ist immer auch ein Zeichen, dass ich geliebt und geschätzt bin.

Aber manchmal, da gibt es auch Einladungen, die wecken eher zwiespältige Gefühle. Klar, auch da hat irgendjemand an mich gedacht. Und trotzdem habe ich keine große Lust dort hinzugehen. Vielleicht, weil es sich um einen steifen, offiziellen Empfang, eine Betriebsfeier oder sonstwas handelt.

An so eine eher ungeliebte Einladung könnte man denken, wenn man das Gleichnis liest, von dem heute in den katholischen Gottesdiensten die Rede ist. (Mt 22,1-10) Da erzählt Jesus nämlich von einem Fest mit geladenen Gästen. Ein König, so heißt es da, habe zu einem Festessen geladen. Die Hochzeit seines Sohnes soll gefeiert werden. Doch dann will keiner der geladenen Gäste erscheinen. Die einen haben keine Lust. Andere weisen auf Verpflichtungen hin, denen sie nachkommen müssen. Wieder andere haben schlicht Besseres zu tun. Was da erzählt wird ist ein kaum vorstellbarer Affront gegenüber dem Gastgeber. Und schon das macht klar, dass die Geschichte eigentlich etwas anderes erzählen will. Nämlich, wie Gott ist und wie der Mensch. Und warum es oft so schwierig erscheint mit dem Himmelreich. Das Bild vom Himmelreich als einem festlichen Essen, zu dem Gott selbst einlädt, kennt schon der Prophet Jesaja im Alten Testament. Jesus greift es auf. Und alle, die ihm damals zuhören, wissen darum gleich, was er meint: Ein Himmel schon hier auf Erden, weil Gott und Menschen sich nahe sind. Es war das große Lebensthema Jesu. Jesus hat sich als einen gesehen, der die Einladung Gottes überbringt. Und dabei oft nur auf Ablehnung und Desinteresse stößt.

Das Gleichnis schiebt die Verantwortung scheinbar den bockigen Leuten zu, die eingeladen sind, aber keine Lust und scheinbar Besseres zu tun haben. Dabei haben die Meisten ihre Gründe. Das sagt auch das Gleichnis und bewertet es nicht. Aber es geht weiter. Der König öffnet die Türen nun für alle, die kommen wollen. Und darum ist dieser Teil der Geschichte, die Jesus erzählt, auch der wichtigere: Die Einladung, den Himmel schon jetzt und hier zu suchen, besteht eben noch immer. Und sie ist nicht beschränkt auf besonders Auserwählte. Vielmehr steht der Himmel jeder und jedem offen, der ihn sucht. Die Kirche hat sich zu oft als Türsteherin verstanden, die entscheidet, wer würdig ist und wer nicht. Dabei sollte gerade sie es sein, die allen den Weg zu Gott, also zu dem Himmel schon im Leben, ebnet und offen zu hält.

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SWR4 Feiertagsgedanken

03OKT2023
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Horizonte öffnen. Das ist das Motto des Tags der Deutschen Einheit in diesem Jahr. Zuerst habe ich mich schon gefragt, was mir dieses Motto eigentlich sagen will. Denn der Horizont, das ist ja erstmal die Linie, an der sich optisch quasi Himmel und Erde begegnen. Wenn ich etwa am Strand der Nordsee stehe und aufs Meer hinausschaue, dann kann ich sie sehen. Weit draußen. Da, wo das Meer scheinbar aufhört und der Himmel beginnt. Wenn ich im Urlaub an der See bin, dann könnte ich manchmal stundenlang dasitzen und mir dieses Bild anschauen. Ein Blick scheinbar bis ans Ende der Welt. Der Welt zumindest, die ich überblicken kann. Doch öffnen lässt sich dieser Horizont genau genommen eigentlich nicht.

Und dann kommt mir beim Horizont natürlich Udo Lindenberg in den Sinn. Wenn er davon singt, dass es hinterm Horizont weitergeht. Seine Ballade, fast 40 Jahre alt, ist inzwischen ein echter Klassiker. Geschrieben hat er sie damals als Hommage an eine enge Freundin, die viel zu früh gestorben ist. Und so eine Freundschaft, die hört nicht einfach so auf, meint der Song. Auch nicht mit dem Tod. Dem ultimativen Horizont jedes irdischen Lebens.

Ein Horizont, der sich öffnet. Das soll wohl vor allem ein Bild sein für eine Hoffnung, die Menschen haben. So, wie im Song von Udo Lindenberg. Dass es irgendwie weitergeht. Und dass diese Linie, die ich da in weiter Ferne sehen kann, eben nicht das Ende der Welt markiert. Und auch nicht das Ende des Lebens. Und dass es deshalb auch nie gut ist, den Kopf hängen zu lassen, Frust zu schieben und zu sagen: „Es hat ja doch alles keinen Sinn“.

Die Bibel kennt etliche von solchen Geschichten. Von Menschen, die sich nicht damit zufriedengegeben haben, dass da eine Linie sein soll, hinter der es nicht weitergeht. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, aufgebrochen sind. Oft, ohne zu wissen, was sie erwartet. Aber in der Überzeugung, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Da ist zum Beispiel Abraham. Die heiligen Schriften von Juden, Christen und Muslimen erzählen von ihm. Er ist ihr gemeinsamer Urahn. Von Abraham wird erzählt, dass Gott eines Tages zu ihm spricht und ihm sagt, er solle aufbrechen. Land, Heimat, Verwandtschaft. Alles soll er zurücklassen. Losziehen in ein unbekanntes Land, das Gott ihm erst noch zeigen will. Und Abraham macht sich tatsächlich auf. Lässt alles hinter sich und zieht einfach los. Im Vertrauen darauf, dass die Sache gut ausgehen wird.

Oder da sind die Freunde von Jesus, die sich im Haus einschließen, nachdem ihr Freund nicht mehr da ist. Angst haben sie, wissen nicht, wie es weitergehen soll. Und dann fassen sie plötzlich neuen Mut, machen Fenster und Türen auf und gehen raus. In der Hoffnung, dass es doch weitergeht. Für sie und für die Sache Jesu.

33 Jahre jung ist die Deutsche Einheit heute. Im besten Alter eigentlich. An die Bilder kann ich mich noch gut erinnern. Ich selbst war damals 28 und was war das für eine Aufbruchstimmung? Was für Hoffnungen haben sich da verbunden mit der Zukunft? Nicht nur im Osten war das so. Auch bei vielen Menschen hier im Westen. Sicher, wie immer bei den ganz großen Hoffnungen, war manches davon vielleicht naiv. Haben viele Wünsche der komplizierten Wirklichkeit am Ende dann doch nicht standgehalten. Und dennoch, das ist mein Eindruck, ist unglaublich viel geschafft worden. Eine riesige gemeinsame Kraftanstrengung.

Inzwischen aber hat sich bei so vielen Leuten Wut und Frust angestaut. So viel Unzufriedenheit und auch Angst vor der Zukunft. Mir kommt das heute manchmal vor, als ob viele Menschen zwar den Horizont sehen, aber ängstlich dahin blicken. Vielleicht, weil sie Zweifel haben, ob es dahinter wirklich weitergeht oder eher das Ende der Welt lauert. Manches kann ich sogar verstehen. Weil ich hin und wieder auch dieses Gefühl habe, dass die vielen Krisen mich überfordern und ohnmächtig machen. Weil die Welt so unübersichtlich geworden ist, wie nie zuvor und ich selbst kaum noch mitkomme. Und weil die Zuversicht, die mal da war, dass es immer weiter aufwärts geht, ziemlich brüchig geworden ist.

Mir hilft da manchmal ein Blick auf meine Töchter. Die sehen wie viele junge Leute in ihrem Alter ziemlich deutlich, was los ist. Ihnen ist auch klar, dass es so nicht mehr weitergeht und dass sich was ändern muss. In der Art etwa, wie sie in Zukunft leben und arbeiten werden. Sie wissen auch, dass Wohlstand, Frieden und Freiheit keine Selbstläufer mehr sind. Und dass es jetzt an ihnen liegt, etwas dafür zu tun. Aber sie motzen und jammern nicht, sondern packen an. Mit der festen Zuversicht, dass es hinterm Horizont weitergeht. Irgendwie. Sicher anders als bisher. Aber weiter.

Übermäßig fromm ist keine und keiner der jungen Leute, die ich kenne. Auch meine Töchter nicht. Aber als Christ kann ich trotzdem von ihnen lernen, was es heißt, aus dem Geist der Bibel zu leben. Aus dem Geist der Hoffnung, dass es eine gute Zukunft geben kann, auch wenn ich sie noch nicht kenne. Und dass es sich immer lohnt, mich für diese Zukunft zu engagieren. Auch hier und jetzt. Mit dem, was mir möglich ist. Und dann markiert der Horizont auch nicht mehr das Ende der Welt, sondern jene Linie, an der die Erde den Himmel berührt.

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SWR1 Begegnungen

24SEP2023
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Matthias Orth Foto: Privat.

… und mit Matthias Orth. Fünfzehn Jahre Knast, acht Jahre Bundeswehr und nun bei der Polizei. So könnte man den beruflichen Werdegang von Matthias Orth knapp beschreiben. Der 62-Jährige ist Pastoralreferent im Bistum Speyer und seit vielen Jahren als Seelsorger in Bereichen tätig, die man vielleicht nicht sofort mit Kirche in Verbindung bringt. Aber wieso gibt es das überhaupt? Seelsorge bei der Polizei. 

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland hat man diese Polizeiseelsorge aus der Taufe gehoben. Und eines der Hauptargumente war damals und ist auch heute noch: das Gewaltmonopol liegt bei dieser Personengruppe und ein verantwortungsvolles Umgehen damit bedeutet natürlich auch, dass es Werte geben muss. Wir brauchen an der Stelle die Unterstützung der beiden Kirchen, auch eine Seelsorge, Einzelseelsorge oder eine Nachsorge. Das war damals auch schon im Blick.

Ein Angebot, das für alle Polizistinnen und Polizisten da ist, ob sie nun gläubig sind oder nicht.

Nun ist Gewalt ja ein heikles Thema. Vor allem, wenn sie von Polizisten ausgeübt wird, weil die Recht und Gesetz mitunter eben auch durchsetzen müssen.

Ein wichtiges Stichwort: Verhältnismäßigkeit. Die Frage: wann gehe ich zu welchem Mittel über? Das ist ja ein fließender Prozess. Kann ich ruhig bleiben in der Situation oder fällt mir das eher schwer? Und dann muss ich vielleicht auch an mir arbeiten, an mir persönlich.

Und wenn es doch brenzlig wird? Bei Hochrisikospielen der Bundesliga etwa, oder bei Demos?

Also wir gehen ja auch zu Einsätzen. Einsätze, die von vornherein Gewaltpotenzial vermuten lassen, wo Polizisten in schwierige Situationen kommen können. Da werden wir gefragt. Ich habe immer den Eindruck gehabt: Da wird sehr wohl überlegt, welche Schritte gegangen werden. Also es wird wirklich probiert, schon im Vorfeld mögliche Situationen zu erfassen und runter zu kochen.

Und dennoch kann auch bei einem scheinbar alltäglichen Einsatz eine Situation urplötzlich eskalieren. Im Extremfall sogar die Schusswaffe zum Einsatz kommen. Anders als in manchen Krimis übrigens ein sehr belastendes Erlebnis, auch für die Beamtinnen und Beamten.

In Rheinland-Pfalz gibt‘s ein Kriseninterventionsteam der Polizei. Da arbeiten wir Seelsorger mit. Und wenn der Schusswaffengebrauch mal passiert ist, dann sind die Seelsorger zum Beispiel die einzigen, die Aussageverweigerungsrecht vor Gericht haben, und von daher ist dann ein Gespräch mit dem Schützen oder der Schützin unter vier Augen immer auch das angezeigte Mittel. 

Dass sich die Arbeit der Polizei verändert, das bekommt auch er mit. Polizeiliche Maßnahmen werden nicht nur immer öfter in Frage gestellt, die Leute reagieren inzwischen auch schneller aggressiv.

Die Erfahrung von vielen erfahrenen Polizisten geht schon in die Richtung, dass viele Konflikte schneller eskalieren. Und auch wenn jetzt größere Gruppen zusammen sind, man schneller auch noch mal nochmal Verstärkung hinzuzieht, weil man nicht genau weiß, wie manche Situationen sich entwickeln.

Doch auch wenn man noch so sehr auf Sicherheit achtet. Manchmal passiert einfach Unfassbares. So wie in jener Nacht im Januar 2022.

Wir haben in Kusel leider diese Situation gehabt, die dann zu dem schrecklichen Mord an den beiden geführt haben. Eine ganz normale Regelkontrolle, nichts Außergewöhnliches. Aber die Situation hat sich ja so entwickelt, wie niemand die erwartet hat und leider dann zum Tod von einem Polizisten und einer Polizistin geführt.

Eine Situation, in der natürlich auch die Polizeiseelsorge gefordert war. Matthias Orth unterrichtet auch an der Hochschule der Polizei auf dem Hahn im Hunsrück und einige der angehenden Polizist:innen dort haben die beiden jungen Beamten persönlich gekannt.

Viele haben ein neues Bild natürlich für sich auch selber entworfen, das so ein bisschen von dieser heilen Welt - Polizei und Polizeifamilie - natürlich abweicht. Also, es kann was passieren. Es kann mir was passieren und im schlimmsten Fall kann mir das das Leben kosten. Und da ist noch mal bewusst geworden, was das für ein Einsatz ist, auch für unsere Gesellschaft.

Haben die jungen Leute denn Zweifel bekommen an ihrer Berufswahl?

Das war auch Anspruch von uns Seelsorge, zu sagen: Nix beschönigen. Es bringt überhaupt nix, an der Stelle irgendwas schönzureden, sondern die Realität in den Blick zu nehmen und zu sagen: Leute, ihr habt euch diesen Beruf jetzt ausgewählt mit großem Idealismus, jetzt müsst ihr vielleicht noch ein zweites Mal euch entscheiden, dabei zu bleiben. Und bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen sind die dabeigeblieben.   

Am Ende möchte ich von ihm wissen, welche Rolle denn Gott für ihn in seiner Arbeit spielt.

Wenn ich in den Einsatz fahre, mache ich das häufig. Ich schnauf noch mal durch, gehe in den Einsatz und sage nach dem Einsatz: Ich habe das getan, was ich konnte. Den Rest musst du erledigen. Und ohne dieses Vertrauen - wenn ich das sehe, wie viel Leid und wie viel Konflikte und wie viel Probleme in diesem Feld da mir begegnen - da könnte ich ja nur verzweifeln. Ich bringe mich ein mit meinen Möglichkeiten, mit meinen Erfahrungen. Aber den Rest muss ER machen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

06SEP2023
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Im Schöpfungsgarten hinter der katholischen Basilika in Bingen wächst so manches, was penible Kleingärtner wohl wahnsinnig machen würde. Kräuter und Gräser zum Beispiel, denen in sauber aufgeräumten Gärten sofort der Garaus gemacht wird. Unkraut würden viele wohl sagen. Aber Unkraut, erzählt mir das Gärtnerpaar, das den Garten angelegt hat, das gibt’s genau genommen gar nicht. Zum Unkraut wird es erst im Auge des Betrachters. Wenn etwa Wildkräuter, die unerwünscht sind, sich selbst aussäen und dadurch für den peniblen Gärtner zum Un-Kraut werden. Trotzdem lassen sie auch im Schöpfungsgarten nicht einfach alles stehen, was die Schöpfung so hervorbringt. Holen zum Beispiel Pflanzen raus, die sich zu breit machen und andere verdrängen, ihnen Licht und Luft abschnüren.

So ein bisschen, finde ich, ist ein Garten damit ja ein Bild für unsere Gesellschaft im Kleinen. Denn auch da gibt es ja welche, die gut miteinander können. Die sich unterstützen und gegenseitig voneinander profitieren. Aber es gibt eben auch die anderen. Die sich im wahrsten Sinne nicht riechen, nicht ausstehen können. Die Abstand voneinander brauchen, weil sie sich sonst das Leben unerträglich machen. Und manchmal ist es wohl auch nötig einzugreifen und einzelne zurechtzustutzen. Wenn sie sich zum Beispiel brutal vordrängeln, andere an den Rand drängen oder sogar den Platz zum Leben nehmen.

Nur, den einen Gärtner, der das alles im Blick behält und regelt. Die starke Hand, die mal richtig für Ordnung sorgt. Die quasi von oben entscheidet, was sein darf und was nicht, die gibt es unter uns eben nicht. Zum Glück, finde ich. Und auch Gott ist dafür nicht zu haben. Denn auch wenn Gott diese Welt und jede und jeden von uns gewollt hat. Einmischen wird er sich hier trotzdem nicht. Wie wir es miteinander aushalten, das müssen wir letztlich selbst regeln. Dafür hat er uns schließlich ein paar Gebote an die Hand gegeben und ein Gewissen geschenkt, das uns sagt, was recht ist.

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